Die schwerste aller Lebensaufgaben

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Eine Legende lautet so: Gott sah nach der Erschaffung der Welt, dass alle Geschöpfe voller Freude waren, nur das Lamm stand traurig da. Gott fragte es: „Was fehlt dir?“ Seufzend antwortete das Lamm: „Ich bin hilflos den Misshandlungen der anderen Tiere ausgesetzt. Warum gabst Du mir keine Waffen zur Verteidigung? Die anderen Geschöpfe haben spitze Hörner oder scharfe Krallen, kräftige Rüssel oder giftige Zähne. Die Vögel können ihren Feinden durch die Luft entfliehen, die Fische in die Tiefe des Wassers tauchen. Den Hasen und Rehen hast Du flinke Beine gegeben, dass nur wenige von ihren Feinden eingeholt werden. Nur ich allein bin schutzlos der Willkür meiner Feinde ausgeliefert!“

Diese Klage rührte Gott. Er sprach: „Wähle dir selbst Verteidigungswaffen aus: starke Krallen und scharfe Zähne. So kannst du dir alle Feinde vom Leibe halten!“ Das Lamm sagte: „Herr, nicht eine dieser gefährlichen Waffen wünsche ich mir. Ich liebe den Frieden und wünsche nur solche Waffen, die mich das mir zugefügte Unrecht vergessen lassen und mein Leid erträglicher machen!“ „Gut“, sagte Gott, „ich gebe dir zwei Waffen, mit denen du im Unglück nicht verzweifeln wirst: Sanftmut und Geduld!“ Das Lamm war mit diesen Gaben zufrieden. So ist das Lamm ein „Lamm“ geblieben und kein Raubtier geworden.
Hätte Gott uns geboten, in ein Tierfell zu schlüpfen, uns aber die freie Wahl gelassen, selbst die Art des Tierfells zu wählen, wir wären nicht in ein Lammfell geschlüpft. Wir hätten als Waffen die Pranken des Löwen, die Hörner des wilden Stieres, die Klauen und den Schnabel des Adlers oder die Giftzähne der Klapperschlange gewählt. Das sind die wirksamen Waffen der Selbstbehauptung. Und wer wollte sich nicht selbst behaupten?

Gott hat uns nicht in ein Tierfell gesteckt, sondern in eine mit Intelligenz ausgestattete Menschenhaut. Darum sollen wir miteinander „human“ umgehen. Leider handeln viele Menschen, als wären sie in einem Tierfell auf die Welt gekommen. Sie brüllen wie Löwen einander an, zerfleischen mit Adlerkrallen den guten Ruf der Mitmenschen. Sie sprühen Gift und Galle, wenn jemand ihnen in die Quere kommt.

Und wie handeln wir? Tritt uns jemand auf die „Hühneraugen“, werden wir aggressiv wie eine Schlange, der man auf den Schwanz getreten hat. Und zu welchen Wohltaten sind wir bereit? Wir rupfen gerne anderen die Federn und viele schmücken sich gerne mit „fremden Federn“.
Wenn wir uns nur mit Waffen der Raubtiere ausrüsten und sie gegeneinander gebrauchen, wo kommen wir dann hin? Zwei Böcke begegneten sich auf einem schmalen Steg, der über einen tiefen, reißenden Wildbach führte. Keiner der beiden wollte dem anderen ausweichen. So griffen beide zur Gewalt. Sie rasten aufeinander los. Es gab einen heftigen Zusammenprall. Beide verloren das Gleichgewicht und stürzten in den rasenden Wildbach hinab.
Wir leben nicht wie Robinson auf einer einsamen Insel. Wir müssen neben- und miteinander leben. Soll es ein friedliches Neben- und Miteinander sein, müssen wir das Raubtierfell abstreifen, Krallen, Klauen, Hörner und Giftzähne ablegen und in das Lammfell schlüpfen. Von Christus hat Johannes der Täufer gesagt: Seht, das Lamm Gottes!“ Er sprach kein Wort vom Löwen aus dem Stamme Juda. Christus hat nie Gewalt ausgeübt, lieber Gewalt erlitten und das bis zum Kreuzestod. Gerade dadurch ist Er unser Erlöser geworden.

Eine bessere Welt kann nicht mit der Gewalt von Raubtiermanieren geschaffen werden, sondern nur mit den Eigenschaften des gewaltlosen Lammes. Darum hat Jesus in seiner Bergpredigt uns „Christen“ zur schwersten aller Lebensaufgaben berufen: „Liebet eure Feinde!“ Es geht hier nicht um Sentimentalitäten, sondern um unser Handeln: „Tut Gutes denen, die euch hassen!“ Wir können unserem Herzen keine „Liebesgefühle“ anbefehlen. Wir können aber unserem Kopf das „Denken“ und unseren Händen und Füßen das „Tun“ anbefehlen. Dazu ermuntert uns der Apostel Paulus im Römerbrief (12,20): „Wenn dein Feind hungert, speise ihn; wenn er dürstet, tränke ihn! Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse durch das Gute!“ Das ist die schwerste aller Lebensaufgaben. Nur tatkräftige Christen bringen das fertig. Da wir alle auf Christus getauft sind, hat er uns zu dieser schweren Aufgabe berufen.