Singübungen als Corona-Therapie für Langzeit-Covid-Patienten

Langzeit-Covid-Patienten haben in Großbritannien die Möglichkeit, sich für eine neuartige Therapie anzumelden: Canto-Übungen. Die Teilnahme sei nicht von Englischkentnissen oder musikalischer Begabung abhängig, so die Organisatoren von der English National Opera (EON) und des Imperial College London. Die einzige Teilnahmebedingung sei die Verfügbarkeit, sechs Wochen lang ein Mal die Woche bei den Online-Sitzungen dabei zu sein und die vorgeführten Übungen mitzumachen. 

Bereits im September vorigen Jahres rief Suzi Zumpe das Test-Projekt „ENO Breathe“ mit 12 Teilnehmenden ins Leben – alle ehemalige Patienten, die schwerere Covid-19-Verläufe durchgemacht hatten und auch Wochen nach der Entlassung an Atemstörungen und Lungenproblemen litten. Als Canto-Lehrerin hatte Zumpe jahrelange Erfahrung mit aufstrebenden Opernsängern an der Royal Academy of Music und konnte gemeinsam mit einigen ihrer Kollegen von der English National Opera (EON) ein einfaches,  aber anscheinend wirkungsvolles Programm aufstellen, um den Teilnehmenden zu einem „korrekten Atmen“ und somit zur Verbesserung ihrer aufgrund der Covid-19-Erkrankung geminderten Lungenkapazität zu verhelfen.

Alle Therapie-Sitzungen beginnen mit Übungen zur Verbesserung der Körperhaltung und zur Kontrolle des Atems und gehen dann zur Aufwärmung der Stimmbänder und unterschiedlichen Stimm- und Singübungen über, die normalerweise für Sänger gedacht sind. Dabei liegt der Akzent auf fokussiertem, langsamen Atmen, bei dem
die Patienten bewusst und stressfrei ihre Atemzüge kontrollieren sollen, erklärte Zumpe gegenüber der Global News London. Die gesungenen Melodien sind hauptsächlich speziell ausgesuchte Wiegenlieder, mit dem Vorteil, kurz, einfach zugänglich und leicht erlernbar zu sein. Außerdem würden Wiegenlieder auch einen entspannenden, beruhigenden Charakter haben, meint Zumpe. Therapeutisch wichtig bei diesem Programm scheint auch die Bildung eines Zusammengehörigkeitsgefühl zu sein, insofern die Patienten auch andere Personen (online) treffen, welche dieselben Gesundheitsprobleme haben. „Ich fühle mich nicht mehr alleine“, erklärte ein Teilnehmer nach mehreren Sitzungen, das Programm würde ihm physisch, mental und auch bezüglich seiner Angstgefühle helfen. Laut Organisatoren erklärten 90 Prozent der Programmteilnehmer,  dass „ENO Breathe“ einen „positiven“ oder „stark positiven“ Einfluss auf ihre Atemweise, aber auch auf ihr Stressniveau hatte. Zur Veranschaulichung sind auf der Webseite der ENO zahlreiche dieser positiven Meinungen und Erfahrungen angeführt.

Zusätzlich erhalten die Teilnehmer online auch Zugang zu Übungen und Aufnahmen, die von ENO-Opernsängern speziell zu diesem Zweck erstellt und aufgenommen wurden, sowie zu einer breiten Palette hilfreicher Videos und entspannender Musik, die für therapeutische Zwecke ausgewählt wurden. Die English National Opera zeigte sich vom Projekt begeistert, da deren Sänger seit über einem Jahr pandemiebedingt nicht mehr auftreten durften und nun wieder ein Ziel vor Augen haben und auch einen wichtigen sozialen Beitrag leisten können. Nach Beendigung der Pandemie sollen dann alle Programmteilnehmer die Möglichkeit haben, auf der Bühne der ENO mitsingen zu können. Für die derzeit bereits gestartete Etappe des Programms haben sich die Organisatoren 1000 Teilnehmer als Ziel gesetzt. Auch die Ärzte vom „Institut für Mutter und Kind“ (Institutul Mamei şi Copilu lui) in der Republik Moldau empfehlen Singen als gute Möglichkeit, „die Lungen gut mit Luft zu befüllen“, meldet der örtliche TV-Sender TV8. Demnach sollten in Chişinău schwangere Frauen nach einer schweren Covid-19-Erkrankung singen, um ihre Lungenkapazität wieder herzustellen. Die Patientinnen würden die neuartige Therapie gut annehmen, erklärte die Krankenhausleitung. Eine direkte Betreuung gäbe es jedoch nicht, außer einigen enthusiastischen Ärzten, die manchmal aus Spaß mitmachen.