Wir eine steinerne Orgel mitten in der Natur thront die seltsame Formation über der sonst tellerflachen Landschaft. Im Hintergrund fällt der Blick auf das nahe Mühlbach/Sebeş. Die Hügel ringsum bedeckt strohblondes Steppengras, hie und da huscht eine eilige Eidechse zwischen unseren Füßen hindurch. Über den bizarren Säulen, die sich vor uns majestätisch in den Himmel erheben, kreisen Kolkraben, die ihre Jungen im leichten Aufwind im Fliegen anleiten. An einem Bauernhof mit apartem Wegjesus vorbei, dem Engelchen zur Seite stehen, geht es bergauf durch Stock und Stein. Ein Weg wäre hier ohnehin überflüssig, denn diese Landschaft fordert zum Herumklettern und Entdecken heraus.
Der Rote Berg - „Râpa Roşie“ nennt sich die rissige Mondlandschaft, die sogar vom Zentrum der nur drei Kilometer entfernten Stadt Mühlbach zu sehen ist - aber auch aus dem Weltraum, wie das Internet verrät! Als klassisches Touristenziel ist es nur wenig bekannt, deshalb gibt es keine Wegmarkierungen oder Hinweisschilder. Am besten fährt man auf Sicht von Mühlbach auf der DJ106 in Richtung Daia Română nach Norden. Ein Schotterweg führt in die grasbewachsene Hügelwelt, die man bis zum einzigen Bauernhof in der Region je nach Wetterlage durchaus mit dem Auto hochfahren kann.
Wer die bizarre Erosionslandschaft des zehn Hektar großen geschützten Natura 2000 Reservats nicht nur aus der Ferne bestaunen, sondern auch von innen entdecken will, für den sind Bergschuhe Pflicht, am besten auch Handschuhe und ein rutschfester Hosenboden.
„Badlands“ nennt man die Sedimentgesteinformationen, die im frühen Miozän, vor ca. 26 Millionen Jahren, entstanden sind. Der Ausdruck wurde erstmals für ähnliche, wenn auch weitaus größere Schluchtlandschaften im US-amerikanischen Süd-Dakota geprägt. Sie verändern sich bis heute ständig - genau genommen mit jedem Regen, der die Erosionskegel der aus eisenoxidhaltigem Ton und verschieden harten Konglomeraten bestehenden Säulen nach Lust und Laune der Natur umformt. Wir haben Glück, die Sonne strahlt mit unserer Entdeckerlaune um die Wette und mein Fotografengatte ist längst knipsend zwischen den Hügeln verschwunden, während sich unser pflanzenkundiger Begleiter über die lokale, endemische Flora begeistert.
Oder Pech? Denn bei Regen verwandelt sich die rote Schlucht in ein einzigartiges Schauspiel, für uns leider nur im Nachhinein nachlesbar: dann gurgeln blutrote bis violette Sturzbäche zwischen den Säulen in die Tiefe und verschwinden mit unheimlichen Geräuschen in den unterirdischen Kanälen und Höhlen. Ja, und noch etwas ist uns entgangen auf dem flüchtigen Abstecher nach dem letztjährigen Sachsentreffen in Mühlbach: Unter den zipfeligen Säulen, Kegeln und „Pyramiden“ soll sich tatsächlich eines der größten nichtkarstigen Erdhöhlensysteme der Welt erstrecken! Der Höhlenforscherclub „Emil Racoviţă“ aus Bukarest erwähnt hierzu die Große Höhle mit 25 Metern, die Dachshöhle mit 21 Metern und die Höhle Nummer 4 mit 11 Metern.
Unterirdische Zauberwelt
Vom Gipfel der „roten Orgel“ aus, einer 500 Meter hohen Säule, entfaltet sich zu unseren Füßen ein spektakuläres Panorama. Über die sanfte, hügelige Steppenlandschaft und die nahe Stadt Mühlbach hinweg gleitet der Blick ungehindert bis zum Horizont. Nach unten gerichtet, verliert er sich in steinigen Falten und Furchen. So mancher Spalt, so manche Öffnung regt die Phantasie an und verleitet zum Hinunterklettern, zum sich Hineinzwängen, Erforschen und Herumstromern...
Einer der Hohlräume nennt sich wenig poetisch „Räuberhöhle“ (Gaura Hoţilor) und ist mit zahlreichen Legenden über Haidukken, Abenteurer und Räuber verknüpft, die dort tief in den Eingeweiden des Bergs ihre Beute in Sicherheit gebracht haben sollen. Hier verewigten sich auch zahlreiche Besucher durch Inschriften, die bis ins 19. Jahrhundert datieren. Und wer weiß, welcher ungehobene Schatz aus der Vergangenheit noch seiner Wiederentdeckung harrt...
Aufsehenerregender Fund
Die bizarren geologischen Formen am Roten Berg sind durch unterschiedliche Erosion von feinem und grobem Sedimentgestein und Lehm durch Wasser entstanden. Graue und rötliche, oft ins violette hineinreichende Schichten wechseln einander ab. Vereinzelt glitzern Kristalle aus den matten, rissigen Tonwänden hervor. Am Fuße jeder Säule wächst ihr eigener Erosionskegel aus abgeschwemmtem Material. Die Datierung dieser Formation auf 26 Millionen Jahre erfolgte durch Altersbestimmung der mit eingeschlossenen Muscheln. Denn früher war dies hier eine Insel, umgeben vom Thetysmeer, wo sich auchgenetisch isolierte Nebenlinien verschiedener Lebensformen entwickeln konnten.
Einer der spektakulärsten Funde in dieser Hinsicht ist das Skelett eines Mini-Dinosauriers, das in einem Sumpfgebiet des nahen Seca{ 2009 ausgegraben wurde. Der über 70 Millionen Jahre alte „Balaurul bondoc“ genannte Raubsaurier gehört der Art Velociraptor an, erreichte jedoch nur die Größe eines ausgewachsenen Truthahns. Seine Beutetiere, grasfressende Saurier von drei bis vier Metern Länge - Telmatosaurus, Struthiosaurus und Zalmoxes - waren bis doppelt so groß. Die Sensation des Fundes bestand aber auch darin, dass es sich bei dem zu 75 Prozent vorhandenen Skelett um den besterhaltenen Fund eines fleischfressenden Sauriers aus der zweiten Hälfte der europäischen Kreidezeit handelt. Ebenfalls in der Nähe von Mühlbach wurden außerdem Überreste eines zehn Meter alten Maghiarosaurus gefunden.
Seltene Steppenflora
Die Internetplattform Alba24 listet den Roten Berg neben spektakulären Sehenswürdigkeiten wie die Gletscherhöhle Scărişoara, die Burg von Kelling oder die Festung von Alba Carolina unter den zehn schönsten Orten im Landkreis Alba. Beliebt ist das Gebiet auch bei Gleitschirmfliegern wegen der dort herrschenden Aufwinde. Das Reservat besticht jedoch vor allem durch eine außergewöhnliche Biodiversität mit seltenen und endemischen Pflanzenarten. Insgesamt 43 Hektar auf 243 bis 434 Höhenmetern gehören zur geschützten Fläche mit 136 Pflanzenspezies, drei Amphibien- und 31 Vogelarten, die Naturfreunde und Forscher aus aller Welt begeistern. Tausende Löcher in den brüchigen Lehmsäulen , von Höhlenbrütern gegraben, dienen ihnen als Nistplätze.
Die für Siebenbürgen ungewöhnliche Fauna konnte sich aufgrund des warmen Mikroklimas, hervorgerufen durch die Südlage des Säulenhangs, entwickeln. Bemerkenswert sind Pflanzen, die sonst in der orientalischen Steppe beheimatet sind: Steppengräser oder die für die Waldsteppe typische Flaumeiche, aber auch eine endemische Nelkenart, die nur hier vorkommt. Wissenschaftler bedauern allerdings die Einführung einer invasiv wachsenden Robinienart zur Stabilisierung des Geländes, die einheimische Pflanzen verdrängt.
Meinen Fotografen habe ich übrigens erst nach langem Suchen wiedergefunden. Neben Bergschuhen bringen Sie daher am besten unbedingt eins noch mit: ganz viel Zeit!