Geld, Autos und Reisepässe

Das Pilger-Geschäft und die Auswanderung der Juden und Volksdeutschen aus dem kommunistischen Rumänien (1970-1973)

Der Vortrag  „Geld, Autos und Reisepässe. Das Pilger-Geschäft und die Auswanderung der Juden und Volksdeutschen aus Rumänien (1970-1973)“ von Dr. Florian Banu, Historiker und leitender Berater im Departement für Forschung, Ausstellungen, Bildungsprogramme des Nationalrats für die Erforschung der Unterlagen der Securitate (CNSAS) anlässlich 50 Jahre seit der Einstellung des  „Pilger“-Geschäfts warf ein Licht nicht nur auf die Geheimkonten des Diktators Nicolae Ceau{escu und des damaligen rumänischen Geheimdienstes Securitate, wofür die Genehmigung der Auswanderung der Juden und Rumäniendeutschen eine wichtige Finanzierungsquelle darstellte, sondern auch auf die wirtschaftliche Lage des kommunistischen Rumänien und seiner diplomatischen Verhältnisse zu Israel und der Bundesrepublik Deutschland.

Erwähnt wurden zunächst einige Bücher, etwa „Freikauf der Juden. Die Geschichte geheimer Abkommen zwischen Rumänien und Israel“ (2005) von Radu Ioanid, „Das Pilger-Geschäft“ (2007) von Liviu }²ranu, der vom CNSAS herausgegebene Band „Die Bergungsaktion. Der Geheimdienst Securitate und die Auswanderung der Volksdeutschen aus Rumänien (1962-1989)“ (2011) von Florica Dobre, Florian Banu, Lumini]a Banu, Laura Stancu und die Neuerscheinung „Wege in die Freiheit. Deutsch-rumänische Dokumente zur Familienzusammenführung und Aussiedlung 1968-1989“ von Dr. Heinz Günther Hüsch, Peter Dietmar-Leber und Hannelore Baier (Schiller-Verlag 2023).

Wirtschaftlicher Hintergrund

Die Wirtschaftslandschaft der Volksrepublik Rumänien in den 60er Jahren war von einem beschleunigten Industrialisierungsprozess durch den Import westlicher Technologie geprägt. Langsam begann die Umstellung von ausschließlich sowjetischer Technologie oder aus befreundeten Ländern der UdSSR auf Ausrüstung, Technologie und Know-how, die aus dem Westen eingeführt waren und hohe Summen Hartwährung erforderten.

Die zu Beginn empirisch durchgeführte Deviseneinfuhr über die Securitate wurde 1960 mit der Einrichtung einer unabhängigen Struktur, der L.C.-Abteilung, innerhalb des Generalamts für Außeninformationen (DIE) institutionalisiert. Ziel der L.C.-Abteilung war es, Hartwährung und andere Güter ins Land einzuführen. Diese funktionierte eine Zeit lang parallel zur 1975, aufgrund der Diversifizierung und Intensivierung dieser Devisenaktionen gegründeten O.V.-Abteilung für Währungsoperationen und allmählich wurden Einheiten der Ämter für Allgemeine und Wirtschaftliche Spionageabwehr in diese Aktionen einbezogen. Am längsten leiteten General Nicole Doicaru, früheres Oberhaupt der rumänischen Spionage, und sein Stellvertreter, General Ion Mihai Pacepa, diese Spezialoperationen.

Abkommen mit Israel

Verhandlungen um die Genehmigung der Auswanderungsanträge der Juden in Rumänien verliefen zwischen dem DIE-Beamten Gheorghe Marcu und dem britischen Geschäftsmann Henry Jacober (Henrik Illes Jacober). Letzterer war Sohn einer jüdischen Familie aus Transkarpatien und war vom israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad angeworben worden, um die Auswanderung von Juden aus dem Ostblock zu vermitteln.

Als Gegenleistung ermöglichte die israelische Seite Rumänien, unter strengster Geheimhaltung, den Erwerb verbotener Anlagen und Werkzeuge, die für die Herstellung von Waffen verwendet werden konnten, sowie von Maschinen für Landwirtschaft und Tierhaltung und von überaus produktiven Nutztierrassen.

Das der Securitate umgeleitete Geld wurde auf einem 1965 eröffneten Sonderkonto „T 65“ gesammelt. Darauf waren im Juli 1965 bereits über 6.850.000 Dollar eingegangen.

Nachdem Nicolae Ceaușescu die Führung der Rumänischen Kommunistischen Partei PCR übernahm und dadurch Landesoberhaupt wurde, lehnte er diese Praktiken ab und unterbrach die bis dahin bestehenden Kommunikationskanäle. „In den ersten Jahren seiner Herrschaft als Diktator Rumäniens weigerte sich Ceaușescu, solche Geschäfte hinter den Kulissen zu genehmigen. Jeder Auswanderungsantrag wurde von Fall zu Fall geprüft und, wenn er als begründet erachtet wurde, pünktlich genehmigt“, verdeutlichte Dr. Florian Banu.

Nach 1966-67 begann die israelische Regierung, direkt mit Ceau{escu um die Auswanderung der Juden zu verhandeln und bot ihm als Gegendienst internationale Unterstützung an, einschließlich vor den Vereinten Nationen und den USA. So wurde ein neuer Kommunikationskanal zwischen dem Mossad und der Securitate geschaffen.

Freikauf der Volksdeutschen

Im Fall der westdeutschen Seite wurde 1962 der erste Kommunikationskanal zwischen den Securitate-Beamten und dem deutschen Anwalt Ewald Garlepp geschaffen. Rumäniendeutsche durften gegen Geldbeträge, die auf die Konten der Securitate überwiesen wurden, auswandern und das Geschäft wurde ebenfalls mit Ceau{escus Machtübernahme eingestellt.

Nach der Eröffnung der rumänischen Botschaft in Bonn 1967 wurden die Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland intensiviert und im selben Jahr sprach der damalige Vizekanzler Willy Brandt während seines Rumänienbesuches das Problem der deutschen Familienzusammenführung an.

Im Februar 1968 wurde in Bukarest ein Geheimabkommen zwischen dem DIE-Oberst General Gheorghe Marcu und dem deutschen Rechtsanwalt Ewald Garlepp unterzeichnet, der später durch  Rechtsanwalt Dr. Heinz Günther Hüsch ersetzt wurde. Letzterer hat diesen Kommunikationskanal bis zur Wende 1989 geleitet. Im Rahmen dieser Vereinbarung erhielt die Sozialistische Republik Rumänien als Ersatz für den Verlust von Humankapital finanzielle Entschädigungen von Tausenden Deutschen Mark für jeden deutschen Auswanderer, die erleichterte Genehmigung internationaler Kredite mit Vorzugszinsen und der Zahlung eines Teils der Zinsen durch die BRD sowie andere Vorteile.

Ab Juni 1970 wurde die Auswanderung aus Rumänien durch die sogenannte „Pilger“-Operation erleichtert. Konkret wurde die L.C.-Abteilung des DIE beauftragt – mithilfe spezifischer Mittel der Securitate – Personen zu identifizieren, die das Land dauerhaft verlassen wollten und bereit waren, unterschiedliche Geldbeträge zu zahlen oder dem rumänischen Staat materielle Vermögenswerte wie Immobilien, Fahrzeuge usw. abzutreten. Auf diese Leute kamen dann im Verborgenen Securitate-Beamte zu,  die sich als Anwälte oder Beamte der Staatsverwaltung ausgaben, um die zu zahlenden Beträge für die Auswanderungsgenehmigung festzulegen. Die neue Devisenaktion wurde von den Generalmajoren Eugen Luchian und Gheorghe Bolînu koordiniert, bis zu deren Einstellung 1973 aufgrund zahlreicher Beschwerden aus dem In- und Ausland auch gegen Securitate-Beamten wegen Finanzbetrugs. Obwohl über die Beträge Aufzeichnungen geführt und für jeden Reisepass nominale Zahlungsbelege ausgestellt wurden, gab es auch viele dunkle Geschäfte.

Mai 1973 wurde ein neues deutsch-rumänisches Abkommen mit einer Laufzeit von fünf  Jahren geschlossen, das höhere Entschädigungen für den rumänischen Staat und die Gewährung eines Kredits in Höhe von 200 Millionen DM mit Vorzugszins und der Auszahlung von fünf Prozent des Zinses vorsah. Dafür verpflichtete sich die rumänische Seite, jährlich die Emigration von 8000 Volksdeutschen zu genehmigen.
Seit 1974 bestand die deutsche Seite stets darauf, die Probleme im Zusammenhang mit der Auswanderung ausschließlich über den vom Dr. Hüsch verwalteten „Geheimkanal“ zu lösen. Diese geheimen Verträge wurden alle fünf Jahre mit der westdeutschen Seite geschlossen. Der letzte wurde im November 1988 unterzeichnet und von der rumänischen Seite auf direkten Befehl von Nicolae Ceaușescu am 4. Dezember 1989 einseitig gekündigt. Die Auswanderungen wurden bis zur Wende am 22. Dezember kostenlos fortgesetzt.

Historiker Cristian Trancota zufolge blieben „in den persönlichen Konten der DIE-Beamten beträchtliche Beträge aus den völlig illegal erhaltenen Provisionen übrig, die die vom rumänischen Staat veröffentlichte Gesamtsumme der finanziellen Entschädigungen von etwa sechs Millionen Dollar nochmal übersteigen“ („Unsere alltägliche Securitate“, 2020).

Die „Pilger“-Operation war schlussfolgernd ein verzweifelter Versuch der Securitate, sich einen Überschuss an Devisen zu beschaffen, und wurde nach drei Jahren Betrieb, dunklen Parallelgeschäften und unzähligen Beschwerden vom rumänischen Staat als schädlich eingestuft und letztendlich eingestellt.