Auf der Interstate 10 Autobahn, die quer durch die USA Santa Monica mit Jacksonville (Florida) verbindet, geht es ostwärts durch die Wüste. Keine Raserei. Bisher habe ich auf den US-Autobahnen keinerlei aggressive Fahrweise beobachtet. Überall können plötzlich, wie aus dem Nichts, Polizeiwagen oder getarnte Überwachungs- und Kontrolleinsatzfahrzeuge auftauchen. Raserei käme sehr teuer. Trotzdem steigt die blonde Barbara, unserer Fahrerin aus Orlando, eine stattliche Vierzigerin mit ihrem unverkennbaren Markenzeichen, dem großen, weißen Western-Strohhut, allzu oft aufs Gaspedal.
Bei Blythe überqueren wir den Colorado-Strom, die Lebensader des Südwestens, der sich hier in seiner imposanten Breite voll entfalten und dem Golf von Kalifornien entgegenplätschern kann. Seine Wasser werden Hunderte Meilen durch die Wüste in einem ausgeklügelten 500 Kilometer-Kanalsystem zur Bewässerung von Feldern für Baumwolle und Gemüseanbau und zur Begrünung von Städten abgeleitet.
Wir sind bereits in Arizona, vom Spanischen „arida zona“ für Trockengebiet, Wüste. Die riesigen Savaura-Kakteen - fünf bis sechs Meter hoch, bis zu 250 Jahre alt - säumen unseren Weg. Wir erreichen den 2,5 Millionen-Ballungsraum Phoenix mitten in der Sonora-Wüste. 300 Sonnentage im Jahr und Wintertemperaturen um 10-15 Grad Celsius ließen Phoenix zum Sonnental (Sun Valley) und zum Zufluchtsort vieler wohlhabender Pensionisten werden. Wir nehmen im Nobelvorort Scottsdale Quartier und werden vor Sonnenuntergang mit Jeeps in die Wüste gefahren.
Westernstimmung - ein Abend mit „Cowboys“
Larry, unser Jeep-Fahrer in Cowboy-Kleidung einschließlich Revolver, fragt nach unserer Herkunft. Er war in Innsbruck und schwärmt von den grünen Bergen und dem guten Bier. Im blauen Schimmer der fernen Bergketten entschwindet der Tag. Die durstigen Kakteen beginnen in der rasch abkühlenden Abendluft - um 45 Grad hatte es in Phoenix - erleichtert, Vorrat für den kommenden Tag zu speichern. Nun erwacht die tagsüber scheintote Wüste zu neuem Leben; allerlei Kleingetier wird in Ausübung seiner lebensnotwendigen Aktivitäten sichtbar. Begrüßungsgetränk in der Wüste: kaltes Wasser. Larry und ein zweiter Pseudocowboy nehmen ihre Gitarren zur Hand: „Von den blauen Bergen kommen wir“, „Djambulaja“, „You are my sunshine“. Wir singen mit. Inzwischen ist es finster geworden.
Lenny ist gut über 70, ein uriger Typ mit seinen grauen Indianerzöpfen und in Apachenkleidung. Es ist keine Mache für Touristen, denn er ist mit Shiokha, einer Indianerin, verheiratet und lebt mit ihr im nahegelegenen Apachen-Reservat. Auf meine Frage, ob man den umgeschnallten Cowboy-Revolver als Zierde trage, meinte er, es komme schon mal vor, dass Touristen durch Klapperschlangen in Gefahr geraten. Dann sei rasches Handeln erforderlich.
Bei völliger Dunkelheit karrte man uns zu einem Steak-House - eine filmreife Western-Kulisse - à la Saloon. Bei Country-Musik führten uns meist ältere Jahrgänge Tänze des Westens vor. Beim traditionellen Steak durften die Bohnen nicht fehlen. Die Elektro-Orgel bzw. -gitarren, das Mikro und die computerisierte Kasse trübten das Bild: auch der Wilde Westen wurde von der Zivilisation benagt.
Im Lande der Navajo-Indianer
„Native americans“ - geborene Amerikaner, also Eingeborene - werden die Indianer offiziell genannt; Indianer habe eher einen abwertenden Beigeschmack. Bleiben wir Europäer aber beim vertrauten Ausdruck Indianer. Welches Leid diesen von den europäischen Einwanderern zugefügt wurde! Versucht man wohl heute, dieses wieder gutmachen zu wollen, indem man sie in Reservate zurückdrängt?
Im Südwesten erstrecken sich auf meist unfruchtbarem Wüstenboden die Reservate der Papagos, Apachen, Hualapai, Havasupai, das der Mescalero- und Jicarilo-Apachen in New Mexiko u.a.
Das mit seinen 65.000 Quadratkilometern größte Reservat - die Fläche Belgiens, Hollands und Luxemburgs zusammen - der Navajo und Hopi-Indianer nimmt die Nordostecke Arizonas, die Südostecke Utahs ein, und reicht bis in die Bundesstaaten New Mexiko und Colorado hinein. Die 150.000 hier lebenden Indianer sind arm, obwohl ihr Land uran-, erdöl, erdgas- und kohlehaltig ist. Großkonzerne buhlen um die Nutzungsrechte beim Abbau dieser Bodenschätze. Auch das berühmte Monument, der Tafelberg, steht auf Navajo-Boden. Es werden für zahlreiche Filme und Werbesendungen die Verfilmungsrechte verkauft, was der Indianer-Verwaltung beträchtliche Einnahmen bringt.
Navajo - vom Spanischen „navacha“, Messer, also: Messermänner etwa - nannten sie die Spanier. Sie selbst bezeichnen sich als Dineh, Volk der Erde. Ihr Fortbewegungsmittel ist meist irgendein alter klappriger Pickup, damit rattern sie zur Arbeit: im Fremdenverkehr oder in ihrer eigene Kohlenförderung. Die Arbeitslosigkeit im Reservat beträgt 56 Prozent.
Alkoholismus bedroht ihre Existenz. Viele Jugendliche suchen in der Stadt ihre Lebensexistenz und werden schamlos ausgenutzt. Lediglich 0,5 Prozent vom Bundesförderungsfond wird den Reservatsverwaltungen zugeschossen. Wohl hat man - erst 1927 - den Ureinwohnern die Staatsbürgerschaft und somit das Wahlrecht erteilt. Doch kaum jemand von ihnen wird davon Gebrauch machen. Sie wählen alle vier Jahre ihre eigene Regierung. Von 250.000 um die Jahrhundertwende ist die Zahl der Indianer 1990 auf 1,5 Millionen angestiegen.
Vereinzelt sieht man noch Hogans, Rundhütten aus Lehm und Sträuchergeflecht. Man betritt den meist sechseckigen Bau durch die Öffnung an der Ostseite. Sie ist der aufgehenden Sonne zugekehrt, weil dort, im Osten, ihre Götter wohnen, von denen sie nährende Kräfte erwarten. In der Hogan-Mitte befindet sich die Koch- und Feuerstelle. Geschlafen wird am Boden. Wir dürfen uns im Inneren nur im Uhrzeigersinn bewegen, denn so befehlen es die Götter. Heute werden die mit Propangas geheizten Hogans vorwiegend nur von Alten und Hirten benutzt, wenn sie ihre Ziegen- und Schafherden zur Weide treiben. Reiche Indianerfamilien verfügen über ganze Rinderherden. Die jungen Ehemänner ziehen stets zu den Schwiegereltern; es kommt zu Clanbildungen, jedoch ohne Rivalitäten.
Typisch sind für die Navajos ihre „Sandgemälde“ - Sand auf festem Hintergrund. Dem Gebilde wird Symbolcharakter beigemessen: Dem Anordnen der Symbole wird ausstrahlende Kraft und Harmonie – besonders in der Heilung von Kranken beliebt - nachgesagt. Sie helfen dem heute noch einsatzbereiten - aber teuren - Medizinmann, der häufig mit den Ärzten gemeinsam agiert und über einen eigenen Behandlungsraum im Krankenhaus verfügt. Auch hier greifen zwei Welten ergänzend ineinander...
Die Schlucht der Schluchten
5 Im nördlichen Arizona - der Bundesstaat trägt auch den Namen Grand Canyon-Staat - hat der Colorado im Laufe der Zeit sein 1600 Meter tiefes Flußbett auf einer Länge von 350 Kilometern geformt. Oben, auf dem 1500-3000 Meter hoch gelegen Coloradoplateau, erreicht der Grand Canyon eine Breite von 15 Kilometern: totbraunes Schichttafelland, aus unterschiedlichen Gesteinsschichten aufgebaut und stellenweise von Basalt überlagert - eine Wunderwelt aus Stein. Auf dem Hochplateau sind wir 30 Grad Celsius ausgesetzt; unten, im Canyon, hat es um mindestens 10 Grad mehr.
Ortskundige Indianer führen auf stundenlangen steilen Wegen konditionell geübte Bergsteiger hinunter zum Fluss. Wir entscheiden uns für einen Rundflug per Kleinflugzeug. Von oben bietet sich ein prächtiges Panorama. Wir bestaunen die ausgedehnten Föhrenwälder des Hochplateaus im Indianerreservat der Navajos und stellenweise grüne Uferflächen tief unten. Ein prachtvolles Spätnachmittagsbild. Thomas hat einen Fensterplatz und versucht Photos zu schießen.
Die Nacht bringt die ersehnte Abkühlung. Wir erwachen beim Hahnenschrei und müssen weiter zum Red Canyon, einer roten Kalksteinformation im Lande der Pajuta-Indianer.
Utah - im Land der Mormonen
Die 1830 von Joseph Smith gegründete Religionsgemeinschaft „Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage“ wurde im Osten der USA nicht geduldet; so mussten sie westwärts ziehen, bis sie sich in Utah niederlassen durften. Derzeit umfasst diese Gemeinschaft drei Millionen Mitglieder weltweit. Ihre Zentrale ist Salt Lake City, die Hauptstadt Utahs. Bei uns sind die Mormonen ob ihrer Mehrehe verschrien, die aber bereits 1890 als Bedingung für den Beitritt zu den USA, der 1896 erfolgte, aufgegeben werden musste. Lediglich 6 Prozent der Mormonenehen fußen noch auf Polygamie.
Von Utahs Hauptstadt aus wird das Finanzimperium der geschäftstüchtigen und fleißigen Mormonen regiert: das Coca-Cola-Unternehmen, die Hotelkette Mariott und Word Perfect, um nur einige zu erwähnen. Ihr Interesse an genealogischen Recherchen, von ihrer Religion auferlegt, veranlasst die Mormonen zu intensiver Familienforschung. Gemäß ihrer Religion trifft die Großfamilie sich im Jenseits wieder, daher ist die Familienforschung wichtiger Bestandteil ihres Glaubens. Die Mehrheit ihrer Mitglieder sind in bescheidenen Verhältnissen lebende Landwirte. Mehrmals pro Woche geht der Mormone in die Kirche, jedoch nur zweimal im Leben gelangt er in den Tempel: bei der Taufe und bei der Versiegelung - der Eheschließung.
Wir gelangen in den Naturpark der Zion-Berge; 1858 von Mormonen entdeckt, erhielten diese den biblischen Namen: Tempelberge im Zion-Nationalpark, schachbrettartige Erscheinungsformen auf den abgeglätteten Hängen, sie rühren von den horizontalen Bruch- und von den vertikalen Erosionslinien her. Der 600 Quadratkilometer große, 24 Kilometer lange und 900 Meter tiefe Zion-Canyon wird vom Virgin-Fluss, eher ein Bach, geformt, von Föhrenwälder und Wachholdersträuchern bewachsen - einzigartig in seiner Schönheit.
Ehe es bergab geht, gelangen wir durch einen kilometerlangen Tunnel, der sonderbarerweise vier Fenster hat. Je tiefer wir talwärts kommen, desto spärlicher wird die Vegetation. Über die Tempelstadt St. Georges erreichen wir den aus einer einzigen Straße bestehenden Wüstenort Kanab, der als Kulisse für viele bekannte Western-Filme diente. Die Mittagshitze macht uns zu schaffen. 45 Grad Celsius.