Randbemerkungen: Zwischen Atatürk und Islamismus

Außer Israel stieß sich kein Land stark an den Aussagen des Möchte-Gern-Sultans vom Bosporus, als Recep Tayyip Erdogan (Spitzname aus Schulzeiten: „Koran-Nachtigall“) offen seine – und damit der Türkei - Positionierung an Seiten der Terroristen der Hamas und sein Bekenntnis zum Islam (er ist ja Imam) öffentlich bekundete. Ob das verschämte Schweigen des Westens – von den Politikern Rumäniens war nichts sonst zu erwarten! – auf der Vermutung basiert, dass die Aussage des Autokraten dem Inland und den Fanatikern auf dem Versammlungsplatz gegolten hat, das darf, aber muss man nicht vermuten.

Andrerseits sollte sich niemand wundern, wenn derselbe Ex-Fussballspieler und Ex-Häftling in absehbarer Zeit die Türkei aus der NATO raus führt. Zumal er den Weg der Türkei in Richtung EU schon lange durch seine eigenwillig-undemokratische Politik blockiert hat. Auf alle Fälle befindet sich die Türkei Erdogans bereits der Deklarierung zur „Islamischen Republik“ näher als einem Weg in Richtung Demokratie.

Und das nicht nur wegen der Politik gegenüber den Kurden, sondern – seit dem gescheiterten Staatsstreich 2016 – auch wegen der Machtfülle, die sich Erdogan „demokratisch“ zuschanzen ließ (er ist inzwischen Staats- und Regierungsschef in Personalunion und hat sich in Ankara einen Riesenpalast bauen lassen…), sondern auch wegen der effizienten Schwächung des Heeres – seit Mustapha Kemal Atatürk ein Garant der Demokratie. Es putschte jedes Mal erfolgreich, wenn es die Demokratie als gefährdet betrachtete.

Erdogan ist nicht der erste Politiker, der versucht, die Türkei mit ihren rund 85 Millionen Einwohnern zu islamisieren. Aber er ist damit am weitesten vorangekommen und hat – nach heutigem Stand – die größten Chancen, das Projekt zu(m antieuropäischen) Ende zu führen.

EU-Europa, das Abendland, standen schon 2016, nach dem schnell und mäßig blutig niedergeschlagenen Putschversuch verdattert da. So kontrovers ein Putsch einzustufen ist, damals sahen viele Kanzleien darin eine Chance, die Türkei wieder auf den Weg der Demokratie (zurück) zu bringen. Schon diese Haltung zu einem Putsch – etwas grundsätzlich Undemokratischem – ist ein Zeichen, wie „besonders“ die von Atatürk eingeführte Demokratie und die Laizität der Türkei ohnehin sind. Der gescheiterte Putsch von 2016 ließ logisch die Vermutung aufkommen, dass er ein „Regieeinfall“ Erdogans war und dass die Machtfülle, die er sich danach zuscheffeln ließ, von ihm schon lange ersehnt, geplant und per „Putsch“ mit fast 300 Todesopfern – und Zehntausenden in den Gefängnissen „Verschwundenen“ – „erkauft“ worden war. Die Gelegenheit, nachher Heer, Beamtenschaft, Bildungswesen, Medien von ihm nicht Wohlgesehenem zu „säubern“, die nutzt Erdogan seither gnadenlos.

Inzwischen fuhr er die Wirtschaft der Türkei an die Wand und „schenkte“ dem Land eine galoppierende Inflation. Zudem spielt er immer wieder gern öffentlich mit der Idee der Wiedereinführung der Todesstrafe. Die Hagia Sophia machte er neuerlich zur Moschee, in Verachtung für alle Kulturwerte vorislamischer Zeiten. Putin näherte er sich als „Vermittler“ an. Und insgeheim – darauf deuten viele Zeichen hin – hatte er sich auch den islamistischen Terrororganisationen angedient. Alle diese Handlungen sind mehr oder weniger offene Signale a) der Verachtung für die Prinzipien des Kemalismus und b) der unverschleierten Annäherung an den Islamismus. 

Eine zeitlang vermied er es trotzdem, dem Abendland, den USA und Israel provokativ den Rücken zu kehren. Seit Ende Oktober 2023 hat er auch diese rote Linie „überwunden“. Jetzt bleibt nur noch der Austritt – oder nicht?! – aus der NATO und die Zuwendung zur Achse Russland-China-Nordkorea (Südafrika, Brasilien, Indien).

Damit würde politisch Fakt, was faktisch Realität ist. Die Türkei ist kein europäisches Land mehr.