Telefontypologie

Symbolfoto: sxc.hu

Lüdlüdlüdlüüü! Nanu, wer ist das denn jetzt? Anrufe zur Abendessenszeit sind wenig willkommen. „Hallo, was machst du gerade?“ tönt es aus der Leitung. „Wir sind beim Essen.“ „Ich stör doch nicht etwa?“ flötet die Stimme. Ich (schluck) lüge: „Aber nein – ich esse es auch kalt noch“ (Wink mit dem Zaunpfahl). „Das ist aber gar nicht gesund, das solltest du dir abgewöhnen!“ flötet es zurück, dann folgt ein nimmerendender Redeschwall. Das Gespräch erinnert an die Werbung, wo ein Mann den Hörer abnimmt und sofort an den Papagei weiterreicht, der dann eine halbe Stunde lang geduldig mit „Ja, Mutter!“ antwortet.
Um einen Langschwätzer elegant zum Schweigen zu bringen, hilft nur ein: „Tschuldige, mein Handy piept schon, wo ist nur das Ladegerät, wo mag es nur gebli...“. Blip. Funkstille. Glück hat man auch, wenn das Gespräch aus dem Ausland kommt, dann kann man einfach reinbrüllen: „Du, die Verbindung ist schlecht, lass es uns ein andermal probieren! Hallo, Haaaalloooo! Hörst du mich noch?“ Telefongespräche sind ein Fluch, weil sie sich stets zu unpassenden Zeitpunkten aufdrängen, denn irgendwas tut man ja immer, das man dann brüsk für was weiß ich wie lange unterbrechen muss: das Kneten eines Kuchenteigs, die anregende Diskussion über die Frage des Zusammenhangs zwischen Materie und Bewusstsein auf der Basis der Quantenphysik oder auch bloß die Abendnachrichten im Radio.

In meiner langjährigen, leidvollen Erfahrung als Telefon-Autist ist es mir jedoch zumindest gelungen, sämtliche Gesprächsteilnehmer in Schemen zu klassifizieren. Da gibt es den schon erwähnten Langschwätzer, der sich nicht mal davon abschrecken lässt, dass sein Gesprächspartner gerade für 50 Gäste Tiramisu serviert, sich eigentlich schon seit zwei Stunden die Haarfärbepaste vom Kopf spülen müsste oder von einem Bein aufs andere zappelt, weil die Natur ruft. Diese wiederum lassen sich unterteilen in mitteilsame Individuen, die bloß kein Ende finden, und solche, die schon mit dem Gesprächsinhalt ernsthafte Probleme haben. Diese beglücken einen dann gnadenlos mit Informationen über das Sonderangebot für Petersiliensträußchen beim Carrefour. Dazu gehören aber auch ältere Verwandte mit der Tendenz, ausführlich über Frau Bembel und Familie Hunzenbrunz zu berichten: „Was, die kennst du gar nicht? Aber ich hab doch schon tausendmal von denen erzählt!“
Dann gibt es noch den Typus des Hartnäckigen. Er stört mit schlafwandlerischer Zielsicherheit in einer wichtigen Konferenz, mitten im Interview, beim Zahnarzt oder beim Notfallchirurgen. Nachdem man ihn erst viermal weggedrückt und dann auf Vibration umgeschaltet hat, springt die Handtasche auf dem Stuhl alle halbe Stunde zehn Minuten lang auf und ab, bis sich das Handy entladen hat.

Besonders gefressen aber hab ich den Geheimen: Er denkt wohl, wenn er seine Nummer nicht preisgibt, hebt man eher ab? Irrtum, mein Freund – ich bin überhaupt nicht neugierig! Dies wurde mir nämlich einmal zum Verhängnis, als ein Typ mit unbekannter Nummer anrief und mit seriös klingender Stimme die letzten drei Ziffern meiner CNP einforderte, um mir ein 12-monatiges kostenloses Abo zukommen zu lassen. Obwohl ich bei keinem Gewinnspiel mitgemacht hatte. „Das ist doch sicher Betrug!“ erboste ich mich und wollte auflegen. „Nein, das können Sie sofort verifizieren, rufen Sie einfach 1234 in der Zentrale an!“ säuselte der Typ überzeugend. Na, was will der schon mit den paar unvollständigen Zahlen, dachte ich - und wählte dann die Nummer des Providers. Da trudelte eine SMS herein: Ich hatte soeben 10 Euro auf ein fremdes Handykonto übertragen!
Nervig aber auch Anrufe von unbekannten Nummern, die meist so ablaufen: „Alo, Maricica?“ „Hier gibts keine Maricica, Sie haben sich verwählt!“ Der Teilnehmer am anderen Ende legt wortlos auf – und probiert es gleich wieder, offenbar mit Wahlwiederholung. Das Spiel wiederholt sich dann je nach Intelligenzgrad durchschnittlich ungefähr viermal.
Ach so, was bin ich eigentlich für ein Telefontyp? Vermutlich ein „Herrje, sie hat mal wieder ihr Handy nicht dabei“-Typ, wie mir Freunde entnervt vorwerfen, die es dann geduldig so lange probieren, bis ich doch irgendwann abhebe. Womit wir wieder beim Typus des Hartnäckigen wären...