Von Gott umgeben sein

VON ALLEN SEITEN UMGIBST DU MICH UND HÄLTST DEINE HAND ÜBER MIR. Psalm 139, 5 

Manche Menschen lieben das über alles: Auf dem Rücken im warmen Meer zu liegen, sich von den Wellen umschmeicheln zu lassen und das warme Meerwasser auf der ganzen Haut zu fühlen. Vielleicht ist dieses Gefühl eine urtümliche Erinnerung an den glücklichsten Zustand, den ein Mensch je hatte: Das Sein im Leib der Mutter, vor der Geburt. Solche Geborgenheit hat keiner in seinem späteren Leben mehr. Von allen Seiten von der Mutter umgeben - so glücklich kann man nie mehr sein. Es ist freilich kaum anzunehmen, dass der Verfasser des 139. Psalms solche Gedanken hatte, wenngleich er im Vers 13 auch vom Mutterleib spricht. Sicher aber hat er die wärmenden Sonnenstrahlen nach einer kühlen Nacht wohltuend auf der Haut empfunden, gleichsam Wärme und Licht von allen Seiten. Und diese beglückende Empfindung überträgt er nun auf sein Gottvertrauen: „Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.“Mit unvergleichlich feinem Sprachgefühl hat Martin Luther nicht nur diesen Vers, sondern den ganzen 139. Psalm in unsere schöne deutsche Sprache übertragen. Und es lohnt sich, ihn einmal halblaut zu lesen! Mir jedenfalls kamen beim Lesen und Überdenken unseres Monatsspruchs ganz viele Gedanken. Zunächst einmal dieser: Die Erinnerung an die so genannten Schutzengel. Dass es sie gibt, steht außer Zweifel. Und sie haben nun einmal die Aufgabe, uns gleichsam „von allen Seiten“ zu umgeben und die schützende Hand über uns zu halten. Darum hat eine besorgte Mutter auch zu ihrem erwachsenen Sohn vor einer längeren Autofahrt gesagt: „Bitte, fahr nicht schneller, als dein Schutzengel fliegen kann!“ Und wohl uns, wenn wir uns diese gut gemeinte Mahnung bei jeder Autofahrt zu Herzen nehmen. Doch ich kann mir auch die Situation vorstellen: Da liegt eine Mutter im Krankenhaus. Am nächsten Tag soll sie operiert werden. Angst krampft ihr das Herz zusammen. Wie wird der Eingriff in ihrem lebendigen Leib von statten gehen? Wie wird es sein mit den Kindern, mit dem Mann? Tausend Fragen belasten ihre Seele. Vor Angst beginnt sie zu frieren und zu zittern. Doch dann schlägt ihre Bettnachbarin die Bibel auf und liest ihr den 139. Psalm halblaut vor. Und dann ist es wie eine Wunder: Das aufgeregte Herz der zu Operierenden wird ruhig und eine große Zuversicht erfasst die Kranke. Sie vertraut plötzlich: Auch im Operationssaal wird der Allmächtige um sie und über ihr sein! Getrost kann sie in der kommenden Nacht schlafen. Sie weiß sich geborgen in der Hut Gottes. Freilich, es steht nichts darüber in unserem Monatsspruch, dass jede Reise gefahrlos abläuft und dass jeder operative Eingriff glücklich verlaufen muss. – Wenn Gott uns umhüllt wie das Wasser oder das Sonnenlicht unseren Körper, dann müssen wir auch das andere bedenken: Im Wasser kann man ertrinken, und das Sonnenlicht kann unsere Haut schmerzhaft verbrennen. Was wirklich geschieht, steht in Gottes Hand. Das weiß auch der Psalmist, wenn er im 17. Vers sagt: „Wie schwer sind für mich, Gott, deine Gedanken. Wie ist ihre Summe so groß!“ Wir glauben ja auch nicht nur an Gott, den Schöpfer, sondern an den Vater Jesu Christi. Und dieser Vater ließ seinen Sohn den Weg zum Kreuz gehen. Und er hat auch in seiner Sterbestunde die Hand nicht von ihm abgezogen. Und das ist wohl das ganz Entscheidende: einfach zu vertrauen, dass der Herr meines Lebens es gut meint, heute und morgen und allezeit. Darum möchte ich Dich bitten, Dich, der Du mich seit meiner Geburt umgibst und die Hand über mir gehalten hast: Dass Du mir das fröhliche und zuversichtliche Vertrauen erhältst auch in schwierigen Lebenslagen und dass ich etwas davon auch an andere weitergeben kann. Denn das ist wohl die höchste und schwerste Lebenskunst.

Gott sei vor dir, um dir den rechten Weg zu zeigen.
Gott sei neben dir, um dich in die Arme zu schließen und dich zu schützen.
Gott sei hinter dir, um dich zu bewahren vor der Heimtücke böser Menschen.
Gott sei unter dir, um dich aufzufangen, wenn du fällst.
Gott sei in dir, um dich zu trösten, wenn du traurig bist.
Gott sei um dich herum, um dich zu verteidigen, wenn andere über dich herfallen.
Gott sei über dir, um dich zu segnen.So segne dich der gütige Gott. (Altkirchlicher Segen, 4. Jahrhundert)