Das vergessene Weinland

Auf den Spuren der Weinkultur im Tal der Kleinen Kokel

In frischem Grün heben sich die Weinberge rund um Seiden von der Umgebung ab.

Weinverkostung vor historischer Kulisse im Haller-Schloss in Kokelburg

Trauben und Rebblätter zieren das spätgotische Westportal der Kirchenburg in Bogeschdorf.

Blick über Schönau in Richtung Westkarpaten.
Fotos: Holger Wermke

Man sollte die Weindörfer im Herbst besuchen, empfahl einst Juliana Fabritius-Dancu, wenn der Himmel emailleblau ist und die Farben nie kräftiger als in der schon schräg einfallenden Herbstsonne. Wir beherzigten den Rat und machten uns Ende September auf eine kleine Rundreise durch die Täler der Kleinen und Großen Kokel (Târnava Mică bzw. Mare).

Weinland – so hieß die Gegend bei den Siebenbürger Sachsen. Der Begriff ist recht ungenau und bezeichnet ein ausgedehntes Gebiet entlang der beiden Kokeln. Im Süden beginnt das Weinland in der Gegend von Mühlbach/Sebeş. An der Nationalstraße zwischen der Stadt und Großpold/Apoldu de Sus kündet der Schriftzug „Halewood“ an einem Hügel vom siebenbürgischen Engagement des internationalen Weinproduzenten, dessen rumänischer Hauptsitz im Kreis Prahova liegt.

Ein weiteres Weingut finden wir in Cimbrud nahe Straßburg am Mieresch/Aiud/Mureş, wo der Reisende wohl ein Fläschchen Wein kaufen kann, sonst aber wenig zu sehen bekommt.

Touristisch wenig erschlossenes Gebiet

Der Mangel an touristischer Infrastruktur begleitet den Reisenden leider auf der gesamten Länge der großzügig ausgeschilderten „Weinstraße/Drumul vinului“, die laut offiziellen Berichten die Weingüter in der Mühlbacher Gegend mit denen um Seiden/Jidvei bis in den Kreis Mureş erschließen soll. Nichtsdestotrotz lohnt eine Fahrt entlang der Kleinen Kokel. Mit einigen geschichtlichen Fakten im Gepäck und ein wenig Interesse an weniger bekannten Orten erschließt sich die manchmal spröde, manchmal liebliche Landschaft.

Das Weinland ist das größte Weinanbaugebiet Siebenbürgens und ist dennoch nur noch ein Schatten seiner Vergangenheit. Laut einer Studie des Onlineportals econtext.ro beträgt die aktuelle Anbaufläche noch rund 4400 Hektar, knapp die Hälfte des Bestandes von 1990. 

In keinem Landesteil erlitt der Weinanbau solch einen starken Einbruch wie in Siebenbürgen, was wohl zumindest zum Teil der Auswanderung der Siebenbürger Sachsen geschuldet ist.

Weinbau einst Domäne der Siebenbürger Sachsen

Diese brachten schon bei ihrer Einwanderung Weinbaukenntnisse mit. Bereits 1206 sei Weinbau bei deutschen Siedlern urkundlich nachgewiesen, heißt es in Hans Ackers Büchlein „Weinland Siebenbürgen“. Weitere Indizien sind alte Orts- und Flurnamen (z.B. Weingartskirchen/Vingard) sowie Verzierungen in Kirchen (Bogeschdorf/Băgaciu oder Reichesdorf/Richiş). Seidener Weine oder der „würzige, schwere Bogeschdorfer“ (Fabritius-Dancu) genossen weithin einen guten Ruf und waren begehrte Handelsware.

Unsere Reise beginnen wir in Blasendorf/Blaj, einer Kleinstadt mit gut 18.000 Einwohnern am Zusammenfluss der beiden Kokeln. Durch die Stadt führt die Nationalstraße 14B, auf die man im Westen zwischen Karlsburg/Alba Iulia und Straßburg am Mieresch gelangt. Bei Blasendorf begann das sächsische Weinbaugebiet im Tal der Kleinen Kokel.

Vom Ruhm der Seidener  und Bogeschdorfer Weine

In unmittelbarer Nachbarschaft zum Königsboden, also den freien sächsischen Ortschaften mit besonderen Privilegien, liegt hier eine Handvoll sächsischer Dörfer auf Komitatsboden. Eine, in vielen Fällen aber mehrere ungarische Adelsfamilien (Namen wie Bethlen oder Haller seien hier genannt) besaßen den Grund mit den darauf befindlichen Dörfern sowie Einwohnern. Ja, die Menschen waren Leibeigene, permanent oder zumindest an einer gewissen Zahl von Tagen im Jahr zu Frondiensten verpflichtet.

Blasendorf selbst ist wenig sehens-, aber dennoch erwähnenswert, da es sich in der siebenbürgischen Geschichte wiederholt hervortat. Erstmals im Oktober 1687, als hier das Fürstentum Siebenbürgen vertraglich die Oberherrschaft des Königreiches Österreich anerkannte. Ein halbes Jahrhundert später, im Jahre 1737 verlegte der damalige Bischof der Griechisch-Katholischen Kirche, Ion-Inocenţiu Micu-Klein, seinen Sitz nach Blasendorf, mit der Folge, das sich das Dorf bevölkerungsmäßig und kulturell zu entwickeln begann – beispielsweise dank des geplanten Baus von Schulen und Priesterseminaren.

Bischof Micu-Klein und andere Geistliche begründeten das rumänische Nationalbewusstsein, nicht zuletzt durch die Proklamation der bis heute geläufigen „Kontinuitätstheorie“, nach der die Rumänen in einer Tradition mit den Dakern stehen und seit der Römerzeit auf diesem Gebiet leben. Diese Bewegung mündete schließlich im Juli 1848 in die Versammlung von 40.000 Bauern aus ganz Siebenbürgen auf dem „Freiheitsfeld“ bei Blasendorf, der eine Erklärung Avram Iancus zur Aufhebung der Leibeigenschaft vorausging.

Aus privaten Weingärten wurde das Staatsgut

Nur zehn Kilometer nördlich von Blasendorf liegt das Dorf Schönau/Şona, noch bis zum Zweiten Weltkrieg eine rein sächsische Gemeinde mit etwa 1300 Einwohnern, die traditionell vom Weinbau lebten. Im schön renovierten Pfarrhaus unterhalb der Kirchenburg haben Gemeinde und die Heimatortsgemeinschaft einige Gästezimmer eingerichtet, die Kuratorin Anna Miess verwaltet. Von der 73-Jährigen erfahren wir einige Details der Weinbautradition des Ortes.

Vor dem Krieg hatte jede Familie ihren eigenen Weingarten, erzählt die rüstige Frau. Nur die Sachsen hätten in der Gegend Weinbau betrieben. Rumänen und Ungarn, die die Nachbardörfer bewohnten, bevorzugten Ackerbau. Ein hartes, aber einträgliches Geschäft. So einträglich, dass die Schönauer nach Aufhebung der Leibeigenschaft 1849 bereits 1869 den letzten Adelsgrund aufkauften.

Anfang des 20. Jahrhunderts bescherte ein ungebetener Eindringling aus Nordamerika dem wirtschaftlichen Aufschwung ein jähes Ende. Phylloxera, auch bekannt als Reblaus, tauchte in Schönau auf, wie in allen anderen Weinbaugegenden Siebenbürgens, und zerstörte die Weinstöcke.
Der Weinbau erholte sich wieder, bis nach dem Zweiten Weltkrieg Enteignung und Verstaatlichung der Weingärten die etablierten Wirtschaftsstrukturen völlig auflösten. In der Folge enstand in der Umgebung von Seiden/Jidvei, Schönau und dem nahen Bulkesch/Bălcaciu das Staatsgut, das den Grundstein für das heute in Privatbesitz befindliche Weingut Jidvei legte.

Details am Wegesrand

Letzteres besitzt mit dem ehemaligen Schloss in Kokelburg/Cetatea de Baltă eine repräsentative Kulisse für Weinverkostungen. Gäste werden von Hausleiterin Irina Incze empfangen. Das Schloss sei im ausgehenden 16. Jahrhundert gebaut worden, gibt sie Auskunft. Der Grundriss folgt einem quadratischen Muster mit vier massiven runden Türmen an den Ecken.

Das heutige Aussehen erhielt das Schloss Ende des 18. Jahrhunderts. Zuerst im Besitz der Adelsfamilie Bethlen, wechselte es im Laufe der Jahrhunderte mehrfach den Besitzer, bis zum Zweiten Weltkrieg gehörte es der Familie Haller, die es zurückerstattet bekam und vor einigen Jahren an den Besitzer des Jidvei-Weingutes, Claudiu Necşulescu, verkaufte. Sehenswert in Kokelburg ist auch die ungarische Kirche: Wer auf den Turm hinaufsteigt, entdeckt an der von der Turmhaube verdeckten Außenwand Reste eines gemalten Tartarenkopfes. 

Auf der Fahrt Richtung Norden machen wir noch einen Abstecher nach Bogeschdorf/Băgaciu. Die Kirchenburg in diesem abgelegenen Dorf erstreckt sich so majestätisch in die Höhe, dass sie unsere Aufmerksamkeit erregte. Besonders sehenswert sind die beiden Sandsteinportale an der West- und Südfront. Es handelt sich bei ihnen um spätgotische Portale, die mit einem reichen Ornamentschmuck versehen sind – darunter Trauben und Rebblatt  –, so wie wir ihn auch in den Nachbargemeinden Kirtsch/Curciu, Durles/Dârlos oder Hetzeldorf/Aţel finden. Landschaftlich reizvoll auf einem Hügel liegt übrigens die Kirchenburg von Bulkesch.

Auch ein Halt in Seiden kann zur Rast und zur Besichtigung der dortigen Kirchenburg genutzt werden. Auf Nachfrage wird man ihnen sicher auch ein Gläschen Hauswein zum Verkosten oder eine Flasche zum Verkauf anbieten.
Unsere Fahrt endet mit einem Besuch in Baaßen/Bazna. Auch hier findet man einfache Gästezimmer im Pfarrhaus unterhalb der Kirchenburg.

Empfehlenswert ist eine Kirchenführung mit Kurator Albert Binder, der ausführlich über die Geschichte der Baaßner Sachsen sowie der Zucht des Baaßner Hausschweins erzählen kann.Doch dazu mehr in einem weiteren Beitrag...

--------------------------------------------------------------------------

 

Weindegustation im Haller-Schloss

Im noblen Ambiente des Haller-Schlosses veranstaltet das Weingut Jidvei auf Anfrage Weindegustationen. Leider ist die sehenswerte Anlage für spontane Besucher nicht zugänglich. Im vergangenen Jahr zählte Verwalterin Incze rund 5000 Besucher. Gruppen ab zehn Personen können unter 0258/886  330 einen Termin (Rumänisch, Französisch, Ungarisch) vereinbaren.

Die Degustationen werden im weitläufigen Weinkeller und im Garten des Schlosses organisiert. Zwischen 60 bis 90 Personen können laut Incze bequem versorgt werden. Eine einfache Degustation inkl. eines Imbisses mit Wurst, Käse und Gemüseplatten kostet 15 Euro pro Person. Aber auch größere Veranstaltungen mit warmer Küche sind möglich.


Übernachtung in Gästehäusern im Weinland

Auch im Weinland gibt es in einigen Dörfern Schlafmöglichkeiten in ehemaligen Pfarrhäusern. In Schönau verwaltet Kuratorin Anna Miess die zwei Gästezimmer mit acht Betten. Sie ist telefonisch unter 0258/884 056 zu erreichen. Im nahen Seiden gibt es zwei Gästezimmer mit je zwei Betten im Pfarrhaus, dazu eine Küche, einen Aufenthaltsraum und einen großen Pfarrhof mit Parkmöglichkeit für Autos.

Ansprechperson ist Katharina Szecs mit der Telefonnummer 0258/881 574. Das Bogeschdorfer Pfarrhaus verfügt über 13 Betten mit zwei Duschen, einer Küche sowie ein Aufenthaltsraum. Bei Interesse hilft Kuratorin Susanna S²lcean weiter. Ihre Telefonnummer lautet 0265-425693. In Baaßen wendet man sich an Kurator Albert Binder. Im Pfarrhaus gibt es 20 Betten in fünf Zimmern. Binder erreicht man telefonisch unter 0269/850 101.

----------------------------------------------------------------------