Königsspiel

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Anfang des Jahres wurde überraschend ein neuer chinesischer Kaiser gekrönt. Von seinem Hauptquartier in Wuhan aus begann er seinen Eroberungsfeldzug. Ein Land nach dem anderen fiel. Doch damit nicht genug: Er krempelte die globale Wirtschaft um. Er sabotierte die Börse. Tauschte launisch Gewinner gegen Verlierer und Verlierer gegen Gewinner. Hält die Politiker in Atem – und auf Trab. Seither beherrscht er uns alle. 
Seinetwegen sieht das Volk rund um die Uhr fern, kein Programm läuft mehr ohne ihn. Täglich dominiert er die Schlagzeilen wie ein selbstgefälliger Diktator. Selbst die Kirchen lassen sich von ihm Vorschriften machen: kein Gottesdienst im Kirchenraum, kein Küssen von Ikonen mehr, kein Hineintippen mit den Fingern ins gemeinsame Weihwasser. Der Kaiser gebärdet sich bald wie ein Gott. Ein Tempel nach dem anderen wird für ihn eröffnet, wo weißgekleidete Mönche und Nonnen vor seinen heiligen Isoletta-Schreinen dienen. Man huldigt ihm durch Husten und das Tragen weißer Masken. Doch der Götze fordert Menschenopfer.

Ein neues Zeitalter ist angebrochen. Wir zittern zum ersten Mal alle gemeinsam vor dem gleichen Herrscher! Doch keine Rede davon, dass er uns in seinem Reich vereint. Im Gegenteil: Unter seiner Diktatur schielt jeder misstrauisch auf den anderen. Ein Asiate in Bukarest wird brutal aus der U-Bahn geworfen, dabei ist er nicht einmal Chinese. Wer wie ein solcher aussieht, dem ist angeraten, zumindest zu husten. Denn dann passiert sowas nicht – im Gegenteil, dann leeren sich für ihn wie von Zauberhand ganze Zugabteile und Warteschlangen lösen sich auf.

Argwöhnisch werden Reisende aus Gebieten beäugt, die der neue Herrscher schon ausgiebig besucht hat: Iran, Südkorea, Italien. In Italien hat es ihm besonders gut gefallen, ist ja auch ein schönes Urlaubsland. Wer von den dort mag bereits unter seinen Einfluss geraten sein? Ängstlich machen die Leute jetzt auch Platz, wenn ein Italiener auftaucht. Wer weiß, er könnte ja dem Gott-Kaiser nahe stehen! Der sucht immer noch eifrig Mitglieder für sein Gefolge.

Nicht dass der Kaiser im Volk besonders beliebt wäre. Hustende müssen sich in der Öffentlichkeit ängstlich hinter ihren Masken verstecken, die sie wahrscheinlich schon seit Tagen tragen, vollgeschlunzt und nutzlos, Potemkinsche Fassaden. Neue gibt es keine, denn sie werden in China produziert. Doch der Herrscher braucht sie alle selbst für den ausufernden Maskenball, den er dort seit zwei Monaten veranstaltet. Sollen die anderen Länder doch zusehen, wie sie an Kostüme für ihre eigenen Maskeraden kommen! Das kommt davon, wenn wir alles in China produzieren lassen. Dabei haben wir noch Glück, dass der Diktator nur die Masken zurückbehält. Nicht auszudenken, wenn er auch die elektronischen Bauteile für Autos, Computer und Raketen plötzlich für sich behalten würde.

Der Kaiser spielt leidenschaftlich gern, heißt es aus Insiderkreisen. Dabei zeigt er sich äußerst launisch. So manchen setzt er Schachmatt, doch die meisten lässt er am Ende großzügig gewinnen. Die Regeln haben seine Spielpartner noch nicht so recht durchschaut – die Anleitung ist wohl auf Chinesisch. Covid-19 nennt sich sein aufregendes neues Lieblingsspiel, das es schnell zu Weltruhm brachte. Doch ein Freund aus Wuhan sagte mir kürzlich, es habe keinen Sinn, sich jetzt noch eins zuzulegen. Denn spätestens im nächsten Herbst wird Covid-20 lanciert – eine verbesserte Version mit ganz neuen, spannenden Features.