Die ungeschminkte Wahrheit

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Als ich mir eines morgens vor dem Spiegel mein tägliches Clowngesicht aufmalte, fiel mir plötzlich auf, dass sich die Frauenwelt ungerechterweise in zwei Kategorien aufteilt: Naturschönheiten und solche, die es nicht sind. Naturschönheiten sind seltene Schöpfungen Gottes und zudem höchst ungerecht auf der Welt verteilt. Die weibliche Schönheit scheint jedenfalls von Ost nach West mit wenigen Ausnahmen dramatisch abzunehmen. Leider gibt es keine Garantie dafür, dass es sich mit der Intelligenz umgekehrt verhält, es wäre ein zu schönes Trostpflaster. Ein rumänischer Radiokommentator tönte einst bissig: „Deutsche Frauen – das sind doch die mit den dicken Hintern und den traurigen Gesichtern.“ In Anbetracht solch bitterer Worte tröstet es wenig, dass deutsche Frauen als ordentlich gelten oder Deutsche wegen Fleiß und Ehrlichkeit in Rumänien beliebt sind. Umso schlimmer ist es, wenn das nach eigenem Urteil nur mäßig attraktive Gesicht auch noch mit einem hohen Empfinden für Ästhetik kombiniert ist. Denn dann hilft nur der Griff in die Trickkiste, um dessen Anblick erbaulicher zu machen: das Schminkkästchen!

Männer werden jetzt aufstöhnen und die Augen verdrehen, denn sie hassen unsere kleinen Freunde wie Lippenstift, Lidschatten und Gesichtspuder. Männer lieben Natürlichkeit! Dies jedoch, bitte schön, nur in Maßen. Denn Damenbart, Bein- und Achselhaarwildwuchs einer auf Natürlichkeit bedachten ehemaligen Kollegin lösten statt Begeisterung bloß zynische Kommentare hinter ihrem Rücken aus, die mit dem Zusatz endeten: „Kann die sich nicht ein bisschen zurechtmachen? Dann würde sie gar nicht schlecht aussehen!“ Dass sie ein blitzgescheiter und warmherziger Mensch war, wurde nicht zur Kenntnis genommen. Fazit: Wie man‘s macht, ist es unrecht. Deshalb machen wir Frauen sowieso, was wir wollen.

Rasieren, schminken, Nägel lackieren und Haare färben, als Überlaufventil eines unbändigen Kreativitätsüberschusses, der sich irgendwie Luft machen muss, oder eben demonstrativ puristisch, nach dem Motto „meine Werte liegen woanders“. Was natürlich auch auf schöne Frauen zutreffen kann, denn trotz der Beliebtheit von Blondinenwitzen gibt es keine umgekehrte Proportionalität zwischen Aussehen und Intelligenz oder inneren Werten. Zudem haben Schminkfrauen ein besseres Orientierungsvermögen – in der Handtasche zumindest, weil sie geübt sind, sich zwischen Cajalstift und Notizblock, Handy, Puderdose, Schlüsselbund und Führerschein problemlos zurechtzufinden...
Zugegeben, man kann es mit dem Schminken auch ein wenig übertreiben. Dies trifft dann zu, wenn man beim morgendlichen Blick in den Spiegel erschreckt ausruft: „Dich kenn ich zwar nicht – aber ich wasch dich trotzdem!“