Souveränität der Russischen Knute

Die Chefredakteurin von RT (vormals Russia Today) Margarita Simonyan (41) hat einen eigenartigen Humor. Knapp vor Beginn der russischen Invasion in der Ukraine twitterte sie: „Olympia 2008, Befreiung von Südossetien und Abchasien; Olympia 2014, Rückholung der Krim; Olympia 2022 – schreiben Sie hier die korrekte Antwort…“

Es fehlen: 1953 Berlin, 1956 Budapest, 1962 Kuba („Oktoberkrise“), 1968 Prag, 1980 Afghanistan, 1994/1999 (erster/zweiter Tschetschenienkrieg), die größten und flagrantesten Übertretungen des Völkerrechts und die Provokationen seitens des russischen Bären. Und jedes Mal ist Russland – auch die Sowjetunion – mit seiner Verhöhnung des Völkerrechts international ungeschoren davongekommen. Nicht reicher (nur an Kriegserfahrungen), nicht besser (im Innern, dank geschickter „Lackierung der Worte“, gefestigter), nicht klüger (zum Denken werden die Bürger Russlands sowieso nicht erzogen/angehalten). Wie sagte Brecht: „General, dein Tank ist ein starker Wagen./(…) Aber er hat einen Fehler:/ Er braucht einen Fahrer.(…)/ (…) General, der Mensch ist sehr brauchbar./ (…) 

Aber er hat einen Fehler:/ Er kann denken.“

Während diese „Randbemerkung“ entsteht, toben die Kämpfe um die ukrainische Hauptstadt Kiew („Schlacht von Kiew“) und um die wichtigsten Städte der Ost- und Zentralukraine. Aus sicherer Entfernung lohnt ein Blick aufs Kräfteverhältnis zwischen den Zertramplern des Völkerrechts, den Russen, und den sich verzweifelt Verteidigenden. Damit kann man sich ein künftig nicht auszuschließendes Konfrontationsverhältnis Russlands mit der Nato vorstellen. 
Das aktive Militärpersonal Russlands besteht aus 850.000 Soldaten, Offizieren, Wartungspersonal usw. Die Ukraine hat 200.000 (plus 250.000 Reservisten). Das Heer der USA besteht aus 1.390.000 Personen; Finnland, Polen, Lettland, Estland und Litauen (hier: „das Baltikum“) haben zusammen 172.000 aktive Militärs (Rumänien hat 73.000 Aktive unter Waffen und rund 80.000 Reservisten). Flugzeuge und Hubschrauber hat Russland 4173, die Ukraine 318, das Baltikum 664 und die USA 13.247. Russland verfügt über 12.420 Panzer, die Ukraine hat 2596, die baltischen Staaten 1063 und die USA 6612. Russland kann 30.122 gepanzerte Fahrzeuge einsetzen, die Ukraine 12.303, die baltischen Staaten 7925 und die USA 45.193. Russland verfügt über den größten Bestand an selbstfahrender Artillerie: 6574, das ist knapp doppelt so viel wie die Ukraine (1067), das Baltikum (826) und die USA (1498) zusammengenommen. Auch in der gezogenen Artillerie lässt Russland (7571) die Ukraine (2040), das Baltikum (782) und die USA (1339) weit zurück. Ebenso verfügt Russland (3391) über mehr mobile Raketenwerfer wie die anderen zusammen: USA (1366), Ukraine (490) und die baltischen Staaten (260). Goliath prügelt also auf David los – genau wie in all den angegebenen Jahren, seit Ende des zweiten Weltkriegs. 

Der Angriffsbefehl des „Zaren“ Wladimir W.(issarjonowitsch?) Putin ist weder ein Unfall der Geschichte – Unfälle haben keine Regelmäßigkeit der Aggressionen der Russen – noch von jemandem diktiert, der nicht bei Verstand wäre. Putin ist die Verkörperung der barbarischen Aggressivität, Russlands Staatsdoktrin seit Jahrhunderten. Russland, als Staat, kennt als Doktrin nur Expansion, Nachbarn unter die Knute zwingen, Souveränität anderer mit Stiefeln zertrampeln. 
Die Doktrin fußt auf Nostalgie nach zaristischer Pracht und Herrlichkeit. Sie steht dem Panslawismus nahe (am Tag vor der Invasion wurde der 2005 orthodox getaufte Bosnier Emir Kusturica Direktor des Akademischen Theaters der Roten Armee…). An der Souveränität der Knute als Staatsdoktrin Moskaus und Sankt Petersburgs wird im Riesenreich seit drei Jahrhunderten gefeilt. Putin ist Regel, nicht Ausnahme. 

Deshalb ist die Schlacht um Kiew eine Schlacht um (Mittel- und Ost-)Europa.

Hat die „Rückholung“ begonnen?