Schuld sind alle anderen

Ein Genie der politischen Beobachtung, das fähig wäre, das gegenwärtige politische Chaos Rumäniens zu durchschauen, scheint noch nicht an die Öffentlichkeit getreten zu sein. Bleibt also nichts Besseres übrig, als Beobachtungen und Eindrücke zu vermitteln, die, zu einem Mosaik zusammengefügt, vielleicht doch noch ein – vielleicht lücken-, möglich fehlerhaftes und sicher perfektibles – Gesamtbild ergeben. 

Da wäre in erster Linie die Unfähigkeit ausnahmslos aller Spitzenpolitiker Rumäniens, mit objektivem Blick die knirschende Verwaltung dieses Landes zu sichten und zu ordnen. Die Dysfunktionalitäten des rumänischen Staatsverwaltungs-Apparats sind enorm – angefangen mit der Überfrachtung mit (hochbezahltem) Personal, mit der ungebremsten Tendenz zur Überbürokratisierung (über weite Strecken hat sie etwas mit dem historisch fundierten und mentalitär diktierten Misstrauen der Verwaltung in die eigene Bevölkerung zu tun), mit der notorischen Kompetenzlosigkeit des Verwaltungspersonals, dem jedwelche Übersicht zu ihrer Funktion und Rolle – aber auch das Interesse dazu - fehlt (was wieder hochgradig zu tun hat mit der „Selektion“ des Verwaltungspersonals – das Ideal der Besetzung eines Postens im Verwaltungsapparat gehört zu den Wünschen der Schulabgänger jeden Niveaus, die an oberster Stelle ihrer Lebensziele rangieren), aber auch mit der Überpolitisierung dieses Personals, das sich tendenziell zwischen einem Fünftel und einem Viertel aller Lohnempfänger Rumäniens bewegt. Die Beamtenmasse ist Fußfessel und Hemmschuh einer konsequent hinaustrompeteten und von der gegenwärtigen Politikergeneration nie zu beherrschenden Verwaltungsreform. 

Wie brisant dieses Kapitel ist, zeigt vor allem die Tatsache, dass allein schon die Ankündigung irgendeiner Absicht zum Eindampfen der Masse der Staatsangestellten bei politischen Freunden und Feinden identische Abwehrreaktionen hervorruft. Es sei daran erinnert, wie pikiert die PSD bei den jüngsten Koalitionsverhandlungen reagierte, als der (ohnehin von jedem Standpunkt aus zwielichtige) PNL-Chef Cîțu eine Personalreduzierung im Beamtenapparat des Staates zwecks Geldbeschaffung zur Realisierung anderer Vorhaben ins Gespräch brachte.

Die liebste „Problemlösung“ rumänischer Politiker ist das Strecken des Zeigefingers in Richtung von „Schuldigen“ – das sind immer andere. Wer kennt den rumänischen Politiker, der je eine Fehlentscheidung eingestanden und bereut hat? Das gilt quer durch die Parteien und durch die Entscheidungen: für Personalentscheidungen (bei Ernennungen auf allen Ebenen) bei Gesetzesvorlagen und dem Abstimmungsverhalten, bei politischen Richtungsbescheiden. Kein Politiker Rumäniens sucht die administrative(n) Wunde(n) und Möglichkeiten zu deren Heilung, alle den „wunden Punkt“ der „Schuldigen“, aus rein privatem, individuellem Blickwinkel. Wenn zur Stunde niemand mehr die PNL wählen will, sind „natürlich“ die PSD und die USR schuld. Sinkt die Popularitätsrate von Präsident Johannis nahe zehn Prozent, sind die „Feinde“ schuld – welche, das denke sich jeder…. Was Wunder, wenn das Vertrauen in die Politiker und deren Agieren sich einem Negativrekord nähert! 

Das erklärt sich mit hoher Sicherheit auch mit dem notorischen Fehlen glänzender Rhetoriker, schwer widerlegbarer Logiker und Empathie ausstrahlender und Sympathien auf sich fokussierender Persönlichkeiten im Realbestiarium des rumänischen Politikerangebots. Allerunterste Mittelklasse ist Maßstab.

So lange Politiker Rumäniens (Achtung: nicht „rumänische Politiker“!) sich über dem Kompetenzniveau von Fachleuten jeden Bereichs wähnen, so lange sie souveräne Kompetenzen anderer einfach ignorieren und sich selbst als Verkünder finaler Wahrheiten hinstellen, so lange werden wir die Normalität vermissen (müssen).