Zugebissen: Aberwitzige Stempeljagd

Bürokratie kennt viele Auswüchse und sicher steht Rumänien in dieser Hinsicht nicht besser oder schlechter da als  Deutschland. Was den dienstreisewilligen Angestellten jedoch hierzulande in den Wahnsinn treiben kann, ist die Pflicht des Abstempelns der Delegation. Wäre ich nicht so penetrant korrekt, hätte ich mir längst verschiedene Kartoffelstempel von kleinen siebenbürgischen Dörfern geschnitzt, für die nächste Orgeleinweihung oder 700-Jahrfeier, Events, die stets an Wochenenden stattfinden, das Rathaus bummsdicht geschlossen, die nächste Tankstelle 50 Kilometer entfernt... 

Gehen Sie doch zur Polizei, riet mal jemand. Gesagt, getan - vor ein paar Jahren in Kronstadt auf dem Bahnhof. Die Polizei, dein Freund und Helfer! Sicher bringt gerade der mit rumänischer Bürokratie vertraute Polizeibeamte Verständnis für meine Lage auf, die da lautet: kein Stempel – keine Reisekostenerstattung. 

Pustekuchen! Der Polizist fragte mich misstrauisch, was ich denn in Kronstadt wolle. Wir sind ein freies Land, hätte ich ihm gerne geantwortet, da darf man reisen, wohin man will. Statt dessen beiße ich mir auf die Zunge und erkläre... Ein zweiter Beamter wird zu Rate gezogen. Nochmal das Sprüchlein aufgesagt. Der erste verschwindet mit meinen Papieren. Dass eine Frau mit deutschem Pass in Kronstadt dienstlich zugange ist, fand er wohl höchst verdächtig. Noch verdächtiger, wenn man als solche in Rumänien - und zwar nur dort - wohnt. Nach einer Ewigkeit und Zittern um die Zugverbindung bekomme ich tatsächlich den Stempel. Wie ein Verbrecher schleiche ich davon.

Auf einer Rückfahrt aus Nordsiebenbürgen stoppen wir in Tartlau, um auf dem Heimweg noch ein Interview mitzunehmen. Es ist später Nachmittag, die Kirchenburg geschlossen. Freundlicherweise bot der Gatte der Interviewten an, sich mit dem meinen auf Stempelsuche zu begeben. Gut eineinhalb Stunden dauerte das Interview – die Männer blieben verschwunden. Na gut, den Umweg kann man auch auf die eigene Kappe nehmen, dachte ich gerade, als die beiden erschöpft und voller abenteuerlicher Erlebnisse eintrafen – sogar mit Stempel!

Ganz schlimm aus stempeltechnischer Sicht ist die Haferlandwoche, wo man vom Dorf zu Dorf hetzt, stets verspätet, weitab von der geplanten Tagesstrecke zum Tanken fahren und an all den Orten einen Stempel erbetteln muss! Vom Kurator der einzuweihenden Kirche, der im Trubel zweimal vergisst... Vom Kurator, der gar keinen Stempel mehr hat, „die hat man uns alle eingezogen“... Vom Caterer, der vor der Kirchenburg 600 Portionen serviert und natürlich den Stempel nicht dabei hat. Eine hilfsbereite Einheimische macht sich mit mir auf den Weg, die Inhaber des Gasthauses, der Pension, der Käserei zu suchen – doch halt, die sind ja alle auf dem Ball! In einem einsamen Hof brennt noch Licht – ja, die müssten auch einen Stempel haben, frohlockt sie. Doch der Hauswirt blafft unwirsch: „Holen Sie sich Ihren Stempel doch bei den Firmen, die das Event organisieren.“ Wieder mein Sprüchlein runtergebetet, von Entschuldigungsfloskeln unterbrochen... und ich erinnere mich an den letzten Besuch, als der freundliche HOG-Leiter mit mir zum Dorfhirten ging (auch der führt einen Stempel), denn ohne Fürsprache eines Vertrauten hätte ich dort keine Chance gehabt. Als ich gerade überlege, ob ich auf die Tränendrüse drücken oder hoch erhobenen Hauptes davonrauschen soll, zückt mein Gegenüber – immer noch schimpfend – dann doch gnädigst den Stempel! Wie ein geprügelter Hund ziehe ich von dannen. Und denke: Ist meine Bildreportage nicht Beweis genug für meine Anwesenheit? 

Liebe Behörden – ein Vorschlag zur Güte: Können wir den leidigen Stempel nicht ersetzen? Durch ein datiertes Selfie vor dem Ortsschild zum Beispiel.