Von der 50 bis zur 600

Wahlplakat-Kleingedrucktes zeigt, wer sich kleine bis gar keine Chancen ausrechnet – und wer vielleicht gern größere hätte

Man nenne eine Stadt im narzistisch konservativen Siebenbürgen, der seit mindestens zwölf Jahren – also der Dauer dreier Mandate – ein und derselbe Bürgermeister voransteht. Blasendorf/Blaj könnte es sein, Heltau/Cisnădie oder Klausenburg/Cluj-Napoca natürlich, wo Emil Boc als graue Eminenz allerhöchste Maßstäbe etabliert hat und dennoch von seinen Kritikern und Nörglern angezweifelt wird. Ja, und hierbei zählt auch noch Hermannstadt/Sibiu, seit 24 Jahren der mit Abstand liebste Wahlkreis des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR). Wobei der Johannis-Zauber längst wieder vorüber ist und die rumänischsprachige Lokalpresse keinen Bogen mehr um die Ecken und Kanten von Bürgermeisterin Astrid Fodor schlägt. Was ihr aber noch nicht den politischen Status einer Herausforderin aufdrücken konnte. Auf Sonntag schließlich, den 9. Juni, dürfte Astrid Fodor sich freuen wie auf ein leichtes Heimspiel. Oder drängt Gefahr, dass dem DFDR von der Opposition und ihrer Wählerschaft dazwischengefunkt wird?

Um die 135.000 Einwohner zählt Hermannstadt, und eine Langzeit-Obermacht auf Platz zwei zu verweisen, ist in der Provinz die wohl hartnäckigste Aufgabe für Herausforderer überhaupt. Bescheidene 100 Stück eines Plakats mit dem Konterfei von Dr. Suciu Sebastian hat die AUR drucken lassen, die allenfalls ein paar wenige Stadtrat-Sitze reißen, hoffentlich aber und höchstwahrscheinlich auch nicht den neuen Bürgermeister stellen wird. Für Hermannstadt wäre das die unschönste Überraschung. Mit noch geringeren Ressourcen als die AUR probiert es allein die „Partidul Patrioților“ als Bieterin von 50 Plakaten der Wahloption Cristian Marinescu für das Chefamt im Rathaus. Und die 100, mit der die AUR ihren Lokal-Kandidaten ins Rennen schickt? Zu ihr und kein bisschen mehr haben sich auch die „Partidul Ecologist Român“ als Mannschaft hinter Ioan-Șefan Zară und die „Partidul Umanist Social Liberal“ entschlossen, die auf das Antreten von Außenseiter Ciprian Faraon setzt. Doch überraschend der Zählerstand von nur 200 Wahlplakat-Exemplaren für Ruxandra Cibu Deaconu, wo der Hermannstadt-Wille der USR, der stärksten  Partei im Wahlbündnis ADU mit der PMP und der „Forța Dreptei“ um Ex-Premierminister Ludovic Orban, deutlich mehr papierenes Werbematerial vertragen hätte. Bei der PSD hingegen, die Florian Giubega zu ihrem Anwärter auf den Rathaus-Chefsessel bestimmt hat, und in der Auffassung der PNL, deren Stadtrat-Fraktionschef Adrian Bibu während Sitzungen weder eine offene Konfrontation mit der USR noch dem DFDR scheut, gehört es sich, 300 Stück vom Plakat des eigenen Kandidaten auf das Amt des Bürgermeisters zu ordern. Mit 300 Stück für Astrid Fodor rechnet auch das DFDR gut zu fahren.

Aber es gibt einen, der sich erdreistet, nicht nur Astrid Fodor das Wasser reichen zu wollen, sondern sie alle herauszufordern: sage und schreibe 600 Stück seines Wahlkampf-Porträts hat Alexandru G²vozdea als unabhängiger, als parteiloser Kandidat bei der SC Print ATU S.R.L. in Auftrag gegeben und somit das Soll der PSD, der PNL und des DFDR um das Doppelte und jenes der USR um das Dreifache übertroffen. „Primarul oamenilor, nu al partidelor“ ist auf dem Werbe-Kasten unter seinem Vollbart-Gesicht zu lesen („der Bürgermeister der Menschen, nicht der Parteien“), und der Vollständigkeit halber möchte man meinen, in seinem täuschend ehrlichen Blick den „Bürgermeister von Neubauten“ („primarul construc]iilor“) ertappt zu haben. Wäre Alexandru G²vozdea als Architekt nicht ausgerechnet der Autor einer Dokumentation für ein sehr streitbares Bürogebäude mitten auf einer Grünfläche im Altstadtkern, wäre sein Liebäugeln mit dem Rathaus-Einzug als unbedenklich zu werten.

Und dann noch die Hermannstädter Hassliebe zwischen PNL und DFDR: die 300 Plakate für Herausforderer, für Wahlkampf-Gegner Adrian Bibu sind ein Erzeugnis der Honterus-Druckerei. Die keine Plakate für Astrid Fodor, jedoch 30.000 Gratis-Ausgaben der ersten „Hermannstädter Zeitung“ (HZ) auf Rumänisch ausschließlich für den urbanen und kreisweiten Wahlkampf des DFDR gedruckt hat. Was man nicht alles anfängt, um den 24 Jahren, seit denen man das Heft selber in der Hand hat, weitere vier lückenlos anzufügen. Vier Jahre zum Aufatmen, in denen die Opposition erstarken könnte wie schon lange nicht mehr.