Klassentreffen-Slapstick

Wie kindisch sind Klassentreffen überhaupt? Ganz egal, ob man bereits 30, 40 oder 50 Jahre alt ist, fängt das High-School-Fever mit jeder Klassentreffen-Einladung wieder von vorne los. Was ziehe ich an? Wer kommt alles? Und dann denkt man sich gleich, dass man die lang ersehnte Chance auf Revanche hat: Einen Tag, an dem man durch die mühsam ergatterte Erfahrung vergangenes Versagen annullieren kann. Genauso wie wenn man als Fünftklässler nochmal in der ersten Klasse im Unterricht glänzen dürfte. Pickel, Mode-Faux-Pas, Stottern... mit einem Wisch ist alles weg, denkt sich da so manche Hausfrau.

Den Illusionen hingegeben, begibt man sich ins Lokal und freut sich insgeheim auf lange Haare, frische Gesichter, glänzende Augen und fröhliche Stimmen. Kaum eingetroffen, wird man gewaltsam mit der kalten Realität konfrontiert. Die einstigen stolzen Mähnenträger stellen ihre Mickey-Mouse-Frisur (Dermatologen würden sie als Glatze zweiten Grades diagnostizieren) zur Schau und an den Schokoladen-Seiten der ehemaligen Herzensbrecherinnen erkennt man, dass sie nun durch sorgfältig und dick aufgetragene Schminke rekonstruiert wurden.
Ansonsten teilen sich die Leute in drei große Cliquen ein: Die Immer-Schon-Cool-Gewesenen, die In-zwischen-Cool-Gewordenen und die Nie-Cool-Sein-Werdenden. Ausnahmen gibt es keine oder sie nehmen gerade nicht am Treffen teil. Innerhalb dieser drei Cliquen werden die üblichen Rollen besetzt: der/ die Clevere, der Witzbold, die Süüüße, der Prügler, die Klatschtante, der Schöne usw. Gleich und gleich gesellt sich gern, deswegen dürfte die Sitzordnung bei Tisch nicht überraschen.

Die Gespräche drehen sich um die heißen Themen Job, Wohnsituation und Familie. Da können die Ausgewanderten nicht verstehen, wie man noch in Rumänien arbeiten kann, die Corporate-Angestellten wundern sich, wie man in staatlichen Unternehmen tätig sein kann und die Freiberufler fragen sich, warum man sich überhaupt irgendwo anstellen lassen sollte. Im Wettkampf um die beste Wohnsituation will sich kein klarer Gewinner zeigen: zentral aber klein, im Grünen aber schwer erreichbar, weder zentral noch grün usw. Zum Thema Familie holen die Eltern ihre Fotoalben heraus und zeigen stolz ihre Kinder in ihren unterschiedlichen Entwicklungsphasen, während die Kinderlosen gelangweilt die Augen verdrehen.

Und die Zeit? Na, die vergeht im Nu. Man verabschiedet sich bis zum nächsten Klassentreffen, in zehn Jahren. Der Raum leert sich bis auf ein paar stark Alkoholisierte, die mit jeder zerbrochenen Flasche der verabscheuten Nüchternheit immer näher rücken. Im Wein liegt die Wahrheit, heißt es. Und könnten die letzten Trinker am Ende des Abends noch sprechen, würden sie sagen, dass Klassentreffen nicht kindisch sind. Denn geplatzte Träume führen eben zu soliden Einsichten.