Fritz Balthes oder das Ende der Welt?

Eine Reise zu einem Anwesen, das neu erwacht

Mariana Moore führt durch das Anwesen.

Das Gemeindehaus in Martinsberg, entworfen von Fritz Balthes Foto: Gina Stef

Mariana Moore und Jochen Kusch im Großen Saal des Gemeindehauses

Der Große Saal wird für Kulturveranstaltungen genutzt. Fotos (3): Aurelia Brecht

Zwischen Kirchberg/Chirpăr, Gürteln/Gherdeal und Kerz/Cârța liegt das kleine Dorf Martinsberg/[omartin. Etwa 250 Einwohner zählt der Ort, der zur Gemeinde Braller/Bruiu gehört. An diesem Fleckchen Erde haben sich zwei Menschen zum Ankommen und Bleiben entschlossen: Mariana Moore und Jochen Kusch erwarben vor acht Jahren das Gemeindehaus, das Pfarrhaus und das Schulhaus sowie den dazugehörigen Garten. Eine Entdeckungsreise, die früher und heute verbindet.

Eine Reisegruppe ist zu Besuch. Herzlich gestaltet sich der der Empfang im Großen Saal des Gemeindehauses. Lichtdurchflutet ist der Raum, einst gestaltet vom siebenbürgisch-sächsischen Architekten Fritz Balthes. Früher diente dieser Saal für Theateraufführungen und Konzerte – fast verliert sich die Besuchergruppe jetzt in seiner Weiträumigkeit. Die Gastgeber Mariana Moore und Jochen Kusch empfangen die Reisenden mit Sekt und Amuse-Gueule. Die Spezialität: Das selbstgebackene Sauerteigbrot mit Preiselbeeren und Nüssen, kreiert von Mariana Moore. Mit Butter bestrichen schmeckt es süß und deftig zugleich. Es ist der perfekte Start in die Welt des Martinsberger Anwesens, in dem Kultur und Geschichte neu erwacht.

Von Amerika nach Siebenbürgen

Die Geschichte beginnt im Jahr 2014, in dem sich zwei Menschen in Chicago kennenlernen. Die berufliche Laufbahn bringt sie zueinander – kurz darauf lädt Mariana Moore Jochen Kusch nach Hermannstadt/Sibiu ein. Die beiden unternehmen eine Rundreise durch Siebenbürgen, kurz darauf eine zweite: „Jochen war überrascht, wie schön Siebenbürgen war und ich habe mich dabei neu in die Region verliebt“, erzählt Mariana Moore. Als sie Rumänien vor über zwei Jahrzehnten verlassen habe, sei es ein graues Land, ein Land ohne Farben gewesen. Bei ihren Reisen habe sie irgendwann plötzlich wieder die Schönheit wahrgenommen und dabei gemerkt, dass sich hier etwas bewegte.

Sie selbst ist in einem sächsischen Haus in Bistritz/Bistrița aufgewachsen und wusste auch deshalb bereits viel über die siebenbürgisch-sächsische Kultur. So entstand nach und nach die Idee, ein kleines Sommerhäuschen zu restaurieren: Die beiden mieteten ein Auto  und fuhren los, auf Erkundungstour über die Dörfer, sprachen mit den Menschen, studierten Immobilienanzeigen, kamen mit vielen Fotos zurück. Irgendwann stand fest, dass sie die Gebäude von Fritz Balthes in ihren Bann zogen. Auf Empfehlung eines Freundes fuhren sie nach Martinsberg.

Als sie das Anwesen dort besichtigen, steht schnell fest, dass sich das ursprüngliche Projekt vom kleinen Sommerhäuschen erübrigt hat: Der Saal mit seinen großen Fenstern, seine hohe weitläufige Decke, die alten Türen: „Wir standen oben am Fenster, es war August – und es bot sich uns ein herrlicher Blick auf die Karpaten und das Dorf. Wir haben uns nur angeschaut und uns gesagt: Das ist es!“, erzählt Jochen Kusch. Daraufhin geht alles sehr schnell: Eine halbe Stunde dauert es bis zum Handschlag – dann steht fest, dass die beiden dem Unternehmer Martin Müller das Gemeindehaus, die Evangelische Schule, das Pfarrhaus und den Garten abkaufen.

Einfinden im „Life-Time-Projekt“

Nun beginnt die eigentliche Arbeit: Es braucht Architekten, die sich auskennen, einen Verwalter, Restauratoren. Die erste Zeit gestaltet sich schwierig, weil die beiden das Projekt aus der Ferne betreuen müssen – schließlich folgte die Pandemie: Für Mariana Moore der Auslöser, ein One-Way-Ticket zu kaufen – 2020 zieht sie endgültig nach Martinsberg. Sie habe zunächst großen Respekt vor der Verwaltung und den Behördengängen gehabt, erzählt sie. Nach und nach habe sie aber festgestellt, dass sich für ein Projekt wie das ihre immer mehr Türen öffneten.

Noch sind die Restaurierungsarbeiten nicht abgeschlossen. In der kommenden Zeit will sich das Paar verstärkt der Schule widmen, die bisher nur von außen restauriert wurde. Im Saal des Gemeindehauses haben sie die alten Wandmalereien konserviert. Überhaupt bemühen sie sich um eine originalgetreue Rekonstruktion und Restaurierung: Lichtschalter aus Porzellan, Fenster und Türen, die nach alter Technik restauriert wurden, die Wände sollen mit einer alten Veredelungstechnik gestaltet werden. Der ganze Stolz: Eine moderne Küche, in der man das Sauerteigbrot backen und für Gästegruppen kochen kann.

Ankunft mit Ausblick

In Zukunft wollen die beiden die restaurierten Gebäude für Kulturveranstaltungen und Tourismus nutzen: Vor kurzem fanden bereits mehrere größere Konzerte im Großen Saal des Gemeindehauses statt.

Für die Zukunft plant das Paar mehr Kunst-, Musik-, und Workshop-Events. Auch Übernachtungsmöglichkeiten möchten die beiden dafür schaffen. Zwei Zimmer im Gemeindehaus sind fast fertig. Vor dem Schulhaus sollen 14 Gästezimmer entstehen – auch das Pfarrhaus soll mit Gästezimmern ausgestattet werden. Langfristig wollen sie sich so aufstellen, dass auch große Gruppen hier Unterkunft finden.

Für Jochen Kusch war die Reise vor acht Jahren die erste Berührung mit dem Land: „Für mich ist es in Rumänien fantastisch“, sagt er. „Ich habe das Gefühl, viele Rumänen wissen gar nicht, was sie an Rumänien haben. Es ist ein unheimlich tolerantes Land – hier leben alle möglichen Nationalitäten miteinander, auch hier im Ort: Rumänen, Amerikaner, Deutsche, Engländer leben hier zusammen. Es ist beeindruckend, wie multikulti es gerade hier im Dorf wird. Aber in gewisser Weise war das, wenn man in die Geschichte schaut, immer so. Es gibt ungarische Ecken, deutsche Ecken und die Rumänen – und alle kommen miteinander ganz gut zurecht. Und das gibt es, finde ich, so in keinem anderen europäischen Land.“

Auch schließt sich für Jochen Kusch mit Martinsberg ein Kreis: „Meine Großmutter war selber Flüchtling. Sie floh mit ihren drei kleinen Söhnen aus Oppeln. Sein 91-jähriger Onkel, der vor kurzem bei ihnen zu Besuch gewesen sei, habe sich begeistert gezeigt, weil ihn vor Ort vieles an Oppeln erinnert habe: „Vielleicht ist das auch ein Grund, warum ich mich unbewusst hier wie zu Hause fühle.“ Nach vielen Stationen in Deutschland in seiner Kindheit und Jugend und danach während seiner beruflichen Laufbahn im Ausland fühle er, dass er jetzt hier in Martinsberg angekommen sei.

Im Ort spürt er eine ganz besondere Energie: „Das geht mir jedes Mal so, wenn ich hier ankomme: Selbst wenn ich eine lange Fahrt oder einen anstrengenden Flug hinter mir habe oder wenn ich mitten in der Nacht ankomme. Ich wache am nächsten Morgen auf und bin ein ganz anderer Mensch.“

Der erste Schritt ist schon getan. Zwei Menschen, mit Herzblut dabei, sind angelangt in dem Ort, der sie dringend braucht. Der Rest wird folgen. So wird die Magie des Ortes weiterleben und sich entfalten – zusammen mit den Menschen, die hier ankommen und ihre Geschichten weiterschreiben.