Zugebisen: Ein Physiklehrer auf Jobsuche

Es ist tatsächlich schwer, wenn man im Alter von 65 plötzlich vor dem Aus steht. Der Blick zurück, die genussvolle Gegenwart und die süßen Zukunftsvorstellungen machen eine derartige Aussicht einfach nicht annehmbar. Wo kann man aber ansetzen? Wo die Kraft für einen Neubeginn finden? Unvorstellbar, sich in diesem Alter noch einmal auf Jobsuche zu begeben. Jetzt noch einmal den Lebenslauf aus der Schublade holen und ihn überall einreichen. Noch einmal sich bei Jobinterviews abrackern. Man könnte tatsächlich auch einfach nur die Rente genießen, doch man fühlt und weiß sich zu aktiv, um seinen Tag um mögliche Schach- oder Backgammonspiele mit anderen Rentnern im Park herum zu planen. Man könnte die Welt bereisen, es gibt viel, was man noch nicht gesehen hat. Doch dafür wird die Rente sicher nicht reichen. Vor allem nicht, wenn man es sich in den letzten acht Jahren angewöhnt hat, von X nach Y mit dem aus der öffentlichen Hand bezahlten Gulfstream zu fliegen. Ob man will oder nicht, man muss auf Jobsuche. Allein die Vorstellung, in Zukunft mit einem Linienflugzeug nach Amsterdam oder in die Staaten fliegen zu müssen, zwingt einen regelrecht dazu. Der Gedanke an Flugzeuge ohne Schlafzimmer lässt einem kalte Schauer über den Rücken laufen.   

Wo könnte man sich bewerben, wenn man in den letzten Jahren Präsident eines mittelgroßen osteuropäischen Staates war? NATO-Generalsekretär klingt nicht schlecht. Wenn es schon ein anderer Landsmann zum Stellvertreter geschafft hat, bietet es sich regelrecht an. Doch wie es in der Landessprache des besagten osteuropäischen Landfleckens heißt: die Rechnung von zu Hause stimmt mit der am Markt nicht überein. Wieder hatten die Holländer ihre Hand im Spiel und man stand am Ende chancenlos in einem abgekarteten Spiel da. Es sollte halt nicht das Ausland sein, aber im Inland hält man ja die Fäden in der Hand, also muss man nur ein wenig an diesen ziehen und schon ist alles in Butter. Es ist nicht die erträumte goldene Zukunft, aber Silber hat auch einen nicht zu verachtenden Glanz. Daher schnell zum Telefon gegriffen: alte und neuere Freunde anrufen, Gesetzesänderung einleiten, dann ein paar Formalien erledigen und der neue Job im Senat ist gesichert.

Um guten Willen zu zeigen, darf man nicht vergessen, noch schnell ein paar unverdiente Orden zu verteilen. Was zählt es, wenn der Ordensempfänger sich nur dadurch verdient gemacht hat, dass sein Verhalten vom Niveau her unter dem Meeresspiegel liegt und dass man von ihm mit einem Massenmörder verglichen wurde. Die Absicht zählt und die paar wenigen, die sich aufregen, gehen in der schweigenden Masse unter. Es hat sich ja in den letzten acht Jahren bewährt, schweigend so tun, als ob man tiefgründige Analysen durchführt, dann ein kleines bisschen etwas tut und es passt. Doch erstens kommt es erneut anders und zweitens als man denkt. Siehe da, die wollen nicht mitspielen. Man war gezwungen, von dem hohen Ross herab  -  dieses natürlich nach Maß besorgt wie die Kloschüssel in New York, denn alles muss seine Ordnung haben - bekannt zu geben, dass man sich das gar nicht gewünscht hat, dass man keine Sonderbehandlung will und dass der besagte Job gar nicht in Frage kam.  Und wieder starrt einem die gähnende Leere der Rente und der Joblosigkeit entgegen.  

Wie ein Puppenspieler, dem die Marionetten entlaufen sind, versucht man, noch die letzten Fäden in der Hand zu behalten und lässt die wenigen treu gebliebenen Springhansel eine Lösung finden. Bis die es aber erledigen, wenn sie es überhaupt erledigen, nichts wie hinauf in die Luft. Dort im Gulfstream über den Wolken ist die Freiheit grenzenlos und alle Ängste, alle Sorgen bleiben darunter verborgen und alles was groß und wichtig erscheint, ist plötzlich nichtig und klein.