Zugebissen: Kaltes Spiel  mit Manele 

… oder die Herausforderungen der Akzeptanz

Die Wahlen sind vorbei. Die Triumphlieder der Sieger sind verklungen. Die Verlierer lamentieren in den eigenen Online-Blasen, dass ihnen Stimmen gestohlen wurden. Die Erde dreht sich weiter, so wie sie es immer getan hat und ein Tag folgt dem anderen. Doch eines Abends Mitte Juni blieb in Rumänien die Welt stehen. Die berühmte britische Band Coldplay spielte in Bukarest in der National-Arena das erste von zwei an aufeinanderfolgenden Tagen geplanten Konzerten. Die Welttournee, auf der sich die britischen Stars befinden, ist der Unterstützung marginalisierter Gruppen gewidmet. Bei jedem Konzert laden sie für ein Lied einen lokalen Künstler, der in der einen oder anderen Form Marginalisierung ausgesetzt wurde, auf die Bühne ein und zusammen wird ein Lied gesungen. In Bukarest war es Babasha. Nach einer Minute „explodierte“ das Stadion mehrheitlich in Buh-Rufe und am nächsten Tag platzen Medien und Online-Plattformen aus den Nähten. 

Babasha sagte mir persönlich bis zu diesem Ereignis nichts. Bei einer kurzen Suche stellte ich fest, dass die Lieder des Manele-Sängers auf YouTube im Schnitt zwischen 7,5 und 10 Millionen Mal aufgerufen wurden. Wie gewohnt spaltete sich die rumänische Gesellschaft in zwei Lager: Einerseits die „intellektuellen“ Puristen, die von sich selber lauthals behaupten, sie würden sich lieber die Adern der Länge nach aufschneiden, bevor sie freiwillig Manele hören. Natürlich sind es oft die gleichen, die bei einer Party oder auf einer Hochzeit nach dem x-ten Glas Alkohol vom Tanzen verschwitzt am lautesten Manele-Texte mitgrölen. Auf der anderen Seite die „aufgeklärten Tolerier von Beruf“. Es sind die Großverfechter der Woke-Bewegung und der Cancel-Culture-Strömung. Von ihnen erfahren wir, welche unglaubliche Bildungsmaßnahme in puncto Toleranz Chris Martin, Leadsänger von Coldplay, dem in mittelalterlichen Konzepten gefangenen rumänischen Volk geliefert hat. 
Zwei Aspekte sind in dem Kontext zu bedenken: Der Auftritt Babashas während des Coldplay-Konzerts passt in das Konzept ihrer Welttournee. Es braucht keine extensive Recherche, um Informationen über die endemische Roma-Diskriminierung in Rumänien aufzutun. Wie schon gesagt, sprechen Babashas Einschaltquoten für sich. Also rechnet man als Tourmanager eins und eins zusammen und Manele landen auf der Coldplay-Bühne. 

Im Allgemeinen gehört der Durchschnittsticketzahler bei einem Coldplay-Konzert nicht zu denen, die im Auto oder zu Hause Manele hören. Daher kann man verstehen, dass diese, bei dem nicht unbedingt billigen Konzert, nicht mit Manele konfrontiert werden wollten. Zugleich sind Menschenmassen, bei jedem der beiden Konzerte in Bukarest waren zirka 50.000 Menschen anwesend, unberechenbar. Genauso, wie man sich von der Atmosphäre des Konzert mitziehen lässt und man mit der Band singt, klatscht, springt usw., lässt man sich von Buh-Rufen mitziehen. 

Vielleicht hätte sich Chris Martin auch besser informieren können. Denn laut Medienberichten hat er seine Lektion gelernt und beim zweiten Konzert einer neuen möglichen Entrüstungswelle den Wind aus den Segeln genommen, indem er den Künstler samt der von ihm vertretenen Musikgattung vorgestellt hat, angekündigt hat, dass es sich nur um ein Lied handelt und alle, die das nicht hören wollen, gebeten hat, währenddessen etwas anderes zu tun. 

Es gibt Für-und-Wider-Argumente für beide Positionen. Der „Konflikt“ Rock vs. Manele ist nicht neu. Wer Interesse hat, findet mit Leichtigkeit den Shitstorm, den die Band E-an-na vergangenes Jahr geerntet hat, als sie ein Lied mit Bogdan de la Vâlcea aufgenommen hat. Eine Debatte über den Wert und das Niveau der beiden Musikrichtungen finde ich sinn- und zwecklos. Auf beiden Seiten gibt es sehr begabte Musiker, sowie auch welche, von denen man denkt, dass ihnen während ihrer Laufbahn doch jemand hätte sagen müssen, dass ein Schraubstock mehr musikalisches Gefühl hat. Beide Musikrichtungen haben ihre Berechtigung, solang es eine zahlende (direkt durch Kauf von Tickets, Alben usw. oder indirekt durch das Generieren von Online-Klicks) Zuhörerschaft dafür gibt. Die beiden Musikwelten verlaufen so parallel, dass Überschneidungen wie bei E-An-Na oder Coldplay so selten sind, dass sie für Schlagzeilen sorgen. 

Natürlich bleibt die Frage offen, ob beim Konzert die vorgeschlagene Musikrichtung oder die ethnische Zugehörigkeit des Sängers ausgebuht wurde. Wie bekannt hat das gastfreundlichste Volk der Welt, wie sich die Rumänen gerne beschreiben, doch noch die eine oder andere Herausforderung im Bereich Akzeptanz zu meistern. 
 


Bis dieses geschieht, warte ich nun auf den Taxifahrer, der mich fragt, bevor er die Manele auf fast maximale Lautstärke im Auto anmacht: „Darf ich Ihnen ein paar Lieder eines Sängers, der mit Coldplay auf der Bühne gestanden ist, vorspielen?“