Die Wand, die verbindet

Buchvorstellung zu Dan Perjovschis „Horizontale Zeitung“

Dan Perjovschi, Schöpfer der „Horizontalen Zeitung“. Fotos: der Verfasser

Ausschnitt aus der Horizontalen Zeitung

Gloria Luca: „Dan Perjovschi. The Horizontal Newspaper. A School of Text and Image“, erschienen bei Curtea Veche, ISBN: 978-606-44-1280-5

Wer am Gebäude des Hermannstädter Radu-Stanca-Nationaltheaters vorbeigeht kann nicht anders, als vor Dan Perjovschis „Horizontaler Zeitung“ kurz stehen zu bleiben und wenigstens eine Minute davor zu verweilen. Dass die eine Minute dann doch länger dauert, ist der Aktualität, der besonderen Darstellungsart und auch der bewussten Ironie der verschiedenen Abbildungen zu verdanken.

Im Jahr 2012, als die Wand, die Dan Perjovschi in der Mansarde des Nationaltheaters in Bukarest als Leinwand nutzte, den Abbruchhammern geopfert wurde, begann in Hermannstadt/Sibiu die Geschichte der „Horizontalen Zeitung“. Im ersten Jahr wurde, als Testphase, die Innenmauer des Hofes des Radu-Stanca-Nationaltheaters dafür benutzt, um ab 2013 die Straßenseite derselben Wand in Anspruch zu nehmen. Perjovschis „Horizontale Zeitung“ ist nun aus dem Hermannstädter Stadtbild nicht mehr wegzudenken und gilt als die langwierigste künstlerische Intervention im öffentlichen Raum in Rumänien. „Damit versuche ich, die Geschehen in der Welt festzuhalten, auch wenn diese nicht mehr unbedingt den öffentlichen Diskurs bestimmen“, erklärt der Künstler. 

Im Rahmen der Vortragsreihe des Hermannstädter Internationalen Theaterfestivals wurde am Freitag, den 16. Dezember, ein besonderes Buch vorgestellt. Es handelt sich dabei um eine Studie der Künstlerin Gloria Luca über Dan Perjovschis „Horizontale Zeitung“ in Hermannstadt. Die in Jassy/Ia{i geborene Künstlerin bietet in dem Buch nicht nur eine chronologische Dokumentation des Kunstwerks an, sondern untersucht diese auch aus pädagogischer und zivilgesellschaftlicher Perspektive. Die in Madrid lebende Gloria Luca erklärte in ihrer für die Buchvorstellung vermittelten Videobotschaft, dass man in diesem Fall in „Dan Perjovschi den Künstler als Bürger“ wahrnehmen müsse. Zugleich hob sie die besondere Partnerschaft mit dem Theaterfestival und dem Hermannstädter Theater hervor, die den Mut hatten, den öffentlichen Raum in einen „Ausstellungs- und Debattierraum“ zu verwandeln. „Rumänien braucht starke Institutionen, mit denen Künstler in Partnerschaft treten können, um sich frei ausdrücken zu können“, erklärte die Buchautorin. Zum Thema des öffentlichen Raums bemerkte Dan Perjovschi selbst, welcher als Moderator durch den Abend führte: „Für mich ist der öffentliche Raum in Hermannstadt der Raum der Revolution von 1989, darum ist mir die Freiheit so wichtig. Darum versuche ich, diesen Raum durch diese Zeitung zu zelebrieren.“ Zugleich definierte er das Theaterfestival und dessen Direktor Constantin Chiriac als „Schutzschirm für Ausdrucksfreiheit“.

Der Theater- und Festivaldirektor erinnerte an die Anfänge des Kunstprojekts und auch an die Tatsache, dass die Mauer um zwei Meter nach oben erweitert wurde, um Perjovschi genügend „Ausdrucksfläche“ bieten zu können. 2023 wird das Hermannstädter Theaterfestival sein 30-jähriges Jubiläum feiern. Geplant ist, alle Angestellten des Theaters einzuladen, sich an der Gestaltung der Zeitung für diese Jubiläumsauflage, dessen Thema „Wunder“ sein wird, zu beteiligen.


Zu den festen Partnern in der Gestaltung der Zeitung gehört auch der Verein A.L.E.G., welcher sich seit 2004 für Frauen, die Opfer eines Gewalttäters wurden, und für Gleichberechtigung einsetzt. In jedem Jahr gestalten Frauen, die vor den Tätern fliehen konnten, eine Seite der Horizontalen Zeitung. Laut Camelia Proca, Leiterin des Vereins, gestalten die „Siegerinnen“ seit 2018 die Wand mit, wobei ihnen Perjovschi ermöglicht, ihre Botschaft „auf der Mauer zu radikalisieren“. Um die Wichtigkeit der Thematik hervorzuheben, erwähnte Camelia Proca, dass fast jeder vierte Rumäne häusliche Gewalt in der einen oder anderen Form akzeptiere und als „natürlich“ empfinde.

Zwei weitere Partner der Zeitung, beide verkörpert durch den Schriftsteller und Übersetzer Radu Vancu, sind der PEN-Club Rumänien und das Festival „Poets in Transylvania“. Radu Vancu erzählte von der Tätigkeit und dem Einsatz des PEN für verfolgte und unterdrückte Schriftsteller weltweit. Auf der entsprechenden Seite der Zeitung weist PEN-Rumänien, zusammen mit Dan Perjovschi, immer wieder auf diese hin – wie etwa die inhaftierten Schriftsteller in der Türkei. Radu Vancu beschrieb die Horizontale Zeitung als „wahrscheinlich die einzige Mauer der Welt, die verbindet und nicht trennt.“

Das auf Englisch im Curtea-Veche-Verlag unter dem Titel: „Dan Perjovschi. The Horizontal Newspaper.  A School of Text and Image“ erschienene Werk wendet sich an ein breites Publikum, im In- und Ausland, und möchte das Beispielhafte an dem Hermannstädter Projekt als Zusammenwirken von Kunst und Gesellschaft bekannt machen.

Dan Perjovschi gab zu, dass er ungern an der Horizontalen Zeitung mit anderen Künstlern zusammenarbeitet, doch seine Empfehlung an diejenigen, die daran Interesse hätten, lautet: „Erobert eure eigenen Mauern.“