Nach 24 Jahren in Deutschland kehrte Denisa Scundea zurück nach Rumänien – nicht aus Nostalgie, sondern aus dem Wunsch heraus, etwas Eigenes aufzubauen. Heute leitet sie in Arad die Agentur Ertrion Marketing, die Marken nach neurowissenschaft lichen Prinzipien entwickelt und internationale Unternehmen wie Fiat, Jeep oder iRobot betreut. Im Interview spricht sie über die Einflüsse zweier Kulturen, über gehirngerechtes Marketing, über Authentizität als knappes Gut – und darüber, warum Klar heit wichtiger ist als Zustimmung. Lesen Sie weiter ein Gespräch, das die ADZ-Redakteurin Andreea Oance mit der Unternehmerin führte.
Frau Scundea, Sie sind als Kind aus Rumänien nach Deutschland ausgewandert und leben nun wieder in Arad. Was hat Sie zurück nach Rumänien geführt?
Es war ein Bauchgefühl. Familie, Heimat und das Gefühl, etwas Eigenes HIER aufbauen zu können und nicht nur im Ausland. Ich wollte zurück in ein Umfeld, das sich neu anfühlt. Es sind immerhin 24 Jahre her seitdem ich gegangen bin...
Sie haben vor über 15 Jahren begonnen, Marken aufzubauen. Wie hat sich Ihr Weg in die Marketingwelt entwickelt?
Ich habe früh gemerkt, dass mich Unternehmen nicht wegen ihrer Logos interessieren, sondern wegen der Reaktionen, die sie auslösen. Warum bekommt man Gänsehaut bei bestimmten Farben oder Sätzen? Warum erinnern wir uns an manche Botschaften und vergessen andere sofort? Dieses „Warum?“ hat mich angetrieben. Am Anfang war es reines Interesse, dann wurde es Expertise und irgendwann Verantwortung. Und Verantwortung führt früher oder später dazu, dass man eine eigene Agentur gründet, einfach weil man merkt, dass man seine eigene Handschrift haben möchte. Eine Handschrift, die ohne Ausreden auskommt und ohne Show. Nur klare Arbeit.
Wie haben Ihre frühen Erfahrungen in Deutschland Ihre Sicht auf Marketing geprägt?
Deutschland hat mich diszipliniert. Ich habe dort gelernt, dass eine Idee erst dann etwas wert ist, wenn sie nachvollziehbar ist. Kein Chaos, keine spontanen Eingebungen ohne Grundlage. Entscheidungen brauchen Gründe. Diese Kombination aus Struktur und Klarheit ist heute mein Fundament. Rumänien hat mir Spontanität und Mut gegeben, Deutschland hat mir Logik und Durchhaltevermögen gegeben. Zusammen ergibt das meine Art zu arbeiten: kreativ, aber kontrolliert. Emotional, aber faktenbasiert.
Gab es kulturelle Unterschiede zwischen Deutschland und Rumänien, die Ihren Ansatz beeinflusst haben?
Ja. Deutschland plant jeden Schritt. Rumänien rennt los. Ich habe beides übernommen. Ich plane gründlich, aber wenn die Entscheidung getroffen ist, bewege ich mich schnell. Perfektion ist kein Ziel. Wirkung ist das Ziel. Und dieser Mix macht vieles möglich, was in klassischen Agenturen gerne in Meetings steckenbleibt. Social Media Marketing ist genau das: Test, testen, testen. Dann basierend auf KPIs, Entscheidungen treffen.
Ertrion Marketing arbeitet mit einem neurowissenschaftlichen Ansatz. Was bedeutet das konkret?
Wir gestalten Online Marketing, nicht nach persönlichem Geschmack, sondern danach, wie das Gehirn funktioniert. Jede Farbe, jede Form, jede Textzeile erfüllt einen Zweck. Aufmerksamkeit ist heute die teuerste Währung. Und nur Marken, die gehirngerecht kommunizieren, bleiben hängen. Wir arbeiten also nicht für die Marke, sondern für das Gehirn der Zielgruppe. Der Unterschied ist enorm. Das sieht man im Branding, im Social Media-Auftritt, im Storytelling und sogar in der Sprache. Ich habe keinen Spaß an Zufall. Ich habe Spaß an Zahlen, Daten und Fakten basierte Entscheidungen.
Wir verlassen uns nicht auf Geschmack oder Intuition allein. Wir gestalten Branding so, dass es im Gedächnis bleibt.
Sie haben Kampagnen für Marken wie Fiat, Jeep, RedHat oder iRobot entwickelt. Können Sie ein Beispiel nennen?
Eine Kampagne für einen globalen Automobilkunden war ein Wendepunkt. Die Marke war technisch, komplex und eher kühl. Unsere Aufgabe war, sie emotional aufzuladen, ohne ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren. Wir haben mit Influencern gearbeitet, die eigentlich gar nicht in dieses typische Auto Schema passen. Und genau das hat funktioniert. Plötzlich wurde die Marke nicht nur verstanden, sondern gefühlt. Und sobald Menschen fühlen, verändern sie ihr Verhalten. Genau das ist der Kern unserer Arbeit.
Gibt es ein Projekt, auf das Sie besonders stolz sind?
Ich bin stolz auf die Momente, in denen ein Kunde sich selbst erkennt. Wenn plötzlich klar wird, wer sie eigentlich sind und warum. Dann sieht man in Gesichtern etwas, das man nicht kaufen kann. Klarheit. Und Klarheit rettet Unternehmen langfristiger als jede Kampagne.
Sie sprechen bei Google, Startup Safari und der Universität St. Gallen. Worum geht es in Ihren Vorträgen?
Ich spreche über Wahrnehmung, wie Marken wirken. Über die Psychologie hinter Entscheidungen. Über Rolle und Wirkung von Identität. Über Community Building, das nicht toxisch ist. Ich möchte zeigen, wie Kommunikation Sinn ergibt und nicht nur Aufmerksamkeit erzeugt. Vorallem geht es mir darum Geschäftsführer so zu positionieren, dass die Brand in deren Leben passt und nicht anderes rum. Authentizität ist heutzutage schwer zu finden. Mein Ziel ist, dass die Menschen im Raum verstehen, dass Marken kein Zirkus sind. Sie sind Mechanismen, die funktionieren müssen. Ich möchte, dass Kommunikation wieder Sinn ergibt, nicht nur Lautstärke produziert.
Was war die Motivation für Ihr Workbook „0 to 100 Real Quick"?
Ich habe gesehen, wie viele Unternehmen panisch reagieren, wenn eine Krise kommt, und dabei völlig planlos sind. Das Workbook ist eine echte Anleitung, kein Hochglanz Motivationsheft. Es erklärt, was man tun muss, wenn es wirklich brennt. Und es erklärt, wie man dafür sorgt, dass es gar nicht erst brennt. Ich mag keine Floskeln. Ich mag Lösungen. Prävention zu betreiben ist schlauer als zu spät zu reagieren, quasi also wenn das Kind schon im Brunnen gefallen ist.
Was bedeutet für Sie gehirngerechtes Marketing?
Wir kommunizieren so, wie Menschen wirklich Entscheidungen treffen. Einfach. Klar. Emotional anschlussfähig. Keine Überladung. Keine Show ohne Inhalt. Zahlen, Daten und Fakten sind uns wichtig. Kein unnötiger Lärm. Und immer gemessen an Zahlen. Wir sind nicht die Agentur, die hübsche Posts baut. Wir bauen Entscheidungsarchitekturen und Strategien für unsere Kunden. Wir verstehen uns als Berater in erster Linie. Denn wie sagt man so schön? Der Fisch stinkt vom Kopf! Für die Umsetzung haben wir externe Freelancer mit denen wir zusammenarbeiten.
Welche Fehler sehen Sie im Social Media Marketing am häufigsten?
Die meisten Unternehmen wissen nicht, wer sie sind. Sie posten, ohne Haltung. Sie reden, ohne Stimme. Und dann wundern sie sich, dass niemand zuhört. Social Media belohnt Klarheit. Und Klarheit ist für viele Marken schmerzlich selten.
Was ist Ihre Vision für Ertrion Marketing?
Wir wollen keine Massenagentur werden. Wir wollen wenige Kunden, mit denen wir wirklich tief arbeiten. Marken, die zu uns passen und bei denen wir spürbar etwas verändern können. Qualität vor Lautstärke. Präzision vor Performance Theater. Eine Handschrift, die man erkennt, selbst wenn unser Name nicht daneben steht. Deshalb haben wir als Boutique online Marketing Agentur beschlossen nur eine bestimmte Maximal Anzahl an Kunden anzunehmen die auch zu uns passen. Wir bevorzugen Branchen wie: Automotive, IT, Tech, Cybersecurity, SaaS .
Welche Erfahrungen haben Sie als Frau in einer oft männlich geprägten Branche gemacht?
Ich musste öfter erklären, warum ich im Raum bin. Heute spare ich mir diese Energie. Ich arbeite mit Menschen, die meine Expertise erkennen und nicht mein Geschlecht kommentieren. Ich sage auch offen nein zu Projekten, die nicht zu meinen Werten passen. Das ist ein Luxus, den ich mir erarbeitet habe. Und er fühlt sich gut an.
Welche Botschaft möchten Sie jungen Gründerinnen mitgeben?
Warte nicht darauf, dass jemand sagt, du darfst. Mach es einfach. Stärke kommt aus Klarheit, nicht aus Applaus. Und ja, du wirst anecken. Gut so. Erfolgreiche Unternehmen entstehen durch Kanten, nicht durch Gleichmut.
Wie definieren Sie persönlichen Erfolg?
Persönlicher Erfolg fühlt sich für mich dann echt an, wenn mein Leben nicht gegen meine Werte arbeitet, sondern mit ihnen. Wenn ich mir aussuchen kann, wer an meinem Tisch sitzt und wessen Energie draußen bleibt. Wenn mein Kalender nicht mein Gefängnis ist, sondern mein Werkzeug. Und ganz ehrlich, Erfolg zeigt sich für mich auch in den einfachen Luxusmomenten. Morgens um 7 auf dem Pferd oder im Gym. Um 9 im Büro, mit meinem Cappuccino. Und abends mit meinem Lieblingsmenschen genau das feiern, worum es im Leben wirklich geht: Familie.





