Ein Suchen und Finden von Balance zwischen Leben und Arbeit

Das Kinderheim „Steps of Hope“ bei Hermannstadt fördert die Begeisterung zum Handwerk

„Sage noch einer, dass im kommunistischen Rumänien nichts hergestellt wurde!“ Rentner Gigi Mămularu zeigt dem Elftklässler Sebastian Iuga patriotisch stolz das Innere einer Milligramm-Feinwaage der historischen Marke „Balanța“, Baujahr 1984.

Die Finger von Handwerksmeister Teodor Dogaru… dessen Leistungsbereitschaft sich im Nu auf Viertklässler Dorin überträgt. | Fotos: Klaus Philippi

Die Finger von Handwerksmeister Teodor Dogaru… dessen Leistungsbereitschaft sich im Nu auf Viertklässler Dorin überträgt. | Fotos: Klaus Philippi

Iarin Casangiu und Cristina Dogaru probieren aus, welches Spiel die Stellschrauben einer Waage benötigen.

Mit solchem Gerät in der Hand lernt Kinderheim-Bewohner Dorin in Thalheim vieles zu tun, was in einer Stadt aufwachsende Kinder gewöhnlich gar nicht erst versuchen.

Man kann zwar nicht wirklich etwas dafür, doch beim Lesen oder Hören des Wortes Kinderheim schießen einem natürlich auch und gerade Gedanken an Schwierigkeiten in den Kopf. Nur hat, wer da schon gleich das Handtuch wirft, entsprechend keine Chancen, sie aus dem Weg zu räumen – haargenau das aber geschieht von früh bis spät im Haus, Hof und Garten des schweizerisch unterstützten Vereins „Steps of Hope“ im spannenden Dorf Thalheim/Daia bei Hermannstadt/Sibiu. Keine Frage, dass der Erfolg davon sich seit bereits über zehn Jahren sehen lassen kann: hier hat nicht bloß der Hornbach-Baumarkt kostenlos Hilfe geleistet, nein, sondern längst auch das zu zünden begonnen, was tagtäglich im Kinderheim selbst vor sich geht. Einem Teenager etwa, der vergangenes Jahr im Kinderheim „Steps of Hope“ seinen 18. Geburtstag gefeiert hat, ist nach handwerklicher Ausbildung in der Fachschule Hermannstadt des Automobil-Zulieferunternehmens „Continental“ der Schritt in die Selbstständigkeit geglückt. Als technischer Arbeitnehmer beim selben Konzern steht er privat, beruflich und finanziell endlich auf eigenen Füßen. 

Davon träumt auch Sebastian, aktuell ebenfalls 18 Jahre alt. Er pendelt jeden Tag mit dem Bus nach Hermannstadt, wartet früh am Dorfrand auf das Fahrzeug, das ihn und viele andere mitnimmt. Zu jeder Jahreszeit und bei wirklich jedem noch so unangenehmen Wetter. „Diese Kinder sind hart im Nehmen und an ein schwieriges Leben gewöhnt“, meint anerkennend Handwerker Teodor Dogaru, der Sonntag für Sonntag nachmittags seiner Stadt den Rücken kehrt und sein Know-How in Thalheim weitergibt. Denn im Dorf, wo der Verein „Steps of Hope“ sich ins Zeug legt, ist nach acht Schuljahren das Höchstziel erreicht, und  Teodor Dogaru glaubt, dass Thalheim seinen Schulbank-Drückern trotz guter Absicht nicht alles Wichtige beibringt, was ein gelingendes Leben ausmacht. Zumal Jugendliche wie Sebastian auf dem Arbeitsmarkt als Handwerker statt an einer Universität studierte Theoretiker viel geeigneter fündig werden. In Hermannstadt ist er Schüler der 11. Klasse eines Gymnasiums, das Kaufleute ausbildet. 

„Mathematik!“, kommt es wie aus der Pistole geschossen, sobald Dorin als sieben Jahre jüngerer Mitbewohner von Sebastian und etwa 20 weiteren Mädchen und Jungen im vor langer Zeit einmal siebenbürgisch-sächsisch evangelischen Pfarrhaus die Frage nach seinem Lieblings-Fach in der Thalheimer Schule beantworten soll. Und gleich an Position zwei in der persönlichen Rangliste „Sport, wegen der Gymnastik.“ Teodor Dogaru hält viel von dem energischen Jungen, der dem Werkeln am Sonntagnachmittag entgegenfiebert, und spannt ihn fest in das Restaurieren von über 20 antiquarischen Waagen der vormals aktiven und über Jahrzehnte hin prominenten Hermannstädter Fabrik „Balanța“ ein. Dem Verein „Șura Culturală Gușterița“ im dörflichen Stadtteil Hammersdorf schwebt schließlich die Eröffnung eines Museums zur Erinnerung an die „Balanța“ und ihr Vorgängerunternehmen „Hess“ vor, das vier Jahre vor Ende des 19. Jahrhunderts gegründet wurde, wobei die vielen alten Exponate allein von Hand gereinigt werden können, wollen und müssen. Auf eine fette Portion Geduld kommt es dabei an. Dorin aber tut nichts lieber, als mit der Flachzange ein vom Rost angefressenes Stück aus dem schäumenden Heißwasserbad zu greifen und sich umgehend mit einer Drahtbürste in der anderen Hand an die mühsame Arbeit zu machen. Weinessig der Traditionsmarke aus Bistritz und etliche Tüten Speisenatron von Dr. Oetker machen diese Brühe zum Killer von Schäden. 

Zwölf Kinderheime sind dem Hermannstädter Kreisamt für Sozial- und Kinderschutz rechenschaftspflichtig, und eines von ihnen darf sich schon jetzt rühmen, den handwerklichen Löwenanteil für das Eröffnen des Waagen-Museums in Hammersdorf bestritten haben zu werden. „Teodor Dogaru ist ein wunderbarer Mensch für uns!“, sagt Iris Moser, die Leiterin des Kinderheims „Steps of Hope“. Und wie recht sie hat, weil der Hermannstädter beherzte Werkstatt-Chef den professionell betreuten Erwachsenen von morgen in Thalheim in der Tat eine ordentliche Dosis technischen Unterrichts gibt, die man in Rumänien leider fast schon suchen muss wie die Nadel im Heuhaufen. 

Den Nachwuchs-Handwerkern hingegen kommt die Bresche wie gerufen. Außerdem lernen sie von ihrem Meister Teodor Dogaru, was geht und was nicht. Wo man die historischen Schichten Farbe auf den gusseisernen Waagen, denen der Rost zu Leibe gerückt ist, wie neu ergänzt, und wo man es besser sein lässt, falls die Schäden am Altmetall doch zu weit fortgeschritten sind. Das weiß auch Wirtschafts-Dozentin Roxana Savescu von der Fakultät der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt für Ingenieurswesen, die am Sonntagnachmittag in Thalheim gerne mit dabei ist, nicht besser. Begleitet wird Teodor Dogaru dabei auch von seiner Frau und einem dritten Jungen aus Hermannstadt, der Iarin heißt und ungefähr so alt wie Kinderheim-Bewohner Dorin ist. Alles Leute, deren Präsenz jungen Menschen wie Sebastian und Dorin ein Gefühl von Freude geben soll. Dass das klappt, spürt man bei jedem noch so kleinsten Kontakt zu den hier Wohnenden, die unbekannte Gäste freundlich ohne Zurückhaltung, Kälte oder Angst grüßen. Wenn das mal nicht guttut! 

Und noch einen bestens aufgelegten Menschen hat Teodor Dogaru ins Thalheimer Waagen-Team geholt: Rentner Gigi Mămularu, der sein Berufsleben in der Hermannstädter Fabrik „Balanța“ verbracht und ihre Produkte auf internationalen Dienstreisen vermarktet hat. Elf Jahre liegt die Betriebseinstellung der „Balanța“ bereits zurück. Wer jedoch glaubt, ihre Story habe nichts mehr zu melden, hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. In den bankrotten Werkstätten nämlich wurden früher nicht nur Küchenwaagen für den üblichen Haushaltsgebrauch, sondern auch Profi-Feingeräte hergestellt. Also Waagen, wie Apotheker, Homöopathen oder Juweliere sie für eine genaue Messung von ein paar Milligramm Pulver oder Edelmetall benötigen. 

Für geschickt Lernende wie Iarin, Dorin und Sebastian sind Teodor Dogaru und Gigi Mămularu die perfekten Impulsgeber zur rechten Zeit am richtigen Ort. Und doch merkt besonders Sebastian als ein 18 Jahre junger Berufs- und Karrierestarter, dass es nicht ausreicht, die Chance auf das Ankommen in der Selbstständigkeit einfach so zu haben. Ihre Verwertung geschieht nun einmal nicht von alleine. Sein gelbes Sweatshirt mit dem blauen Logo von METRO, das ihm der Großeinkaufs-Supermarkt für ein Praktikum geschenkt hat, das er dort ergänzend zum Unterricht am Hermannstädter Wirtschafts-Gymnasium leistet, trägt er mit Stolz. Aber es wäre „schwer“, in der Schule dranbleiben und täglich rasch von ihr zum METRO-Markt und wieder zurück fahren zu müssen. Von seiner Verantwortung für das Kontrollieren und Managen der Einkaufswaren von Hand dagegen weiß er sehr genau Bescheid, und als Noch-Bewohner des Kinderheims „Steps of Hope“ in Thalheim hat Elftklässler Sebastian die allerbesten Karten, die man ihm für das Spiel um ein lohnendes Leben nur wünschen könnte. Es wiegt enorm viel, so einem weiten Ziel greifbar nahe auf den Geschmack gekommen zu sein. „Steps of Hope“ macht möglich, was es verspricht. Etlichen Schwierigkeiten zum Trotz.