Überraschungen, Experimente und Spieltaktiken

Auch in Hermannstadt und für das DFDR wird das nächste Jahr spannend

Breite Übersicht ist auch im bürgerlich-provinziellen Hermannstadt wichtig. | Foto: Klaus Philippi

Rumänien und sein Superwahljahr 2024: Was genau soll eigentlich „super“ auftrumpfen, wenn binnen weniger als zwölf Monaten die Kampagnen für die Europaparlamentswahl, die Kommunalwahlen, die nationale Parlamentswahl und die Präsidentschaftswahl den Aufmerksamkeits-Pegel nach oben schnellen lassen dürfen? In einem Land, wo es ein halbes Jahrhundert lang überhaupt nichts zu wählen geben durfte. Die Auflösung des Mehrparteiensystems im Staat hatte Rumäniens kommunistisches Regime nicht erst aus eigenen Kräften umsetzen müssen. Ein Dekret von König Carol II., dem vorletzten Monarchen auf dem Thron auf Schloss Cotroceni, brachte die undemokratische Vorleistung für die Nachkriegszeit. Ganz schön schwer, politisch vom 50 Jahre langen Parteienverbot zu gesunden, das weder Opposition noch unabhängiges Mitreden zuließ.

Seit 1990 endlich sind Parteien in Rumänien wieder erlaubt. Macht das die Politik einfacher, besser, durchschaubarer und auch wieder einladender, sich wählend an ihr zu beteiligen? Was kann man mit dem Wählerisch-Sein überhaupt noch anfangen, wo hört der Spaß an der Wahlurne mit  Sicherheit auf, und wie kritisch oder vielleicht doch ein wenig hoffnungsvoll wäre zu votieren, wenn man sich vor Augen hält, dass die PSD, die PNL und die USR auf der Linie groß enttäuschen, von ein paar wenigen Lichtgestalten der amtierenden Macht und ihrer Opposition einmal abgesehen? Bekanntlich gibt es nicht nur von Banken gewährte Kredite, sondern auch Einzahlung regulärer Raten in Vertrauenskredite, mit denen sich Wahlkämpfe gewinnen lassen – oder mangels derer frühere Wählersympathien verlorengehen.

Je nachdem, wer wie ins Rennen um ein begehrtes Amt geht oder aus ihm scheidet. Nicușor Dan brachte erst im dritten Anlauf das Kunststück fertig, sich unabhängig den Oberbürgermeister-Sessel von Bukarest zu sichern. Keine Frage, dass er im Wahlkampf 2024 seine politische Parteilosigkeit längst aufgegeben haben wird. Und wie wird Hermannstadt/Sibiu entscheiden, dessen Einwohner wie alle anderen Bürger im Land auch kommendes Jahr gleich viermal Gebrauch vom Wahl-Stempel machen dürfen? Städtisch verspricht nichts so heiß wie das Wahlrennen um das Rathaus zu werden.

Sicher ist mehr als ein Jahr vor dem Wahltermin nur, dass alle lokal und regional gewichtigen Parteien und politischen Organisationen, sei ihre unterschiedlich weitreichend ausfallende Macht zu fürchten oder nicht, Ansprüche auf den Einzug in das geachtete Rathaus am Großen Ring/Piața Mare stellen. Sogar die AUR – eine Allianz nicht nur der Nationalisten, sondern allgemein von Frustrierten des politisch rechten wie linken Spektrums – rechnet sich Chancen aus, ab Sommer und Herbst 2024 eine bis zwei Personen in den Stadtrat delegieren zu können. Bei 23 stimmberechtigten Sitzen im Rathaus von Hermannstadt wäre das zwar noch verkraftbar, aber eben doch nicht ganz ohne. Argumentationskünste von Mitgliedern weiterer Fraktionen würde es bestimmt glasklar offenlegen. Wer vermutet, die AUR letztlich schimpfend zum Schweigen bringen zu können, hat schon verloren.

Die PNL in der Pole-Position?

Einzig die Aufstellung von Adrian Bibu als Kandidaten für das Amt des nächsten Bürgermeisters ist einstweilen kein Geheimnis mehr. Der ranghöchste Verwalter im Apparat des Kreisrates steht in der Hackordnung der PNL auf Hermannstadts regionaler Ebene weit oben. Über ihm thront parteiintern nur noch Daniela Cîmpean als Kreisratsvorsitzende, die bestenfalls grob mittelmäßige Politikerin Raluca Turcan im Chefstuhl der Hermannstädter PNL-Kreisfiliale ausgenommen. Die kümmert sich vor allem um ihr Mitmischen in der nationalen Politik, was Hermannstadt ihr keineswegs verübelt. Adrian Bibu dafür hat es auf die Bürgermeister-Stelle abgesehen, und Daniela Cîmpean einmal mehr auf den Kreisratsvorsitz, den ihr, wenn über-haupt, nur die PSD streitig machen kann. Und die Dominanz der PSD in Hermannstadt und Umgebung liegt einige Jahre zurück.

Adrian Bibu schickt sich bereits an, seinen auf Eis gelegten Vertrag als Direktor der Transilvania-Mehrzweckhalle weiterhin ruhen zu lassen und den Sprung aus seiner Mitgliedschaft im Stadtrat in die Oberaufsicht über Hermannstadts Rathaus-Verwaltung zu wagen. Wen er im Wahlkampf herausfordern wird, ist noch nicht bekannt. Im Ungewissen liegt auch eine Antwort auf die Frage, ob er als der  gewählte Bürgermeister von Hermannstadt stur ausführen würde, was seine parteiintern Vorgesetzten von ihm erwarten, oder ob er Mumm hätte, im Zweifelsfall Hermannstadt und seine Bürger auf Kosten seiner Partei statt umgekehrt zu schützen. Adrian Bibu als Bürgermeister wäre ein Experiment. Wobei das konservative und provinzielle Hermannstadt für Experimente immer schon schlecht zu haben war.

Dann die USR: in einem Interview für die ADZ verkündete Diana Mureșan 2021 die Absicht der gegenwärtig vierköpfigen Fraktion im Stadtrat, ab 2024 „den Bürgermeister oder die Bürgermeisterin Hermannstadts“ stellen und Rathausintern „Teil einer Regierungs-Mehrheit“ sein zu wollen. „Unser Ziel ist ganz klar.“ Alles bestens, hätte nur Kreisrats-Mitglied Adrian Echert sich kürzlich im Februar 2023 nicht auf das Konterkarieren der regional übermächtigen PNL eingeschossen. „Ich möchte nicht, dass Hermannstadt wie auch alle anderen Ortschaften gelb (die Kennfarbe im Logo der PNL, Anm. d. Red.) wird“, so der Vorsitzende der USR-Filiale auf lokaler Ebene Hermannstadts. Der Online-Lokalzeitung „Turnul Sfatului“ gaben städtische bis regionale Ansprechpartner der PMP und der neuen Splitterpartei „Forța Dreptei“ zur Antwort, eine Koalition mit der USR, die den Plan von Adrian Bibu verunmöglichen soll, gerne in Erwägung zu ziehen.

Schweres Los für Außenseiter

In der Redaktion von „Turnul Sfatului“ möchte man weiterhin noch gewusst haben, dass Europaparlaments-Mitglied Nicolae Ștefănuț˛ der USR den Rücken auch gekehrt habe, weil er mit seiner Absicht, früher oder später mit für das Bürgermeisteramt von Hermannstadt kandidieren zu wollen, parteiintern nicht auf das erwünschte Maß Unterstützung gestoßen wäre. USR-Mitglied ist Nicolae Ștefănuț˛ nicht mehr. Der Weg jedoch, sich unabhängig in den Wahlkampf einzureihen, steht ihm frei. Aber auch das wäre in Hermannstadt ein Experiment und der kleinbürgerlichen Gesellschaft als Risiko viel zu hoch.

Von der Geduld, jemanden dreimal unabhängig kandidieren zu lassen und ihm beim dritten Versuch tatsächlich den Vertrauens-Kredit an der Wahlurne zu geben, braucht man in Hermannstadt nicht zu reden. Was Nicușor Dan in Bukarest fertiggebracht hat, würde in Hermannstadt niemand jemals hinbekommen. Provinz kann sich selber nur Provinz bleiben. Mit der logisch folgenden Feststellung, dass auch Ingenieur Dr. Adrian Pascu, Professor an der städtischen Lucian-Blaga-Universität, der PSD wohl oder übel vergeblich beigetreten ist, wenn er es darauf angelegt haben sollte, 2024 zum Bürgermeister gewählt werden zu wollen. Dass er vom Amt eines Prorektors der Universität zurücktrat, bestätigt seine politische Hoffnung. Unabhängige und PSD-Kader aber haben in Hermannstadt kaum gute Karten. Es sei denn, eine Überraschung tritt ein.

2020 blieb sie aus. Raul Apostoiu, damals Bürgermeister-Kandidat des Bündnisses zwischen der USR und der zwischenzeitlich wieder aufgelösten PLUS, landete abgeschlagen auf Rang drei hinter Astrid Fodor (DFDR) und Adrian Bibu. Dafür schaffte er es immerhin auf Anhieb in den Stadtrat. Was ihm für das noch viel begehrtere Amt fehlte? Das, was man auf Rumänisch „capital de imagine“ nennt. Wer Raul Apostoiu ist, wussten nur die Sympathisanten der USR und der PLUS. Für alle anderen war er ein Unbekannter, dem man vorsichtshalber besser nicht vertraut, auch wenn er es noch so gut gemeint und gewusst haben könnte. Als politisch Unabhängiger hätte Raul Apostoiu kein schlechteres Wahlresultat erzielt. In der Provinz schließlich entscheidet nun mal die Reputation, nicht die Information.

Trügerische Architektur

Wer beim autonomen Recherchieren von Informationen gründlich vorgeht, findet sichere Orientierung im Dickicht von Manipulation und Reputation vor, während und nach politischen Wahlkämpfen. Reputation kann gut, aber auch schlecht sein. Der Schaden, den sie manchmal nimmt, hängt von den Informationen ab, über die man sich im Bilde ist. Dass Architekt Alexandru Găvozdea als Kandidat für die Bürgermeister-Wahl in Hermannstadt gehandelt wird, ist zumindest ein Gerücht. Von der „Turnul Sfatului“ dazu befragt, artikulierte er unlängst im Februar nicht die geringste Bestätigung, beantwortete das Nachhaken aber auch mit keiner klaren Absage. Ob und für welche Partei, Allianz, Organisation oder unabhängige Motivation Alexandru Găvozdea sich dem Wahlkampf stellt, bleibt als eine große Überraschung für Hermannstadt zu erwarten. Einige zig Gegenstimmen an der Urne wären ihm schon mal sicher, denn Ende Mai 2022 scheiterte ein von ihm dokumentiertes Investitions-Projekt für einen Neubau inmitten der Altstadt an der Abstimmung durch den Stadtrat (die ADZ berichtete mehrfach ausführlich). Die Sache ist noch nicht ganz ausgekocht, da der Investor ankündigte, gerichtlich gegen das Rathaus und die Stadt-Architektin vorgehen zu wollen. Eine Petition gegen den arroganten Neubau jedoch, von 42 Anrainern des gefährdeten Grünfleckens unterzeichnet, erreichte ihr Etappenziel.

Für Hermannstadt und besonders seinen Kern wäre es gut, wenn der eventuelle Bürgermeister-Kandidat Alexandru Găvozdea das Rennen verliert. Es brächte ihn nicht um das Recht, seinem Beruf auch weiterhin nachzugehen, bedeutete aber ein Reifezeugnis für das wählende Hermannstadt. Umstrittenen Technokraten sollten weder Parteien, Allianzen noch politische Organisationen die Hand zum Wahlkampf reichen.

Wollen, Müssen, Dürfen und Können

Verwunderlich oder nicht, dass sich das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR) betreffend die Kommunalwahlen in Hermannstadt 2024 bedeckt hält und den Namen der Person, die es in das Rennen um das Chefamt im Rathaus schicken zu gedenkt, vermutlich so spät wie möglich mitteilen wird? Warum dazu nichts Näheres an die Öffentlichkeit durchdringt, kann mehrere Gründe haben. Vielleicht gibt es Mitglieder der Hermannstädter Filiale des DFDR, die zum Bürgermeister oder zur Bürgermeisterin taugten, es aber streng meiden möchten, zur Wahl gestellt zu werden. Oder es gibt DFDR-Mitglieder, die sich liebend gerne im obersten Rathaus-Amt sähen, doch nicht dafür geeignet wären. Beim „Forum“ liegen gewiss alle Karten auf dem Tisch. Jene der Gegner und die eigenen. Spielen kann man nur letztere und stechen nur die ersteren. Intern wie extern.

Nicht zu vergessen: noch ist Bürgermeisterin Astrid Fodor (DFDR) im Spiel. Obwohl sie 2021 bekanntgab, nicht noch ein weiteres Mal in den Wahlkampf gehen zu wollen, hätte sie einige Chancen, ihn erneut zu gewinnen. Hermannstadt, das Experimente scheut, wäre es recht, und zu Kandidaten wie Alexandru Găvozdea, der an der Altstadt nur den Boden für Neubauten zu schätzen bereit scheint, gäbe es eine gute Alternative. Was aber, wenn der Bruch zwischen Astrid Fodor und dem DFDR nicht wieder ausheilt? Vier von acht gewählten Mitgliedern der DFDR-Fraktion im Stadtrat stimmten für das von Alexandru Găvozdea dokumentierte Neubau-Projekt, während ein fünftes DFDR-Fraktionsmitglied sich seiner Stimme enthielt.

Die USR, die schon 2020 ihren Coup in Hermannstadt zu landen verpasst hat, wird ihn wahrscheinlich auch 2024 nicht hinkriegen. Hermannstadt ist politisch verwachsen und mit allem Guten und Schlechten zu einer Hochburg der PNL mutiert. Dass Rumäniens Staatspräsident ursprünglich aus den Reihen des DFDR stammt, wird spätestens ab Neujahr 2025 kein Wortführer der deutschen Minderheit im Land mehr herausstellen können. Bleibt noch das Amt des Bürgermeisters oder der Bürgermeisterin Hermannstadts, aber auch das ist dem DFDR nicht für immer und ewig vorbehalten. Der Verlust der Leitung im Rathaus am Großen Ring ist dem DFDR nicht zu wünschen, könnte jedoch eintreffen. Wie ihm vorbeugen? Ehrlich statt eitel. Und bitte ja keine Lobby mehr für Technokraten ohne Respekt vor der Altstadt!