Roma-Kultur im Rampenlicht

Ein Projekt des Interkulturellen Instituts Temeswar gegen Diskriminierung

Innerhalb des Projekts werden Theaterworkshops,Performances, Diskussionen und Ausstellungen organisiert. | Foto: Valentina Sarosi

Lange bevor der Holocaust an der Roma- und Sinti-Bevölkerung in Deutschland offiziell anerkannt wird, kommt es in Berlin immer noch zu rassistischen Übergriffen, und das Roma-Holocaust-Mahnmal wird aufgrund der Einführung einer neuen U-Bahn-Linie teilweise zerstört. Was können junge Roma tun, um Rassismus im Jahr 2023 einzudämmen? – Das war das Hauptthema für Schauspieler und Zuschauer, die sich innerhalb des Forumtheaters engagieren wollen: „Wir sind hier!“ ist eine Performance über die Verfolgung, Ablehnung und Unterdrückung von Roma in Deutschland und wurde in Temeswar/Timișoara Mitte Oktober von der Forumtheatergruppe „Kuringa“ aus Deutschland vorgestellt. Dies war die erste Aufführung außerhalb Deutschlands, wo bereits 24 Aufführungen von „Wir sind hier!“ in Schulen, Theatern und Kulturzentren gegeben wurden. 

„Das Stück zeigt die Situation der Roma in Deutschland, aber ich denke, es gibt Ähnlichkeiten mit anderen europäischen Ländern“, sagte in Temeswar Christoph Leucht, einer der Mitbegründer von „Kuringa – Raum für das Theater der Unterdrückten“, das seit 2011 in Berlin-Wedding existiert.

Auf Einladung des Interkulturellen Instituts wurde die Performance der Berliner über den Rassismus, dem die Roma heute ausgesetzt sind, am 20. Oktober, im „Electrotimiș“-Lyzeum im Stadtviertel Rote Tscharda/Ciarda Roșie und am darauffolgenden Tag in einem Raum in der Fabrikstadt/Cartierul Fabric jeweils gratis aufgeführt. Die Vorstellung wurde in rumänischer und englischer Sprache dargeboten. 

Das Forumtheater, auch als Theater der Unterdrückten bekannt und von der deutschen Truppe gefördert, schlägt vor, die Barriere zwischen Bühne und Publikum abzubauen. Dies ermöglicht einen freien Austausch zwischen den Künstlern und den Zuschauern, die eingeladen sind, durch eine offene Diskussion über das auf der Bühne präsentierte Thema zu Teilnehmern und Mitgestaltern des Stücks zu werden. 

Theater gegen Diskriminierung

Sprachgrenzen gab es nicht und die Zuschauer meldeten sich sofort auf der Bühne zu Wort, um ihre Meinung zu den dargestellten Diskriminierungssituationen zu äußern. „Bei der Aufführung im Electrotimiș-Lyzeum hatten wir das große Vergnügen, die Beteiligung der anwesenden Schüler an den Diskussionen zu sehen. Schüler aus vier verschiedenen Klassen konnten in Gruppen reflektieren, nachdem sie die Szene gesehen hatten, um anschließend ein kurzes Szenario auf der Bühne vorzustellen, um die Art der Diskriminierung zu bekämpfen. Empathie, Offenheit und Respekt – das waren die Hauptgedanken aller teilnehmenden Gruppen“, erzählt Edina Meca, eine der Projektkoordinatoren seitens des Interkulturellen Instituts Temeswar.

Bei der zweiten Aufführung mit einem viel kleineren, aber ebenso engagierten Publikum, wurden die Zuschauerbeiträge ebenfalls in Gruppen organisiert. „Eine von ihnen zeigte eine Situation der Diskriminierung aufgrund mangelnder Informationen über die besonderen Plätze für Roma in den Schulen. Die bestehenden Vorurteile wurden bekämpft, indem die anderen informiert wurden und der Konflikt auf friedliche Weise beigelegt wurde. Oftmals verstärkt das Fehlen korrekter Informationen Stereotypen oder Vorurteile, die in der Gesellschaft bereits bestehen. Das Forum wurde mit einer langen Diskussion fortgesetzt, in der die Zuhörer über Situationen von Diskriminierung berichteten, die sie selbst erlebt, in die sie eingegriffen oder aus denen sie gelernt hatten“, setzt die Projektkoordinatorin fort. 

Die Aufführungen von „Kuringa“ waren Teil eines umfangreicheren Projekts, das vom Interkulturellen Institut Temeswar durchgeführt wird: „Invizibil/Vizibil - Deconstruirea stereotipurilor și depășirea marginalizării comunităților rome din Timișoara și din Europa” („Unsichtbar/Sichtbar - Dekonstruktion von Stereotypen und Überwindung der Marginalisierung von Roma-Gemeinschaften in Temeswar und Europa“) ist Teil des Kulturprogramms „Temeswar 2023 - Europäische Kulturhauptstadt“, das von der Stadt über das Projektezentrum finanziert wird. 
Projekt stellt 

Roma-Kultur vor

„Das Projekt trägt dazu bei, ein Thema ins Rampenlicht zu rücken und aus einer anderen Perspektive wahrzunehmen, das oft verborgen und als irrelevant für Temeswar abgetan wurde: die Roma-Kultur“, sagt Edina Meca. Seit Anfang des Jahres wurde eine Reihe von Veranstaltungen und Aktivitäten in dieser Hinsicht in die Wege geleitet. Ein Teil der lokalen Aktivitäten richtet sich direkt an die Roma in einigen der am meisten benachteiligten Viertel der Stadt und bezieht sie aktiv ein. Andere Aktivitäten richten sich an Nicht-Roma, insbesondere an junge Menschen, mit dem Ziel, deren Bewusstsein zu schärfen und Stereotypen und Vorurteile über Roma zu überwinden.

Des Weiteren fand im Sommer eine Romatheateraufführung statt: „Corp Urban“ präsentierte die Geschichten von vier Roma-Frauen und ihre unterschiedlichen Interpretationen des weiblichen Körpers: der Körper als Mittel der (Re-)Produktion, der Körper als Eigentum, der Körper als Wiege der Mutterschaft; der gesunde Körper, der kranke Körper, der schändliche Körper, der physische Körper als Spiegel des sozialen Lebens und als einziger persönlicher Besitz. Die Aufführung regte zu einer Diskussion über die Situation der Frauen in den Roma-Gemeinschaften an, aber auch über die Beziehung der Frauen zu ihrem Körper im Allgemeinen. Darsteller war Giuvlipen, die erste feministische Roma-Theatergruppe in Rumänien, die sich für die Einrichtung eines institutionalisierten Roma-Theaters einsetzt. Giuvlipen wurde 2014 von den Schauspielerinnen Mihaela Drăgan und Zita Moldovan in Bukarest gegründet.

Am 18. September fand des Weiteren im Konzertsaal der „Ion Vidu“-Musikschule ein Konzert des berühmten Roma-Künstlers Santino Spinelli statt. Der Künstler, auch unter dem Künstlernamen Alexian bekannt, definiert seine Texte als „Kommunikationspoesie“, die darauf abzielt, die Welt der Roma den anderen näher zu bringen. Spinelli ist ein vielseitiger Künstler und Roma-Aktivist. Er stammt aus Italien, wo er einen Abschluss in Literatur- und Musikwissenschaft gemacht hat und derzeit als Universitätsprofessor arbeitet. Sein Gedicht „Auschwitz“ wurde in das Denkmal eingraviert, das in Berlin an die von den Nazis ermordeten Roma erinnert.

Gegenwart und Geschichte der Roma

Théâtre de l’opprimé, Paris, das von Rui Frati, geleitet wird, lud im Haus des unabhängigen Theaters „Basca“ zu einer neuen Intervention in der Gemeinschaft ein. Die Mitglieder der Berliner „Kuringa“-Gruppe werden Ende November zurück nach Temeswar kommen und dabei einen Workshop zum Theaterforum halten. Der Workshop wird vom 24. bis zum 29. November stattfinden und richtet sich an Roma-Frauen und die breite Öffentlichkeit, Roma und Nicht-Roma-Jugendliche. Die Teilnahme ist kostenlos. 

Davor wird Mitte November im Foyer der West-Universität vor der Aula Magna die „Roma Holocaust-Ausstellung“ eröffnet. Die Ausstellung bringt Informationen über den Holocaust an den Roma auf europäischer und nationaler Ebene, die vom spezialisierten Zentrum in Heidelberg realisiert wird. Die Expo wird von Debatten und Aktivitäten begleitet. 


Mehr Informationen zum Projekt „Invizibil/Vizibil - Deconstruirea stereotipurilor și depășirea marginalizării comunităților rome din Timișoara și din Europa” sind von der Webseite intercultural.ro abrufbar.