Eine Reise in die ehemalige DDR

Vergangenheit und Gegenwart im Süden Thüringens und in der Lausitz

Schloss Burgk aus dem Innenhof gesehen Fotos: die Verfasserin

Schloss Burgk aus dem Innenhof gesehen Fotos: die Verfasserin

Es ist gemütlich in der Gaststätte „Siebenbürgen“ in Görlitz.

Der Friedhof in Ralbitz

Wohin? Mehrfach musste ich mein Reiseziel wiederholen und erklären. An die ehemalige deutsch-deutsche Grenze in Thürigen oder in die Lausitz im neuen Bundesland Sachsen reist man aus Rumänien selten. Und offensichtlich auch von anderswo kaum. Dass ich es tat, liegt an den Freunden, die ich dort habe: Erstens eine Brieffreundin, zu der der Kontakt besteht, seit wir 13 Jahre alt waren und uns die ersten Briefe schrieben – auf Papier, mit gezeichneten Verzierungen, per Post verschickt! – deren Besuche in Rumänien ich nicht entgegnen konnte, solange es die DDR gab, weil sie im Grenzstreifen zur „feindlichen“ Bundesrepublik Deutschland wohnte, wohin auch die Bewohner nur mit Passierschein durften. Zweitens, einen guten Bekannten, der während des Theologiestudiums Ende der 1980er Jahre bereits nach Rumänien gekommen war, nach der Wende in Siebenbürgen mehrere Jahre als Pfarrer gewirkt hatte und sich vor einigen Jahren in der Lausitz niedergelassen hat. Nach „Westdeutschland“ fahren ist mittlerweile normal und uninteressant, also reiste ich mal in die ehemalige DDR, sprich neue Bundesländer. Da war ich nach der Wende zwar mehrfach gewesen, doch wollte ich sehen, wie es dort heute aussieht. 

Die Anreise nach Hirschberg/Saale, einem kleinen Städtchen im Süden Thüringens, erfolgte aus Bayern. Vom einstigen Grenzübergang ist in der Landschaft nichts mehr zu sehen. Beim Spaziergang durch den Naturschutzpark Hag (in den Ausläufern des Thüringer Schiefergebirges), der an Hirschberg grenzt, erklärt meine Freundin, dass die Grenze mitten durch die Saale verlief. An den nächsten Tagen fahren wir durch Orte, in die selbst sie zu DDR-Zeiten nicht hinein durfte. Dass es an dieser Grenze ebenfalls einen zwischen Ost- und Westdeutschland geteilten Ort gegeben hat, ist wenig bekannt: Mödlareuth. Im dortigen Museum ist dargestellt, wie die beiden Ortsteile zunächst zur amerikanischen bzw. sowjetischen Besatzungszone und dann zur Bundesrepublik bzw. DDR gehört haben: durch einen Holzbretter-, dann Stacheldrahtzaun und schließlich eine Mauer getrennt. Am Schluss der Reise besuche ich Görlitz – die östlichste Stadt Deutschlands, deren durch die Neiße getrennter Ostteil seit1945 Zgorzelec in Polen ist. Hier bleibt die Trennung in Sprache und Verwaltung bestehen, die Grenze ist aber kaum zu sehen und zu bemerken. Fährt man jedoch in die polnische Stadt und in ihr Hinterland hinein, ist der Unterschied zu Deutschland deutlich festzustellen.

Thüringen

Die Landschaft ist wunderschön, sehr viele Wälder, Nadelbäume in ca. 400-500 Metern Höhe, weite Felder, kleine Orte, viele Wandermöglichkeiten entlang ausgeschilderter Wege. Die Gegend wirkt menschenleer. Es ist Arbeitstag, sehr viele Thüringer arbeiten oder wohnen in Bayern – wie an der Blechlawine am Sonntagnachmittag Richtung Süden festzustellen ist – wir sehen auf den Straßen vorrangig Senioren. In Hirschberg gab es eine Lederfabrik, die schloss nach der Wende, wurde verhökert und mittlerweile ist auch das Gebäude abgetragen. Eine Arbeitsplatz-Alternative gibt es nicht. Mir werden stillgelegte Bahnhöfe und Gleise gezeigt, viele Gaststätten haben geschlossen. Die kleinen Orte sehen aber sehr viel besser aus als die Dörfer in Rumänien. Und hoffentlich setzt auch für dieses Gebiet mal eine Nostalgiker-Tourismus-Bewegung ein, zu bieten hat es nämlich sehr viel.  

Wir besichtigen den Staudamm in der Bleiloch-Talsperre an der oberen Saale, wo das Pumpspeicher-Wasserkraftwerk 1932 in Betrieb ging. Hier beginnt das Thüringer Meer, der größte Stausee Deutschlands, wie der Kapitän des in Saalburg bestiegenen Schiffes erklärte. Nach Saalburg-Ebersdorf waren wir entlang des Stausees gefahren, vom Schiff aus sehen wir die bewaldeten Ufer, an denen sich hie und da Ferienorte und zwei Campingplätze befinden. Von der Webseite erfahre ich, dass der See 28 Kilometer lang ist, die Möglichkeit besteht, ihn mit eigenen oder Mietbooten zu befahren, man angeln oder Wassersport betreiben kann. Wochentags ist wenig los, aber am Wochenende ist die Gegend sehr lebendig. Überall sind Feste und Veranstaltungen angekündigt und man kommt mit freundlichen Menschen ins Gespräch. Es herrscht keine Lethargie, kein Selbstbedauern.  

Was wäre Deutschland ohne Burgen und Schlösser? Ein solches, Schloss Burgk, liegt am Ufer der Oberen Saale und seine historischen Räume mit sehr gut erhaltener Inneneinrichtung können seit 1952 besichtigt werden. Schlossräume werden heute für Ausstellungen genutzt, in der barocken Kapelle lauschen wir einem Konzert an der kürzlich restaurierten Silbermann-Orgel. Im Schlosshof wird alljährlich Ende Juli ein Burg(k)-Spektakel organisiert und am ersten Adventswochenende ein Weihnachtsmarkt, man kann Räume für Feierlichkeiten anmieten, das über einen Fußweg zu erreichende Sofienhaus zum Beispiel wird für Trauungen genutzt. Und immer wieder hat man eine faszinierende Aussicht auf die gestaute Saale und die Wälder. Wir steigen auch zu den Ruinen des einstigen Ritterguts in Blankenberg hoch. Sehr nahe an der deutsch-deutschen Grenze gelegen, hatte die sowjetische Militärverwaltung 1948 dessen Sprengung angeordnet. Im Gebäude befanden sich damals eine Arztpraxis und Wohnungen. Erst nach der Wiedervereinigung konnten die Ruinenreste gesichert werden. 

In Thüringen liegen Erfurt, Weimar, Eisenach, die Wartburg, Jena, das sind die Touristen-Magneten, nicht nur im Luther-Jahr. Genauso wie Dresden, Sachsens Hauptstadt, das schmuck hergerichtet worden ist und strahlt. Vor der nach der Wende wieder aufgebauten Frauenkirche stehen Touristen Schlange, um sie zu besichtigen. Ich gehe in die Kreuzkirche, die auch sehr beeindruckend ist. Wie auch die vielen Kirchen in Görlitz, von denen ich die Dreifaltigkeitskirche am interessantesten fand. Diese Bauwerke, ihre wertvollen Altäre und Orgeln werden in jedem Reiseführer beschrieben, ich schildere deswegen weniger Bekanntes.

Die Lausitz 

Wie oben erwähnt, war ich auch in der Lausitz, wo die Sorben leben, die Vorzeige-Minderheit Deutschlands. Die zweisprachigen Orts- und sonstigen Schilder fallen nur Besuchern auf, auf den etwas anderen Baustil der Sorben-Häuser werde ich hingewiesen. Mir wird berichtet, dass es Schulen in sorbischer Sprache gibt, Traditionen und Bräuche gepflegt werden, auch hier – wie auch im Fall der deutschen Minderheit in Rumänien – anders ethnische Jugendliche in den Tanzgruppen und bei den Festen mitmachen, weil sie die Gemeinschaft mögen, hingegen einige Personen die schönen Trachten nicht mehr anziehen, weil sie kein Ziel für Fotografen, Medien und Neugierige sein wollen. Auch bei den Sorben stellt sich das Problem der Grenzen zwischen gelebter Tradition und Eigenartigkeit, Folklore und Spektakel. 

Zum Nachdenken regt (wie im Flyer treffend steht) der Friedhof in Ralbitz an. Am Kirchhof stehen in Reih und Glied, an der Stirn exakt gleicher Gräber, Grabkreuze, alle aus Holz und weiß gestrichen, mit vergoldetem Corpus drauf. Unterschiedlich sind allein die Aufschriften auf ovalen Tafeln – in sorbischer oder deutscher Sprache – und der Blumenschmuck am Grab. Die Menschen werden in der Reihenfolge ihres Todesdatums begraben. Vor Gott sind alle gleich, für jeden, ob reich oder arm, dumm oder schlau, kommt einmal der Augenblick seines Endes. Es soll ein Priester gewesen sein, der diese Einheitlichkeit eingeführt hat, wobei Weiß für die Unschuld in Gott, das Kreuz und der Corpus als Zeichen der Hoffnung auf Erlösung stehen. Nur die Gräber einiger ehemaliger Zisterziensermönche aus einem nahen Kloster sind in der Manier dieses Ordens gehalten. Wir besuchen auch die Zisterzienserinnen-Abtei St. Marienstern in Panschwitz-Kuckau. Das Frauenkloster hat die atheistische DDR-Zeit überlebt. Hier gibt es nun die Möglichkeit zu übernachten, zu essen und zu trinken, von den Nonnen gezogene Kräuter oder gefertige Gegenstände zu kaufen, zu verweilen. Im Kloster wird Behindertenarbeit gemacht, als wir dort waren, fand gerade eine Kinderfreizeit statt. 

In Görlitz speisten wir in der Gaststätte „Siebenbürgen“. Erfahren hatte ich von ihr aus einer Reportage der Deutschen Welle, die Robert Schwartz vor der Stichwahl für das Bürgermeisteramt gedreht hatte, eine Stichwahl, bei der der „Emigrant“ Octavian Ursu den AfD-Kandidaten besiegt hat. Dass es in Sachsen einen CDU-Landtagsabgeordneten namens Ursu gibt, hatte ich vor Jahren aus einem Besuchsprogramm des DFDR-Abgeordneten Ovidiu Ganț erfahren. Die Gaststätte erinnert tatsächlich sehr an Siebenbürgen: An der Wand hängen alte Karten siebenbürgischer Städte, als Tischtuch werden handgewebte Tücher verwendet, die Toilettentüren sind den einstigen Plumpsklo-Türen nachempfunden. Der junge Inhaber, Theodor Osnaga, kellnert selbst und kommt gern ins Gespräch mit den Kunden. Seine Eltern stammen aus Hermannstadt/Sibiu, sie leben aber schon lange in Bukarest und er schon recht lange in Deutschland. Seine Gaststätte besuchen aus Rumänien und Siebenbürgen Stammende oder Besucher und Siebenbürgen-Fans, von denen es in Görlitz viele geben soll. „Sarmale cu  mămăligă” und „papanași” dürfte es sonst auf wenigen Speisekarten in Deutschland geben. Neben uns sitzt eine Dame, die sagt, sie stamme aus Kronstadt/Brașov.

Nach der Rückkehr erzähle ich begeistert vom Gesehenen und Erlebten. Na ja, das ist eben Deutschland, bekomme ich zu hören. Na klar, wir bewundern es, tun aber wenig, um ihm nachzueifern. Neulich war ich mit einer Gruppe Wissenschaftler in Birthälm/Biertan, der von sehr vielen Touristen besuchten Kirchenburg. Vergebens suchten wir nach einem Flyer, der in wenigen Infos das Wichtigste über die Anlage mitteilt. Bei vielen anderen Sehenswürdigkeiten ist es genauso. In Rumänien „merge și așa”.