Es lebe der Stau

Symbolfoto: sxc.hu

Bei den täglichen Fahrten auf der DN1 in Richtung Bukarest fiel mir auf, dass man bei Regen, Nebel oder Schnee wesentlich schneller ankommt. Das liegt daran – weil wir dann nämlich wesentlich langsamer als sonst fahren! Hä? Nein, dies ist kein Umkehrschluß der Einsteinschen Relativitätstheorie, die besagt „je schneller sich ein Objekt bewegt, desto langsamer vergeht die Zeit“. Es liegt vielmehr daran, dass die Hauptstadt nicht mehr als X Fahrzeuge pro Sekunde schlucken kann, ohne spätestens an der Băneasa Kreuzung heftig ins Würgen zu geraten. 

Wenn also alle brav die legale Geschwindigkeitsbegrenzung einhalten, ohne mit 110 durch die Ortschaften zu preschen, mit Lichthupe „Hindernisse“ wie kleine Dacias, telefonierende Wichtigmänner oder sich ans Lenkrad klammernde Rentner aus dem Weg zu fegen, ohne sich in sportlichem Rechts-Links-Slalom durch die fließende Kolonne zu drängeln und den ein oder anderen zu einer Beinahe-Vollbremsung zu veranlassen, rollt man von Periş aus nahezu automatisch nach 20 Minuten durch die Tore der Hauptstadt. Wenn hingegen bei Schönwetter und trockener Straße die Anzahl der Möchtegern-Rennfahrer exponenziell zunimmt, dauert es 30 Minuten und ein paar Prä-Herzinfarkte, bis man endlich an einer völlig verstopften Băneasa-Kreuzung ankommt, wo man – Überraschung – all die Drängler wieder trifft!

Mit hochroten Köpfen und deftigen Flüchen auf den Lippen, die man als langjähriger Rumänienkenner zwar auch aus der Entfernung mühelos entziffern kann, nicht aber, dass man das immer möchte... Haben Sie mal eine verstopfte Kreuzung von oben gesehen? Sieht aus wie ein Thrombus in einem Herzkranzgefäß, an dem irgendwann rein gar nichts mehr vorbeikommt, weil alle Blutkörperchen - äh, Autos - fest ineinander verkeilt sind. Staus sind die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts an soziale Kompetenz und Kreativität. Ein Wunder, dass die Vergnügungsindustrie nicht längst entsprechend reagiert hat.

Wie wäre es zum Beispiel mit vom Seitenfenster her ausklappbaren Schachbrettchen, die am Fensterrahmen des Staunachbars einhaken, für eine kleine, gemütliche Partie – alternativ auch als Kaffeetischchen zu nutzen? Wie wär‘s mit bunten Schiefertäfelchen zum Aufkritzeln von witzigen Flirtbotschaften (am besten mit einem ideengebenden Begleitheft auszuliefern)? Oder dem tragbaren Pufferspeicher für die überflüssige Motorhitze, den man morgens mit ins kalte Büro nehmen kann? Wie wärs mit der extraflachen Bratröhre, unter der Kühlerhaube einzuschieben, die man vor der Heimfahrt am Abend mit dem rohen Fleisch bestückt und zu Hause den fertig gegarten Braten auspackt; oder, als besondere technische Herausforderung, mit dem damentauglichen Pinkelset für unterwegs?

Für den Stau könnte es einen ganzen Industriezweig geben! Potenzielle Kunden produziert Bukarest jedenfalls genug. Am besten zum Thema Stau gefiel mir einst eine Radiodurchsage: Um Viertel vor Acht sei in der Sowienoch-Straße täglich dichter Stau, kommentierte der Sprecher und fügte dann einen wirklich praktischen Rat hinzu: „Wie wär’s, wenn sich alle Verkehrsteilnehmer dazu entschließen könnten, nur zehn Minuten früher zu fahren?“ Prima! Dann hätten sie wenigsten mehr Zeit für eine Partie Schach oder einen netten kleinen Flirt!