Ein Sonntagskind am Jakobstag im Heiligen Jahr

Laudatio von Dr. Harald Roth zur Verleihung der Honterus-Medaille an Dr. Paul Niedermaier (Teil 1)

Dr. Paul Niedermaier Fotos: George Dumitriu

Die höchste Auszeichnung für besondere Verdienste um den Zusammenhalt der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft

Martin Bottesch, Vorsitzender des Siebenbürgenforums (links) und der Bischof der Evangelischen Kirche A. B., Reinhart Guib, bei der Verleihungszeremonie in der Keisder Kirche

 

Zum 33. Sachsentreffen, vom 29. September bis zum 1. Oktober 2023 im schönen UNESCO-Weltkulturerbedörfchen Keisd/Saschiz abgehalten, wurde die Honterus-Medaille an den renommierten sächsischen Wissenschaftler Dr. Paul Niedermaier verliehen. Sie stellt die höchste Auszeichnung des Siebenbürgenforums und der Evangelischen Kirche A.B. dar, die für besondere Verdienste um den Zusammenhalt der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft vergeben wird. Die Laudatio hielt der Historiker und Theologe Dr. Harald Roth, Direktor des Deutschen Kulturforums östliches Europa in Potsdam. 

Heute hier, beim Sachsentreffen in Keisd, Paul Niedermaier zur Auszeichnung mit der Honterusmedaille beglückwünschen zu können, ist wahrhaftig eine große Freude! Die Frage ist zunächst: als was oder als wen feiern wir ihn? Als herausragenden Wissenschaftler, der auf ein jahrzehntelanges Forscherleben blickt und grundlegende Werke geschaffen hat? Als einen glaubensfesten Mann der Kirche, der ebenfalls über Jahrzehnte hin in wichtigen Funktionen ihre Geschicke mitgestaltet hat? Oder als geradliniges Mitglied der Gemeinschaft, das sich stets auch in gesellschaftlichen und politischen Fragen der Verantwortung gestellt hat? Sicher feiern wir ihn für all das zusammen, für seine außergewöhnlichen Leistungen im Hauptberuf genauso wie für das erfolgreiche Engagement im Ehrenamt und für sein uneigennütziges gesellschaftliches Wirken. All dieses knapp zusammenzufassen ist angesichts der übergroßen Fülle eine gewisse Herausforderung. 

Paul Niedermaier ist ein Sonntagskind. Und zwar ein Sonntagskind, das am Jakobstag geboren wurde. Und immer, wenn der Jakobstag, der 25. Juli, auf einen Sonntag fällt, wird in der Kathedrale über der Grabstätte des Heiligen, in Santiago, ein Heiliges Jahr ausgerufen. 1937 war so ein Heiliges Jahr, als er in Hermannstadt zur Welt kam. Und so sehr ihn sein fachliches Interesse, seine gefragte Expertise, dann aber auch die Zerstreuung von Familie und Freunden auf unserem schönen Kontinent herumbrachten, so blieb sein Geburtsort doch stets das Zentrum seiner Biographie und seines Wirkens. Seine Peregrinatio academica währte wenige Jahre: Nach dem Abschluss der Mittelschule in Hermannstadt ging er mit 18 Jahren zum Architekturstudium nach Bukarest. Bereits während dieser sechs Jahre an der Ion-Mincu-Universität befasste er sich mit Architekturgeschichte, und der junge Architekt konnte nach einer vorübergehenden Anstellung in Temeswar schon 1963 wieder nach Hermannstadt ziehen: Im Laufe der acht Jahre seiner Anstellung am Brukenthalmuseum hatte er Gelegenheit, nachhaltig gestaltend etwa am Konzept des Freilichtmuseums im Jungen Wald mitzuwirken – aus einem zunächst eng geplanten Museum ließ er jene großzügige und wichtigen Erweiterungen bis heute Platz einräumende Anlage entstehen, die wir alle gut kennen und schätzen und die wir uns anders gar nicht vorstellen könnten. 1971 fand Paul Niedermaier den Weg in jenes Institut, an dem er künftig seinen Neigungen nachgehen und sich der Bau- und Siedlungsforschung widmen konnte, nämlich an das damalige Zentrum für Sozialwissenschaften der Rumänischen Akademie in Hermannstadt. Hier intensivierte er seine Forschungsarbeiten und seine Doktorarbeit zum siebenbürgischen Städtebau entstand – eine grundlegende Monographie inklusive der Erarbeitung einer spezifischen Methodologie, die 1979 in deutscher Sprache parallel sowohl bei Kriterion in Bukarest wie auch in der Reihe „Siebenbürgisches Archiv“ des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde im Böhlau Verlag in Köln erschien. Damit ist neben dem Akademie-Institut zugleich ein zweites wissenschaftliches Standbein Niedermaiers genannt, denn schon seit den frühen siebziger Jahren war er dem Rechtsnachfolger des alten Landeskundevereins, 1962 in Heidelberg wiedergegründet, aufs Engste verbunden, trotz der oft schwierigen Verhältnisse über die damaligen Systemgrenzen hinweg. 

In seiner Forschungsarbeit ließ sich Paul Niedermaier von politischen Vorgaben oder Einschränkungen nicht beeindrucken; er war sich nicht zu schade dafür, Forschungsergebnisse als Zeitungsserien zu publizieren, oder mitunter schrieb er auch für die Schublade für bessere Zeiten. Denn als gläubigem Menschen gehören für ihn Hoffnung und Zuversicht in jeder Situation zum eigenen Selbstverständnis dazu. Vor einer besonders starken emotionalen Herausforderung stand er daher 1987, als er zum Kurator der Hermannstädter Stadtpfarrgemeinde gewählt wurde und der Apparat der Staatsmacht ihn in übelster Weise bedrängte. Er musste sich letztlich gegen seine Neigung und sein Gewissen und für den Broterwerb, seine Institutsstelle entscheiden, eine Belastung, die ihm noch lange Jahre nachgehen sollte. Freilich konnte er nach der politischen Wende sein Wissen und seine Tatkraft nicht allein der freien Forschung, sondern auch der Kirche widmen, indem er zunächst zum Bezirkskirchenkurator gewählt wurde und 1999 das Amt des Landeskirchenkurators für neun Jahre übernahm; er machte damit noch einmal anschaulich, wie sich in Siebenbürgen Wissenschaft und Kirche noch immer in sehr harmonischer und fruchtbringender Weise zusammenfügen ließen. 

Es war für ihn auch selbstverständlich, für das Hermannstädter Forum zunächst für den Stadtrat und dann für den Kreisrat zu kandidieren und die erworbenen Mandate mit Zuverlässigkeit und Umsicht wahrzunehmen, auch wenn das neben den vielfältigen Aufgaben in seinem Institut und mit den kirchlichen Ämtern allein schon zeit- und kräftemäßig eine He-rausforderung sein konnte. Aber Paul Niedermaier hatte sich ganz bewusst dafür entschieden, in Siebenbürgen zu bleiben, wo er wichtige Aufgaben zu erfüllen sah; dafür hat er hohe private Opfer in Kauf genommen. Auch Schicksalsschläge blieben nicht aus wie die materiellen Verluste während des Umsturzes im Dezember 1989 oder der Tod seiner zweiten Frau Astrid als Folge einer heimtückischen Krankheit. Auch hier war es die feste Verankerung im Glauben, die ihm stets von Neuem Halt und Richtung gab. Eine ganz besondere Freude war und ist es ihm, dass seine beiden Kinder nach einer gewissen Zeit der Etablierung in Deutschland ihre Wege nach Siebenbürgen fanden und hier ein gemeinsames Vorhaben mit ihrem Vater in Angriff nahmen und aktiv dabeibleiben. 

Was Paul Niedermaier nicht nur im Kreise seiner Landsleute, sondern in ganz Rumänien und in der wissenschaftlichen Welt bekannt machte, das waren und sind seine Forschungsarbeiten. Gleich nach der Wende begann er damit, sein grundlegendes dreibändiges Werk zum Städtebau Transsilvaniens, also Siebenbürgens, des Banats, des Kreischgebiets und der Marmarosch, für den Druck vorzubereiten. Und wer diese Bände benutzt hat, weiß, wie enorm gehaltvoll sie sind und dass Niedermaier gar nicht anders kann, als interdisziplinär zu denken, zu forschen und zu schreiben: es fließen hier Erkenntnisse des Architekten, des Bauhistorikers, des Historikers, des Siedlungs- und Demographieforschers, des Kunsthistorikers, des Wirtschaftshistorikers, ja selbst des Naturkundlers mit ein, wenn bei allem immer auch Klimadaten, Informationen zum Vegetationswandel oder zur Bodenbeschaffenheit berücksichtigt werden. Dass er sich zusätzlich noch Material aus der Sprachforschung beschafft und dieses in seine Überlegungen mit einbezieht, sei eigens betont. Die methodische und fachliche Vielfalt seiner Arbeiten zeigt auch das Schriftenverzeichnis in der Festgabe, die er zum 70. Geburtstag vom Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde erhalten hatte und die unter dem Titel „Städte, Dörfer, Baudenkmäler. Studien zur Siedlungs- und Baugeschichte Siebenbürgens“ über vierzig seiner verstreut erschienenen Aufsätze vereinte – und zum Glück folgten noch viele andere wichtige Arbeiten wie etwa zwei zusammenfassende Bände in rumänischer Sprache. Was Niedermaiers Forschungsarbeit durchgehend auszeichnet, ist aber nicht nur die Verbindung vielfältiger fachlicher Disziplinen. Es ist ein deutlich über das eigentliche Siebenbürgen hinausweisender Blick, nämlich auf den gesamten Donau-Karpaten-Raum. Einerseits bezieht er dabei jene Regionen ein, die westlich benachbart in einem engen kultur- und siedlungsgeschichtlichen Zusammenhang mit dem Hochland innerhalb des Karpatenbogens stehen, also die Gebiete von der Unteren Donau über die östliche Pannonische Tiefebene bis hin zu den Waldkarpaten. Zugleich aber bezieht er auch den Norden, Osten und Süden, also was heute Ukraine, Moldau und Walachei heißt, in seine Betrachtung mit ein, da einerseits von dorther laufend neue Völkerschaften nach Westen und Süden und somit auch nach Siebenbürgen drängten, andererseits aus Siebenbürgen heraus entscheidende Einflüsse in diese Gebiete hinein wirkten – es ist also eine ganzheitliche Betrachtungsweise dessen, was man als Überlappungs- und Beeinflussungsraum Mitteleuropas und Südosteuropas sehen kann. Besonders deutlich wird dies in seinem neuesten Buch „Siebenbürgen im südosteuropäischen Raum“, einer Synthese seiner jahrzehntelangen Forschungen, eine Art Summa vitae – oder jedenfalls eine Summa der vita academica. Er zeichnet darin die gesamte, überaus komplizierte Siedlungsgeschichte unzähliger Völkerschaften vom Beginn des Hochmittelalters, also ab dem 9. Jahrhundert, bis zur Blütezeit der siebenbürgischen Städte im Spätmittelalter nach. Hier wird besonders anschaulich, wie sicher er die verschiedenen Disziplinen miteinander zu verbinden weiß und neue Techniken und Technologien wie etwa Satellitenaufnahmen oder die Archäogenetik in seine Auswertung mit einbezieht – wenn er etwa rekonstruiert, wann welche Hilfs- oder Teilvölker in bestimmten Gegenden und mit welchen Aufgaben angesiedelt wurden, wie die sich abwechselnden Machtblöcke etwa der Großmährer, der Bulgaren oder der Ungarn um das siebenbürgische Salz stritten und ein enges Geflecht an Verhauen und Grenzen anlegten, und wie schließlich erst an einem Endpunkt dieser diffizilen Entwicklung die mittel- und westeuropäischen Hospites, die Vorfahren der Sachsen, in ein keinesfalls unbekanntes oder unbewohntes Land kamen – spannender kann Geschichte eigentlich kaum sein, zumal wir viele ihrer Reste bis heute mit Händen greifen können, wenn wir denn nur die Spuren mit Niedermaiers Hilfe zu lesen lernen. Eine Synthese dieser Intensität und Qualität hätte niemand anderer vollbringen können außer ihm, diese Leistung ist singulär!  

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