WORT ZUM SONNTAG: Spiegel der Selbsterkenntnis

Der griechische Philosoph und Erzieher Sokrates (470-399) sprach ein Wort der Weisheit, dessen Wert für alle Zeiten gültig ist: „Erkenne dich selbst!“ Es müsste in jedes Menschenherz eingeschrieben werden. Wir neigen leider zu sehr zu Selbstüberschätzung und halten uns für besser als unsere Mitmenschen. Sind wir wirklich das „Nonplusultra“? Wir sind es nicht. Um aber uns selbst und andere zu täuschen, handeln wir wie die Liselotte von der Pfalz: Sie war eine Verwandte des „Sonnenkönigs“ Ludwig XIV. und lebte auch an seinem Hof zu Versailles. Sie war zwar mit reichen Geistesgaben ausgestattet, aber ihr fehlte gerade das, was am Hof wichtig war: die körperliche Schönheit. So konnte sie, was Schönheit anbelangt, mit ihren Konkurrentinnen nicht mithalten. Daran wollte sie nicht ständig erinnert werden. Sie ließ alle Spiegel aus ihrem Haus entfernen und vermied es, in die Nähe eines Spiegels zu kommen.

Wir entfernen zwar nicht die Spiegel aus dem Haus, aber wir blicken auch nicht gerne in den geistigen Spiegel der Selbsterkenntnis. Unser seelisch-geistiges Gesicht gleicht weder dem Adonis der griechischen Sage noch der Helena aus dem Trojanischen Krieg. Unser Seelenspiegel sollte eigentlich ein „Ebenbild Gottes“ sein. Davon sind wir leider weit entfernt. Wir gleichen eher dem Dichter Friedrich Hebbel (1812-1863): „Ich grüße traurig den, der ich sein könnte!“ Wir haben aber eine Möglichkeit: Wir können unser geistiges Bild verschönern, was wir mit unserem körperlichen Bild nicht können. Man kann zwar mit Hilfe der Kosmetik manches an unserer äußeren Erscheinung verbessern, das kostet Geld, aber kann kein Schneewittchengesicht hervorzaubern. Auf geistigem Gebiet ist das möglich. Man muss dafür kein Geld ausgeben, aber sich kräftig anstrengen. Leider scheuen davor viele zurück.

Bei einem Foto kann man unschöne Stellen überdecken und sogar austilgen. Eine Warze auf der Nase, eine unschöne Falte im Gesicht werden retuschiert. So ist das Störende weg. Das Gesicht erscheint auf dem Foto fehlerfrei, nur es stimmt mit der Wirklichkeit nicht überein. Was unser geistiges „Ebenbild Gottes“ anbelangt, haben wir bessere Möglichkeiten seine, Unschönheiten zu entfernen. Es kostet kein Geld, aber guten Willen. Das geschieht im Beichtstuhl, beim Empfang des Bußsakramentes. Da werden alle geistigen Fehler, Unschönheiten und Entstellungen entfernt. Wir konnten uns bei unserer Geburt kein Dornröschengesicht und auch keine Siegfriedgestalt aneignen. Aber wir können unser geistiges „Ebenbild Gottes“, wann immer wir es durch Sünden entstellt haben, wieder herstellen, als wären wir „Unschuldsengel“.

Soll unser Seelenbild gut aussehen, müssen wir selbst Hand anlegen. Gerade die Fastenzeit ist dazu geeignet. Der Spiegel, in den wir täglich hineinschauen, soll nicht der Wandspiegel, sondern der Beichtspiegel sein. Er sagt uns die ungeschönte Wahrheit wie der Spiegel der Königin im Schneewittchen-Märchen.

Im Geschäftsbereich ist es für jeden Unternehmer von größter Wichtigkeit zu wissen, „wie seine Aktien stehen“. Vernachlässigt er dieses Wissen und greift bei Schwierigkeiten nicht rechtzeitig ein, geht er bankrott. Kein vernünftiger Unternehmer lässt es so weit kommen. Er übt ständig Kontrolle über sein Unternehmen. Für uns Christen steht mehr auf dem Spiel: Es geht ja hier nicht um materielle Gewinne, Verluste und materielle Existenz, sondern um das Wichtigste aller Wichtigkeiten, um unsere ewige Existenz im Reiche Gottes. Darum ist es notwendig, von Zeit zu Zeit zu überprüfen, wie „unsere Aktien der Ewigkeit“ stehen. Geschäftsverluste kann der Unternehmer nicht immer verhindern, aber wir können den Verlust der Kundschaft Gottes, das wertvollste aller unserer Eigentümer, verhindern.

Dazu müssen wir keine Finanzierungsrisiken eingehen, das hängt allein von uns selbst ab. Seien wir deshalb mit den „Aktien der Ewigkeit“ nicht nachlässig. Unsere Aufgabe in der Fastenzeit sei: Durch den „Spiegel der Selbsterkenntnis“ das „Ebenbild Gottes“ in uns wieder herzustellen und immer darauf bedacht zu sein, dass unsere „Aktien der Ewigkeit“ auf erfolgreichem Kurs bleiben!