Ethnische Mehrschichtigkeit, Koexistenz und Miteinander

Ein Gespräch mit Sänger Peter Maffay zum Großen Sachsentreffen 2024

Fotos: Aurelia Brecht

Das Highlight des Großen Sachsentreffens war das Konzert, das der Musiker Peter Maffay in Hermannstadt/Sibiu gab. Er stammt aus Kronstadt und wanderte 1963 mit seinen Eltern nach Deutschland aus. Mit der Peter-Maffay-Stiftung engagiert er sich seit 2009 für vernachlässigte, beeinträchtigte und traumatisierte Kinder. Mit dem Konzert am Großen Ring trat der Musiker erstmals in Rumänien auf. Nach dem Festakt am Samstag, bei dem ihm der Ehrenstern der Föderation der Siebenbürger Sachsen überreicht wurde, sprach ADZ-Redakteurin Aurelia Brecht mit ihm über seine Wurzeln, das Treffen und sein Bild von Rumänien.

Herr Maffay, was bedeutet es für Sie, hier zu sein?

In zunehmendem Maße mehr – denn durch jeden Besuch vertieft sich das, was wir in Rumänien in unserer Stiftungsarbeit tun. Durch unsere Präsenz haben wir unmittelbar mit den Menschen zu tun – wir vernetzen uns und möchten Synergien schaffen. Darüber hinaus gibt es den emotionalen Aspekt: Ich merke, dass meine alte Heimat aus meinem Bewusstsein nicht verschwindet und möchte das meinen Kindern nahebringen. Hier können sie jetzt ein bisschen rumänische Luft schnuppern und hoffentlich herausfinden, wie sich das anfühlt – nämlich gut! Meine Frau Hendrikje lernt Rumänien mit jedem Besuch ein wenig besser kennen. So wie ich ihren Hintergrund kennengelernt habe – sie kommt aus der ehemaligen DDR – lernt sie etwas über meine Wurzeln. Wir bringen uns in den Kreislauf von Menschen ein, die Ähnliches tun und dabei – ich habe das vorhin auf der Bühne gesagt – zu Brückenbauern werden. Ich glaube daran, dass das in diesen konfliktreichen Zeiten deeskalierend und sinnvoll ist. Statt Angst voreinander sollten wir Vertrauen zueinander haben. Das kann man sich erarbeiten und es macht Sinn, es zu tun.

Ihr Vater war Ungar, Ihre Mutter Siebenbürger Sächsin. Inwieweit hat Sie das geprägt?

Die ethnische Mehrschichtigkeit bringt ja mit sich, dass man schon als Kind in den jeweils anderen Kulturkreis eintaucht. Nicht nur sprachlich. Das geht weiter mit dem Essen, mit Traditionen, mit Lebensweisheiten. Es geht einher mit der Einsicht, dass man vertrauensvoll zusammenlebt. Über lange Zeit – das hat die Geschichte gezeigt – war die ethnische Vielfalt in Rumänien geprägt von Friedfertigkeit: Man ist gut miteinander ausgekommen. Diese Qualität kann man heute, wo wir Abspaltung und Radikalisierung erleben, nicht hoch genug halten. Es ist wichtig, zu der Einsicht zu kommen, dass wir alle Aufgaben, die vor uns liegen, nur gemeinsam lösen können. Das heißt auch, dass man sein Gegenüber respektiert und ihm Aufmerksamkeit schenkt. Wenn jemand nach Deutschland kommt, so wie auch meine Familie, soll er in unserer Gesellschaft das Gefühl haben, dass er einen Platz darin findet, sofern er die Regeln des Zusammenlebens respektiert.

Mitte Juli fand das letzte Konzert Ihrer Abschlusstournee in Leipzig statt. Das hat auch Symbolcharakter. Welches Verhältnis haben Sie zum ehemaligen Osten Deutschlands, bzw. zum Osten Europas?

Für mich war es immer reizvoll und wichtig, in der damaligen DDR zu spielen. Ich habe den Kommunismus in Rumänien erlebt und hatte dadurch eine hohe Affinität zu den Ostdeutschen. Für mich war ihre Lebensrealität wahrscheinlich – ich will da nicht zu weit gehen – vertrauter als für jemanden, der diese Erfahrung nicht hatte. Und ich nehme an, dass das ostdeutsche Publikum, das meine Herkunft kannte, das ähnlich gesehen hat. Es gab da etwas, das vielleicht bei anderen in dieser Form nicht existiert hat. Eine gewisse – auch da möchte ich nicht zu weit gehen – Vertrautheit. Also haben wir 1990 im Zentralstadion in Leipzig vor dem Hintergrund der Euphorie des Falls der Mauer unser erstes großes Open Air gespielt. Letztlich haben wir alle keine Ahnung gehabt, ob und wann die Mauer fallen würde. Dass es ohne Blutvergießen passiert ist, ist ein Wunder gewesen, das uns alle beseelt und motiviert hat, positiv in die Zukunft zu schauen. Da ist ein Ventil aufgegangen, was enorm war. Daran wollte ich jetzt, 34 Jahre später, mit dem letzten Konzert anknüpfen.

Ärgert es Sie manchmal, wenn die ethnische Mehrschichtigkeit, die in Ihnen steckt, nicht richtig gesehen wird?

Irgendwann hat mich jemand als „Muräne“ bezeichnet, was eine Verballhornung von „Rumäne“ ist. Das habe ich als unsäglich dumm empfunden. Ich glaube daran, dass die Gewalt vom Wort ausgeht und die verbale Gewalt irgendwann in physische Gewalt umschlägt. Es gibt Menschen, die keinen blassen Schimmer vom Effekt der Worte haben, die sie wählen. So etwas ärgert mich, weil es den Weg zu einem respektvollen Miteinander versperrt.

Wie würden Sie sagen hat sich der Dialog zwischen Ost und West entwickelt?

Ich hätte mir gewünscht, dass wir aufhören, in den Kategorien des Kalten Krieges zu denken und zu handeln. Als der Aufrüstungswahnsinn beendet wurde, dachte ich, dass wir endgültig eingesehen haben, dass die Lösung politischer Konflikte nicht in Form von Waffengewalt zu finden ist. Ich bin enttäuscht, dass die Menschheit nicht essentiell aus den Erfahrungen der Geschichte gelernt hat und sich jetzt Dinge wiederholen, die die kommende Generation in ihrer Entwicklung maßgeblich einschränken werden. Ich bin kein Fatalist, aber das, was sich im Augenblick zusammenbraut, ist für die Zukunft der Menschheit nicht gut.

Wie ist das für Sie, morgen hier aufzutreten?

Das ist schon ein besonderes Konzert. Es ist immer mein Ziel, dass die Menschen aus unseren Konzerten in einer beschwingten, beseelten und positiv aufgeladenen Stimmung rausgehen. Keines der Bandmitglieder war vorher in Rumänien. Sie erleben dieses Land zum ersten Mal und sind neugierig darauf. Unsere Band ist ein kosmopolitischer Haufen. Wir haben die Grenzen von ethnischer Herkunft und Hautfarbe vor 50 Jahren überschritten – das ist die richtige Mischung.

Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Hermannstadt?

Zum Beispiel das Büro von Klaus Johannis, als er noch Bürgermeister war. Als wir heute beim Festakt auf der Tribüne saßen, habe ich zum Rathaus geguckt und daran gedacht, dass wir uns dort getroffen haben. Damals habe ich ihn gefragt, wie man mit einer Stiftung in Rumänien arbeitet. Es war ein sehr ermutigendes Gespräch. Aus den Erzählungen meiner Eltern weiß ich um die Bedeutung der Stadt – unsere Familie hatte hier etliche freundschaftliche Bindungen. Im Laufe der Jahre haben wir Siebenbürgen bereist und gerade in letzter Zeit kriege ich viel mehr von der Region und ihren Menschen mit. Die Stiftungsarbeit bringt es mit sich, dass ich im Jahr ein- bis zweimal hier bin.

Wie empfinden Sie Hermannstadt heute?

Für uns ist die Stadt ein Anlaufpunkt. Wenn wir mit dem Flugzeug aus Deutschland kommen, landen wir hier. Hermannstadt hat, nicht zuletzt durch die Wahl zur Kulturhauptstadt, an Bedeutung gewonnen. Klaus Johannis hat hier sehr viel initiiert. Dieser Schwung hat meiner Ansicht nach angehalten, die Stadt ist enorm gewachsen. Aber der Stadtkern bleibt unverändert und ist einfach pittoresk. Etliche Ecken haben etwas Spitzweghaftes an sich. Die Architektur mit den alten Häusern ist unglaublich. Man kann die Fertigkeit der Siebenbürger Sachsen bewundern, Häuser zu bauen. Auf dem Land ist das noch deutlicher, weil die Anordnung der Höfe und das System, das dahinter steckt – das wurde heute in der Rede von Klaus Johannis deutlich – diese Kraft, Übersichtlichkeit, Ordnung, in dieser Form beispielhaft und in Europa nicht überall anzutreffen sind.

Was bedeutet das Große Sachsentreffen für Sie?

Es bedeutet, dass es viele Menschen gibt, die ihre Herkunft in sich lebendig erhalten und die Wurzeln nicht kappen. Gott sei Dank bedeutet es nicht, dass Revanchismus dahinter steckt. Das ist beruhigend. Bei der jungen Generation gibt es das sowieso nicht. Aber auch bei den Älteren ist dieses Moment nicht mehr so ausgeprägt, wie man befürchten könnte. Jeder hat seinen Platz gefunden. Die Räder der Geschichte kann man nicht zurückdrehen – und sollte es auch nicht. Es würde Wunden aufreißen, die verheilt oder fast verheilt sind. Insofern ist die Präsenz der vielen Sachsen, die sich hier treffen und gemeinsam feiern, konstruktiv. Das ist meine Wahrnehmung.

Wo sehen Sie die Chancen in Siebenbürgen oder Rumänien?

Ich nehme Rumänien als eine sehr junge Gesellschaft wahr. Die jungen Leute sind dynamisch – sie haben eine Kraft, von der das Land profitieren kann. Ich habe die Hoffnung, dass daraus genau die Energie erwächst, die ein Land im Aufbruch braucht. Ich unterstelle – vielleicht ist das zu subjektiv – dass die Dynamik in Rumänien eine höhere ist als zum Beispiel in Deutschland. Die deutsche Gesellschaft ist sehr gesetzt und vielleicht nicht mehr so dynamisch wie die Bevölkerung in einem Land, das gerade aufbricht, herauszufinden, wie weit es mit seinen Möglichkeiten kommt. Wir profitieren im Westen ganz bestimmt von dieser Dynamik – und Rumänien könnte von einigen Erfahrungen profitieren, die der Westen vielleicht voraus hat. Wenn dieses Land redlich geführt wird und die Lenker mit den Menschen, mit den Möglichkeiten des Landes, umsichtig umgehen, dann hat Rumänien eine immense Chance. Es ist dünn besiedelt, reich an Ressourcen. Das sind gute Voraussetzungen. Viele Rumänen sind im Ausland und kommen mit hoffentlich guten Erfahrungen zurück. Oder werden zu Wanderern. Ich halte Wanderschaft für etwas ganz Wichtiges, weil man immer gefordert ist, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. So empfinde ich Rumänien.

Was würden Sie einem Deutschen sagen, der Rumänien nicht kennt?

Es gibt Deutsche, die Rumänien für viel weiter entfernt halten als Mallorca. Das ist falsch. Das Land hat viele interessante Aspekte zu bieten, die wir, würden wir sie kennen, in unsere Überlegungen und die Gestaltung unserer Gesellschaft in Deutschland einbringen könnten: Koexistenz ist etwas, was man lernen muss – und kann. Ich erinnere mich, wie wir als Kinder ein Kauderwelsch aus Ungarisch, Rumänisch und Deutsch gesprochen haben. Wenn mir irgendein deutsches Wort nicht eingefallen ist, habe ich Rumänisch gesprochen und mein Gegenüber hat es verstanden. Bei uns leben zwei Millionen Türken und ich habe einen türkischen Freund, mit dem ich mich blendend verstehe. Er kommt auch „von draußen“. „Von draußen“ zu kommen ist ja gut, weil man „nach drinnen“ gucken kann. Es ist auch gut „von drinnen“ „nach draußen“ zu gucken. Das würde ich jemandem empfehlen, der Rumänien noch nicht kennt.