Isabelle, fünf Jahre alt

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Meine Enkelin Isabelle ist fünf Jahre alt, ihr Haar ist noch blonder als das ihrer Barbie-Puppe, ihre Augen sind so blau wie ein skandinavischer Fjord, ihre Haut ist dreimal weißer als die des Schneewittchens und mit ihren Sommersprossen rund um die Nase und vor allem durch ihre unkonventionellen Kommentare erinnert sie einen an Pippi Langstrumpf.

Als die Kindergärtnerin gestern im Kindergarten die Kleinen bei einem runden Tischlein nach ihren ausländischen Wurzeln fragte, zeigte als erster Hasan auf und sagte, seine Eltern seien Türken, worauf Dimitra auf ihre griechische Herkunft hinwies. Danach meldete sich Isabelle zu Wort und meinte, ihre Großeltern und ihre Mutter kämen aus Rumänien, was die Erzieherin plötzlich erheiterte.

„Du meinst wohl, ihr habt in Rumänien Urlaub gemacht!“, sagte sie.

„Nein“, fuhr Isabelle selbstsicher fort, „sie sind dort geboren.“

„Komm, Isabelle, sei nicht albern!“, erwiderte die Erzieherin und kicherte.

Ich weiß nicht, wie sie sich die Kinder mit rumänischen Wurzeln vorstellte, wahrscheinlich mit Augen so dunkel wie die transsylvanische Nacht und kleinen, niedlichen Vampirzähnen, die beim Lachen bedrohlich aufblitzen. Aber auch wenn Isabelle ihren Kumpel Hasan einen Tag vorher beim Nahkampf diskret in den Hals gebissen hatte, sahen ihre Schneidezähne völlig normal aus.

Ja, man hat eben so seine Vorurteile in Hinsicht auf Herkunft, Aussehen und Verhalten. Ich hörte kürzlich im Rundfunk ein spannendes Interview mit einem schwarzen, in Köln geborenen Rechtsanwalt, dessen Eltern aus Eritrea stammten. Als er zum ersten Mal seinen Wagen auf dem Rechtsanwalt-Parkplatz beim Landgericht abstellen wollte, wurde er vom Parkwächter mit folgendem Hinweis angehalten: „Dieser Parkplatz ist nur für Rechtsanwälte.“ „Und woher wissen Sie, dass ich kein Rechtsanwalt bin?“, fragte der Rechtsanwalt und lachte sich schief, als er den überraschten Blick des ihn anstarrenden Parkwächters sah.

Einmal bei einer Gerichtsverhandlung musste der schwarze Rechtsanwalt einen besonders dreisten Dieb verteidigen. „Erkennen Sie diesen Mann wieder?“, fragte der Richter den vorgeladenen Zeugen. „Nie gesehen“, lautete die knappe Antwort. „Ich meine nicht diesen Mann“, sagte der Richter, als er merkte, wen der Zeuge nachdenklich anstarrte, „sondern den, der neben ihm sitzt.“  „Ach so“, meinte daraufhin der Zeuge. „Ja, der war es.“

Wenn er auf einer Bank in einem Park sitze, um zu entspannen, so der schwarze Rechtsanwalt weiter, würden manchmal andere Schwarze auf ihn zukommen und ihn fragen: „Hey, Bruder, hast du etwas Gras dabei?“ Und wegen seiner Rasterlocken würde man häufig davon ausgehen, dass er Musiker sei, in der Tradition Bob Marleys.

Aber, um wieder auf meine Enkelin Isabelle zurückzukommen: Auch kleine Kinder haben bereits Vorurteile, sie übernehmen sie meist von den Eltern. So ist Isabelle fest davon überzeugt, dass Frauen intelligenter als Männer sind, das weiß sie von ihrer Mutter. Wobei selbstverständlich genau das Gegenteil der Fall ist, das weiß ich von mir.