Taxifahrt durch Bukarest

Bild: sxc.hu

Bukarest ist immer für eine Überraschung gut. So las ich zum Beispiel kürzlich im amerikanischen Reiseführer  „Travelling through Romania“, Graf Draculas Wohnsitz befände sich zwar in den transsylvanischen Karpaten, in einem todschicken und als letzter Eulenschrei geltenden Eichensarg, doch würde der größte Lehrmeister aller Vampire immer wieder mitten in der Nacht in der rumänischen Hauptstadt auftauchen. Aus welchem Grund der Fürst der Finsternis in seinem hohen Alter die Strapazen solcher Nachtreisen auf sich nimmt, erklärte der Reiseführer leider nicht. Ich nehme an, um aus bitterer Hungersnot Blutkonserven zu klauen in verschiedenen Krankenhäusern.

Aber Spaß beiseite, ich reiste kürzlich ebenfalls nach Bukarest, eine Stadt, die ich zuvor kaum kannte, denn ich stamme zwar aus Rumänien, aber ich wohnte bis zu meiner Auswanderung 1977 in dem 500 Kilometer von der Hauptstadt entfernten Banat. In Bukarest unternahm ich eine Menge interessanter Dinge, doch am spannendsten von allem war eine Taxifahrt.
Ich wollte mich mit einem alten Freund im Café des Literaturmuseums treffen und so nahm ich auf der Calea Victoriei, wo ich wohnte, ein Taxi und bat den Fahrer, mich zum Literaturmuseum zu fahren. Er nickte und düste los. Mit seinem Rauschbart und seiner schief sitzenden Rappermütze wirkte er wie ein durchgeknallter orthodoxer Priester auf mich. Nach ungefähr fünf Minuten Fahrt fragte er mich stirnrunzelnd, wo dieses Literaturmuseum denn genau liege. „Nun ja, irgendwo im Zentrum“, erwiderte ich, und nannte ihm noch einmal die Adresse: “Boulevard Dacia, 12.” „Boulevard Dacia 12, ist klar!“, sagte der Fahrer. „Aber wo genau liegt das?“ Ich zuckte überfordert mit den Schultern, was zu heftigen Irritationen führte. „Wieso steigen Sie denn überhaupt in ein Taxi, wenn Sie gar nicht wissen, wo Sie eigentlich hin möchten!“, schimpfte der Fahrer. Dann wendete er sich von mir ab, griff zu seinem Handy und begann mit einem Kollegen zu telefonieren.

Es folgte ein heftiges, sehr emotionales Streitgespräch über die von mir genannte Adresse, in dem sich die zwei Kollegen die ihnen beruflich dringend empfohlene Orientierungsfähigkeit gegenseitig aberkannten. Ich erlebte wahrhaftig viele Minuten voller knisternder Spannung, denn der dahinrasende Fahrer hielt das Handy in der linken Hand, während er sich mit der Rechten bei der Vorbeifahrt an jeder einzelnen Kirche dreifach bekreuzigte. Und seit dem Sturz Ceauşescus hatte man hier, weiß Gott, eine Menge Kirchen gebaut! Ich begann stumm vor mich hin zu beten, was offensichtlich half. Der Taxifahrer beendete urplötzlich das Gespräch, packte das Lenkrad mit beiden Händen, wendete hastig und fuhr in die entgegengesetzte Richtung. Und schon waren wir nach nur einer weiteren halben Stunde vor dem Literaturmuseum angelangt. Es lag praktisch in unmittelbarer Nähe unseres Ausgangspunktes. Ich bezahlte und bedankte mich für die lange Irrfahrt.

Das Ganze hatte zwar etwas länger gedauert, aber was soll’s! Ich habe dadurch viele abgelegene Stadtteile Bukarests kennen gelernt, wenn auch nur sehr flüchtig (en passant). Ich muss unbedingt bald wieder dorthin reisen, um sie mir etwas genauer anzuschauen. Aber dann werde ich natürlich mit der Straßenbahn fahren, und nicht mit dem Taxi, weil die Straßenbahn immer den Gleisen folgt und sich nie verfährt. Obwohl ich mir da gar nicht so sicher bin, denn wie ich am Anfang schon sagte: Bukarest ist immer für eine Überraschung gut.