Eine solidarische Gemeinschaft braucht nicht viel Raum...

...sondern nur gutes Werkzeug und viel Offenheit zum Lernen

Fertigmachen zum Draufhauen – das Mädchen in Rosa passt haarscharf auf…

...und macht wenig später tatsächlich alles auf Anhieb richtig.

Werkstatt-Managerin Anda Ghazawi (links, stehend), Therapeutin Eva aus Bremen (hinten, stehend) und ihre Tochter Lyssi (sitzend, teilweise von Anda Ghazawi verdeckt)

Handwerk ist vor allem das: eine Konzentrations-Übung

„Hast du etwa nicht gefrühstückt? Komm, drehen wir zu zweit!“ | Fotos: Klaus Philippi

Letzte August-Woche am Huetplatz in Hermannstadt/Sibiu. Sie ist zwar schon vorbei, die Schauwerkstatt der Gesellenherberge/Casa Calfelor, richtig. Aber es wäre schade um den Huetplatz, die Sache allein beim Zugucken zu belassen. Handwerk schließlich lockt nun einmal doch zum Anfassen, und wenn es rings um die evangelische Stadtpfarrkirche einen Winkel gibt, wo man Geräte, Bierbänke und Zeltdach für das Ausprobieren anspruchsvoller Arbeiten aufstellen kann, dann die Huetplatz-Ecke zwischen dem letzten Tisch im Café Wien und den ersten Stufen unter dem Sagturm: hier wird an sechs Halbtagen binnen zwei Wochen stundenlang nach allen Regeln der Kunst getüftelt. Von Schulkindern und Teenagern, die bestimmt nie mehr wieder vergessen werden, was ein paar Handwerkergesellen und Profis aus dem In- und Ausland ihnen beibringen. Ganz gleich, ob es unüberhörbar laut klingt oder total geräuschlos passiert, denn was letztlich begeistert, sind mit Händen zu greifende Resultate des eigenen Schuftens.

Natürlich gibt es einen starken Unterschied zwischen hartnäckigem Eisen und leicht in Form zu drückendem Plastilin, und trotzdem ist weder dem einen noch dem anderen Rohstoff ohne eine satte Dosis Geduld nicht beizukommen. Auch die Laubsäge hat durchaus ihre Tücken, wie Kinder der Waldorf-Schule im nahen Rothberg/Roșia beim sperrigen Ausschneiden von Schmetterling- und Fischformen aus dünnen Holzplatten deutlich zu spüren bekommen. Für Hilfe allerdings ist gesorgt: um die Heim- und Handwerker von morgen kümmern sich Gesellen auf der Wanderschaft und Freiwillige aus Rumänien und Deutschland. Weil es sich längst herumgesprochen hat, dass mitten in Hermannstadt Handwerken jede Menge Leute anzieht.

Und damit gemeint sind natürlich nicht nur Scharen von Touristen, die oft und gerne wie plötzlich festgenagelt stehenbleiben, um sich das Treiben am Platz vor der Gesellenherberge genauer anzusehen. Direkt mit von der Partie sind nämlich Erfahrene wie Therapeutin Eva aus Bremen, die in Norddeutschland acht Stunden täglich mit bis zu 16 psychiatrisch kranken Straftätern auf einmal gärtnert. „Ich bring denen bei, wie man im Garten arbeitet, und dass es eine sinnvolle Beschäftigung ist.“ Klar, am Huetplatz in Hermannstadt unter den Rothberger Waldorf-Schulkindern gibt es verständlicherweise null Übeltäter, und erst recht keine öffentlich für behindert erklärten. Es sind dagegen größtenteils Roma aus bettelarmen Familien, denen es guttut, besonders nett angesprochen zu werden. Kein Wunder, dass ihnen die Arbeit mit grauer und angefeuchteter Knetmasse unter so einer Bedingung leicht von der Hand geht. Gegenstände wie kleine Tassen inklusive Henkel oder Schnecken formen sie, aber alles nur für Zierzwecke und späteres Bemalen, weil ihre handlichen Sachen nicht aus Lehm gearbeitet sind und ausschließlich an der Luft ohne Aushärtung im Ofen trocknen. Trotzdem ist sich Bremerin Eva für die Kinder-Werkstatt der Gesellenherberge im ziemlich fernen und rumänischen Sibiu nicht zu schade. Auch ihre Tochter Lyssi macht mit beim Form Geben.

Einen Tisch weiter geht die Puste schon merklich rascher als beim Kneten, Walken und Bearbeiten handgroßer Kugeln Plastilin aus – Zimmermanns-Geselle Andi aus Deutschland zeigt Mädchen und Jungen, wie Laubsägen zu handhaben sind, wenn vorgezeichnete Tiermodelle aus Holz entstehen sollen. Dass er es wahrscheinlich nicht gewohnt ist, ausgerechnet Kindern im Grundschulalter den ein oder anderen Trick beim Anlegen und Steuern einer Laubsäge zu zeigen, sieht man ihm an. Doch er tut sein Bestes, spricht auch schon einige Wörter Rumänisch, und vier weitere helfende Hände wiederum leisten ihm und seinen Lehrlingen jede Unterstützung: Sabrina, Tourismus-Studentin aus Deutschland, und Schweizerin Johanna Reber, Pädagogin an der Waldorf-Schule Rothberg. Etwa 50 Kinder aus Rothberg insge-samt werden eine spannende Zeit in der Werkstatt der Gesellenherberge Hermannstadt zum Sommerferien-Ende verbracht haben.

„Mir tut die Hand weh!“, heißt es einige Male nach gewisser Zeit am Laubsägen-Tisch, weil immerhin die Kraft beider Arme nötig ist, um das Werkzeug möglichst flüssig ohne Rütteln in die am Tisch abzustützende Holzplatte sägen zu lassen. Anda Ghazawi dafür, seit 18 Jahren mit der Gesellenherberge in Kontakt stehend und vielseitig einsetzbare Sekretärin der Waldorf-Schule in Rothberg, weiß, worauf es ankommt: „Hier macht ihr eure Muskeln warm“, antwortet sie den Kindern, auf die noch eines der schwersten und ältesten Handwerke wartet.

Aber es macht Spaß, das Schmieden, wenn man den Dreh mit dem Hammer heraushat und die Treffsicherheit beim Schlagen auf eine glühend rote Eisenstab-Spitze gegeben ist. Geselle Stefan lebt „seit 12 Jahren“ in Hermannstadt und tut somit, was Wandergesellen in der Regel besonders hier auf Walz in Siebenbürgen und Rumänien eher meiden, zumal als ausländische Staatsbürger. Dass Stefan, wie Anda Ghazawi erzählt, eigentlich gelernter Klavierbauer ist, merkt man seinem kühlen Umgang mit Steinkohle-Feuer, Eisenrohlingen, Zangen, Hammer und Amboss nicht an. Er beherrscht es souverän und hat auch den Gesellen Adi aus Reichesdorf/Richiș, Absolvent einer dreijährigen Zimmermanns-Lehre, überzeugt, mit dem Schmieden anzufangen. „Ja, ich dürfte ab jetzt auch reisen“, bestätigt Adi. Die Gesellenherberge Hermannstadt nur scheint ihn vorerst zufrieden zu fesseln.

Genau darauf ist Anda Ghazawi stolz. Dass mancher Handwerker und manche Handwerkerin hier auch schon von mal von anderen gelernt und sich ausgerechnet in Hermannstadt umorientiert oder fachlich weitergebildet hat. Unbedingt nicht zu vergessen auch all die Kinder aus dem Ausland, aus der Stadt, aus Kinderheimen und überhaupt aus benachteiligten Verhältnissen, die durch Handwerk miteinander in Kontakt treten – Gemeinschaften, die beim Arbeiten entstehen, haben gute Chancen, jede Werkstatt-Zeit zu überdauern und das spätere Leben zu stützen. Es ist nicht einfach so belanglos gewählt, das Versprechen „Susținem identități, creăm comunități“ (wir unterstützen Identität, wir schaffen Gemeinschaft) der Hermannstädter Gesellenherberge auf ihrem Kinderwerkstatt-Plakat. Ende August 2023 hatte sie auch schon genau die gleichen Schlagwörter ausgerufen. Und auch diesmal ist dafür die Rathaus-Kasse geöffnet worden. Neugierig auf das Sommerferien-Ende im nächsten Jahr geworden? Die Gesellenherberge bleibt sicher dran! Plakate, die unterwegs in der Stadt zufällig nicht erkannt wurden, hält ihr Facebook-Account bereit. Hineinschauen, Anmelden und Loslegen lohnt sich!