WORT ZUM SONNTAG: Gottes Werke werden offenbar

Schicksalsschläge, wie Krankheit und Behinderung, provozieren bis heute die Frage nach der Schuld, nach der Sünde. Hier suchen die Menschen nach Erklärungen und stellen sogleich ihr Tun und Ergehen in einen Zusammenhang: Was habe ich getan, dass mir das widerfährt? Zusammenhänge herzustellen und Erklärungen zu finden, scheint ein ewiges Bedürfnis zu sein. Denn wann immer der Mensch unerwartet getroffen wird, sucht er nach Sinn und Bedeutung. Bin ich schuld an meinem Unglück – oder ist es ein anderer?
In dem Wort zum Sonntag begegnet uns ein Blindgeborener, der das Augenlicht nie kannte (Johannes 9,1-7). Wohl nicht zufällig wird dieser von Jesus und seinen Jüngern bemerkt. Gleich wollen die Jünger anhand dieses Beispiels wissen, wie Jesus über Schuld und Sühne denkt. „Meister, fragen sie, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?“
Blindsein wird in der Bibel meist bildlich verstanden. Menschen sind „blind“, wenn sie keinen Blick für das Wesentliche haben. Menschen sind „blind“, wenn sie die Zeichen, die Gott ihnen schickt, nicht erkennen und wenn sie das Eigentliche verfehlen. Aber hier liegen die Dinge ganz anders, denn der Blinde ist von Geburt an ohne Augenlicht. Von einem mangelnden Glauben, wie vermutet wird, oder einer schweren Schuld ist nichts gesagt. Der Blinde bittet auch nicht um Hilfe. Er wird lediglich zum Objekt der Handlung und darauf durch Jesus geheilt. Diesmal nicht durch ein heilendes Wort, sondern durch eine Zeichenhandlung, an der er mitwirken muss.

Nun, wer hat gesündigt? So grübeln die Jünger nach einer Antwort und nach der Wurzel des Übels, denn so verstehen sie es. So war es damals eine gängige Vorstellung, dass jedes Tun und jedes Ergehen in einem engen Zusammenhang stehen. Das auch über Generationen hinweg, wo die Kinder die Sünde der Väter weitertragen, sogar „bis ins dritte und vierte Glied“ (2. Mose 34,7). So wollen die Jünger den Grund der Erkrankung auch hier erkennen, mehr noch durch Jesus bestätigt wissen.
Doch dieser Auffassung stellt sich Jesus in Wort und Tat entgegen. Nein, WEDER – NOCH hat gesündigt! Statt ein Woher dieser Krankheit zu erklären, lenkt er den Blick auf das Wozu! Es hat weder dieser Blinde gesündigt, noch seine Vorfahren, sondern es sollen an ihm die Werke Gottes offenbar werden, lässt er die ganze Christenheit wissen. Er belässt es jedoch nicht nur bei dieser Antwort, sondern schreitet auch zur Tat. Er heilt den Blindgeborenen, sodass dieser nach der heilsamen Wäsche im Teich Siloah wieder sehen kann. Durch Gottes Kraft ist diese Heilung geschehen, damit Gott gedankt und gelobt und gepriesen werde.
Uns soll hier deutlich werden, dass in manchen Situationen des Lebens der Blick zurück nichts nützt, weil sich dort die Ursache zur jetzigen Behinderung nicht finden lässt. Niemand anders kann verantworten, was jetzt ist, außer einem selber. Ein Grübeln nach Ursache oder eine Schuldzuweisung vergiftet nur die Beziehung zueinander bei solchen Dingen, die man nur aushalten, aber nicht verändern kann.

Es ist kein einzelner Schicksalsschlag, an den wir erinnert werden. Es gibt nämlich welche, die uns an den Rand der Belastbarkeit führen können. Eine plötzliche Erkrankung, ein  Unfall, der Tod eines Angehörigen oder auch die Erfahrung körperlicher und geistiger Behinderung. Solche Erfahrungen provozieren zur Frage nach der Schuld und können die Betroffenen schwer belasten, manchmal über Generationen hinweg. Das kennen wir nur zu gut, wo in unseren siebenbürgischen Familien oft mehrere Generationen auf einem Hof wohnten. Die Behinderten oder die Kranken wurden nicht in Heime abgeschoben, sondern von der Großfamilie in Geduld getragen und auch ertragen. Sich dafür zu schämen oder schuldig zu fühlen, blockierte oft die Gespräche und erschwerte den Umgang miteinander. Das war immer die erste Frage, doch wenn man sich mit dem Schicksal arrangiert hatte, erhielt das Tragen und Ertragen eine andere Nuance. Und wenn später den Gerüchten zufolge der Schatten der Vergangenheit wieder auftrat, so konnte man auf eine gewonnene Erfahrung zurückgreifen.

Ein Schicksalsschlag darf nicht das Leben hindern. Er ist deshalb für uns bestimmt, damit wir neue Wege gehen, die uns von Gott zugewiesen werden. Dafür müssen wir uns aber auf den Weg machen. Durch Gottes Kraft werden wir geheilt und nur er kann uns zu dem neuen Anfang verhelfen, soviel Gottvertrauen gehört dazu. Das ist bei dem Blindgeborenen auch geschehen. Er ist losgegangen und hat sich gewaschen, um die Handlung an ihm zu vollenden. Das ist der Augenblick, in welchem ein Mensch neu geschaffen und vom Objekt zum Subjekt wird. Der neue Mensch geht seinen Weg, wie es sein weiteres Leben bestimmt. Er gibt seine Erfahrung mit Gott weiter in der Art, wie er seine eigenen Worte dafür findet, um die Heilung als Gottes Werk zu interpretieren. Dieses Werk Gottes wird dort sichtbar, wo es nicht mehr zurückverfolgt wird und auch nicht mehr verrechnet wird, nicht in kleinen Sünden und nicht in großen. Denn bei jeder wahren Berührung mit Gott erfährt der Mensch Vergebung, Erlösung und Bewahrung. Er fühlt sich getragen und von Gott begleitet. Gott schenkt ihm in seiner Gnade dann ein sehendes Auge. Alles nur darum, damit Gottes Werke offenbar werden. Denn der Herr „macht arm und macht reich; er erniedrigt und erhöht“ (1.Samuel 2,7) nach seinem allmächtigen Willen. Diese Erkenntnis und nicht die Suche nach Ursachen verhilft uns aus der Blindheit zum Augenlicht, aus der Verhärtung in Rechthaberei zum erlösenden Wort und aus der Sünde zum Heil. Gott lässt uns jedoch hier in der irdischen Realität nicht allein, er begleitet uns. So werden Gottes Werke offenbar.