Randbemerkungen: Bruchgefahr wegen „Prinzipienfestigkeit“

Hegel war nicht der Erste, der schlussfolgerte, dass Zivilisationen nie von außen untergraben und zum Scheitern gebracht werden, sondern immer von innen. Es gäbe keinen „äußeren Feind“, der mächtig genug sei, eine gestandene Zivilisation zu Bruch zu bringen, wenn diese Zivilisation nicht in ihrem Innern einen sich vertiefenden Zwiespalt, ein inhärentes Problem, habe: systematisches, allgemeines Infragestellen ihrer Werte und ihrer Daseinsberechtigung.

Daran musste ich denken, als ich das Herummurksen der Staatschefs der EU von vergangener Woche und den frechen Opportunismus, das einem Mafia-Boss oder Vorstadtganoven abgeschaute Erpresserverhalten des selbstherrlichen ungarischen Alleinbestimmers Viktor Orbán sah, der 26 Staatschefs und die Führer des EU-Überbaus vor sich hertrieb, als es um Grundprinzipien der Zivilisation ging: Verteidigung der Werte des Abendlands gegen die Aggression globaler Gefahren. Sprich: Unterstützung für die Ukraine in ihrem Verteidigungskrieg gegen russische Eroberungsgier.

Genauso muss das Mauern der amerikanischen Republikaner, strippenmanipuliert vom politischen Halbstarken Trump, eingestuft werden. Orbán und Trump-Jünger positionieren sich als Würmer im globalen Demokratie-Apfel, deretwegen das Abendland sich in eine Defensive einigelt, die für Freiheit, religiöse Toleranz, Demokratie, Säkularismus, für sämtliche Werte des Abendlands, zum Untergang werden kann.

Die sokratische Mäeutik, Grundlage für Lernen, kritisches Denken und Geist des Abendlands, wird zum Fallstrick für seine Werte, die es bei jeder Gelegenheit in Frage stellt, während es eine selbstmörderische Konsequenz im Respektieren der Werte Andersdenkender praktiziert – der Scharia des islamischen Raums, des Neokonfuzianismus der Chinesen, der gewalttätigen Neoorthodoxie der Russen. Mut bringt das Abendland nicht auf, fest und unmissverständlich die Überlegenheit der Werte des Westens gegenüber den autokratiebasierten Prinzipien des klar sich abgrenzenden Gegenlagers zu vertreten.

Nur das macht´s möglich, dass ein letztendlich politisch flegelhafter Orbán 26 Staatschefs vor sich herjagt und sich vor der Weltöffentlichkeit mit zehn Milliarden Euro für einen Kompromiss schmieren lässt – um das einzige bewaffnete Bollwerk des Abendlands gegen den erstarkten russischen Bären sich selbst zu überlassen.

Nur so ist es möglich, dass die autokratischen Staaten, allen voran Russland, problemlos ihre Wirtschaft auf Krieg umstellen – trotz „Sanktionen“ des Okzidents – dass die Wirtschaftswalze China sich Afrika und Zentralasien durch Erkaufen untertan macht, dass Gräueltaten der Russen und der Hamas (es muss aber gesagt werden: auch der Massenmord an Zivilisten, zwei Drittel Frauen und Kinder – der „Kollateralschaden“ hat System - der vom Westen hochgerüsteten israelischen Armee) ungeahndet geschehen können. Einfach, weil die zuständigen Organisationen – allen voran die UNO, die EU, die internationalen Strafgerichte usw. – so aufgebaut wurden, dass sie praktisch zahnlos sind.

Die Wirtschafts- und Militärmacht, die kreativen Kapazitäten des globalen Abendlands, übertreffen bei Weitem jene seiner Hauptgegner Russland, China, Iran u.a. Es nutzt ihm aber nichts, weil seine Entscheidungs- und Beschlusskraft durch fehlenden entschlossenen Aktivismus gelähmt sind, der in falsch verstandener Prinzipienfestigkeit (etwa: Einstimmigkeitspflicht, Zerredekunst statt konstruktiv finalisiertem Dialog) wurzelt. Trojanische Pferde (Orbán) sind stärker als jede Einsicht.

Ein Rückbesinnen auf die - und das Vergegenwärtigen der - Grundwerte des Abendlands, griechische Philosophie (Freiheit, Toleranz, Wahrheit, Vernunft, zwischenmenschliche Dialogfähigkeit, Verantwortung, Moral), römisches Recht (libertasfides- securitas), christlich-judäisch geprägter Glaube und Rationalismus tun uns not.