Zugebissen: Wegschauen oder nicht

Ein Schuppen wird neu gebaut. Zuerst muss die Dachhaut herunter, längst undicht gewordene Wellpappe. Da sie Bitumen-getränkt ist, kann sie nicht ohne weiteres entsorgt werden. Es ist Sondermüll. Wir finden heraus, dass es eine Deponie in unserem Landkreis gibt, die Gefahrgut und speziellen Müll aller Sorten entgegennimmt. Ja, wir dürfen mit der Wellpappe kommen, wobei die Dame am Telefon sich dreimal versichert, dass wir auch zahlen werden. Es kostet eine dreistellige Summe. Links und rechts flüstert man uns zu, dass dieses Material wunderbar brennt, also abfackeln und fertig! Den Qualm nimmt man in Kauf. 

Nicht so wir. Das Geld war gut investiert, fanden wir bei der Rückfahrt. Es ist nämlich Lehrgeld gewesen!

Auf freiem Feld, kilometerweit von Ortschaften entfernt, ragt eine der vier Sondermüll-Deponien gen Himmel. Es türmen sich hohe Berge, es wimmelt von Arbeitern, die daran sortierten, Metall von Plastik trennen, Computer und Elektrogeräte auseinanderfieseln, schuften, kehren, schleppen. Wir stehen auf einem Friedhof unserer Zivilisation. 

Was zu sehen ist, ähnelt einer Leichenfledderei. Gott, wie viel Abfall! Und alles wird sortiert, alles in die Hand genommen. Kalter Nieselregen fällt auf dicke Textilien-Haufen, er lässt den Arbeitern Hände und Ohren gefrieren. Vermummt lächeln sie uns an und machen Zeichen: Sie verstehen uns nicht! 

Es sind Menschen aus Asien, aus Pakistan, aus Indien, von den Philippinen vielleicht. Sie arbeiten sich bei Wind und Wetter durch unseren Sondermüll. Bevor wir ihm ein Taschengeld zustecken konnten, ist der freundliche Ablader unserer Pappe verschwunden. Diesen Arbeitsplatz sollten alle einmal besucht haben! Die Wegwerfgesellschaft, sie ist auch eine Wegsehgesellschaft.

Und so stelle ich mir ein Projekt im Rahmen der „Schule anders“-Woche vor: Lasst uns eine Müllsortier-Anlage besuchen. Am nächsten Tag machen wir einen Ausflug, warum nicht zu den geschützten Schachbretttulpen. Sie blühen in Flussnähe, ragen elegant, aber fast unsichtbar aus Schilf und Gras. Bis wir sie erreichen, müssen wir ein Eichenwäldchen durchqueren. Auch dort blüht es frühlingshaft und deckt zu, was Menschen imstande sind, in die Natur zu werfen: Möbel, Plastikfässer, Metall und Kleider, auch Bitumen-getränkte Wellpappe. Kein asiatischer Arbeiter wird das je entsorgen! Ist Wegschauen eine gute Variante?