Von Jina aus reicht der Blick weit hinein nach Siebenbürgen. Wir befinden uns rund 500 Meter über der historischen Gegend des Unterwaldes auf knapp 1000 Meter Höhe. Das Hirtendorf Jina ist die höchstgelegene Siedlung im Kreis Hermannstadt/Sibiu und das letzte Dorf der traditionsreichen Mărginimea Sibiului, einem schmalen, langgezogenen Siedlungsband, das vom Altdurchbruch entlang des Zibinsgebirges bis zum Mühlbacher Gebirge/Munţii Şureanu reicht. Die Häuser von Jina erstrecken sich über die Flanken des Zibinsgebirges/Munţii Cindrel, bevor diese in die flache Ebene abfallen.
Jina, wie auch das benachbarte Poiana Sibiului, haben ihr Aussehen in den vergangenen Jahren enorm verändert. Die traditionellen Holzhäuschen der Gegend sind zur Rarität geworden. Ersetzt wurden sie von ihren Eigentümern, die sich während der kommunistischen Zeit der Kollektivierung entziehen konnten und in den vergangenen 20 Jahren durch Schafzucht und andere Geschäfte zu einigem Vermögen gekommen sind, durch stattliche zwei- und mehretagige Wohnhäuser. So kommt man sich bei der Fahrt durch die engen Straßen teilweise vor wie in einer Kleinstadt – ein merkwürdiger Kontrast zur dörflichen Umgebung.
Ein Museum für Hirtentradition
Einen Blick in die Vergangenheit, in die Zeit, als die Bewohner der M²rginime auf den Almen des Zibinsgebirges noch ihre Schafe hielten und von hier im Zuge der Transhumanz in Richtung Süden und bis ans Schwarze Meer zogen, bietet Ileana Morariu. Die herzliche Frau hat im Hof ihres Hauses in Jina ein kleines, uriges Hirtenmuseum eingerichtet. Das „Muzeul Pastoral Morariu“ findet man im Haus mit der Nummer 428, Schilder an der Hauptstraße weisen den Weg.
Ileana Morariu sammelt seit Jahren traditionelle Gebrauchsgegenstände und Hinterlassenschaften aus der Dorfgeschichte. Über 3200 Objekte hat sie so zusammengetragen. Werkzeuge zur Käseherstellung, Möbel und Laden, Trachten und Schafspelze, Web- und Spinnwerkzeuge und viele andere erzählen Geschichten einer vergangenen Zeit. Schwarzweißfotos illustrieren die detailreiche Führung, die Morariu den Besuchern ihres Museums bietet. Besucher des Hirtenmuseums sollten sich vor einem Besuch kurz bei Ileana Morariu anmelden (0269-532142; 0743-541998; 0760-292964). Der Eintritt ist frei, über eine Spende freut sich Frau Morariu. Im Haus gibt es zudem Gästezimmer.
Die weitere Fahrt führt uns nicht die übliche Straße zurück in Richtung S²li{te. Seit Herbst 2011 ist die Kreisstraße zwischen Jina und dem Örtchen [ugag im Nachbarkreis Alba rundumerneuert. Für rund fünf Millionen Euro wurde der zehn Kilometer lange einstige Hirtenweg, die Kreisstraße DJ 106 E, befestigt.
Mit einem Gefälle von zehn Prozent geht es hinunter in das „Tal der Schönen/Valea Frumoasei“. Aus dem Zibinsgebirge kommend durchfließt der Mühlbach/Sebeş das mit dunklen Fichten bewaldete Tal. Im Süden erheben sich die sanften Rundungen des Mühlbacher Gebirges/Munţii Şureanu. Bei Şugag kommen wir auf die Nationalstraße DN 67C. Die auch als Transalpina oder Straße der Könige bekannte Route ist ebenfalls seit vergangenem Herbst modernisiert und lädt ein zu einer 140 Kilometer-Fahrt über das Parâng-Gebirge.
Mühlbach – Städtchen mit Charme
Wir biegen jedoch links ab und folgen dem Mühlbach flussabwärts in Richtung des gleichnamigen Städtchens. Einst flößten die Holzfäller auf dem Flüsschen die in den Bergen geschlagenen Stämme talwärts bis nach Mühlbach/Sebeş. Noch heute befindet sich am nördlichen Stadtrand ein großes Areal, wo mehrere industrielle Holzverarbeiter produzieren. Wer Mühlbach auf der Nationalstraße durchfährt, hat es meistens eilig und ärgert sich wahrscheinlich über die wohl gefährlichste Straßenkreuzung Siebenbürgens am Abzweig nach Karlsburg/Alba Iulia.
Dabei lohnt ein Halt im Stadtzentrum, dessen Charme derzeit noch unter dem unablässig dröhnenden Schwerlastverkehr leidet. Auf dem Weg in Richtung Westen passiert der Autofahrer am Marktplatz/Piaţa Libertăţii die eindrucksvolle evangelische Kirche, die zum Teil noch umgeben ist vom spätmittelalterlichen Bering.
Auf die Besonderheiten der Mühlbacher Kirche weist uns Stadtpfarrer Alfred Dahinten bei einer Führung durch das Gotteshaus hin. Schon von außen fragten wir uns, was es mit dem erhöhten, im gotischen Stil errichteten Chor auf sich hat, der das Langhaus um einige Meter überragt.
Der spätgotische Hallenchor wurde zwischen 1360 und 1382 errichtet, in einer Phase relativer Ruhe, in der Handwerk und Wirtschaft der Stadt erblühten und ihren Bürgern einigen Wohlstand bescherten. Aus diesem Wohlstand finanzierte die damalige Gemeinde die Vergrößerung ihrer Kirche, wobei der alte romanische Chor abgetragen und durch den 15 Meter hohen und 28,5 Meter langen „Neubau“ ersetzt wurde.
Bemerkenswerter Hallenchor
In Proportion und Qualität der Bauplastik sei dieser Gebäudeteil von einer Qualität, die nirgendwo sonst in Siebenbürgen erreicht wird, heißt es im Kirchenburgenatlas des Hermannstädter Architekten Hermann Fabini. Die äußeren Stützpfeiler zieren kunstvolle Statuen, auf der Südseite beispielsweise gruppieren sich die Heiligen Drei Könige um die Jungfrau Maria, die anderen Pfeiler schmücken die Jünger Jesu. Gipsabgüsse der Statuen finden sich in der Kirche. Im unteren Bereich der Pfeiler, ungefähr auf Augenhöhe, befinden sich kleeblattförmige Öffnungen mit bis zur Unkenntlichkeit verwitterten Köpfen, die wohl die Stifter des Kirchenbaus darstellen.
Die gigantischen Ausmaße des Baus erlebt man am eindrucksvollsten im Inneren der Kirche. Grazil streben die mächtigen, den Chor tragenden Säulen in die Höhe. Ihnen gleich reckt sich auch der Schreinflügelaltar aus dem Jahr 1518. Mit seinen 13 Metern kann er sich des Titels höchster Altar in Siebenbürgen rühmen. Geschaffen hat ihn wohl Veit Stoss der Jüngere in der siebenbürgischen Renaissance. In seinem mittleren Teil zeigt er den Stammbaum Christi. In den geschlossenen Altarflügeln verbergen sich acht Tafelgemälde, die nur an Feiertagen geöffnet werden.
Die aufziehende Bedrohung durch das osmanische Reich stoppte Ende des 14. Jahrhunderts den weiteren Ausbau der Kirche. Die Mühlbacher investierten nun lieber in den Bau der Stadtmauer, die erstaunlich gut erhalten ist. Bei einem Rundgang um die Grenze der Altstadt stößt man zwischen den Häusern immer wieder auf die Reste der Mauer, die die Form eines unregelmäßigen Vierecks aufweist.
Rund um die Stadtmauer
Von den einstigen Verteidigungstürmen haben sich fünf erhalten, darunter der im südöstlichen Teil gelegene Schneider- oder Studententurm. Vis-à-vis liegt ein kleiner Teich, der Teil des einstigen, von Wasser gespeisten Verteidigungssystems war. Angeblich harrte im Studententurm ein als „Rumeser Student“ bekanntgewordener Schüler des Mühlbacher Gymnasiums aus, als 1438 die Türken die Stadt eroberten und einen Großteil der Einwohner töteten oder als Sklaven in die Gefangenschaft führten. Aus dieser kehrte der besagte Student Jahre später zurück und beschrieb 1475 als einer der Ersten die Türken und ihre Lebensweisen.
Dieser Türkeneinfall markierte auch eine Zäsur im Kirchenbau. Das Langhaus wurde nicht mehr im Stil der Gotik erhöht. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts werden lediglich noch die romanischen Seitenschiffe abgetragen und durch breitere gotische ersetzt. In der Folgezeit wird die Stadt weitere Male erobert und zerstört: 1479 Eroberung durch Ali Bei, 1661 Zerstörung durch türkische Truppen unter Ali Pascha, 1707 Kurutzeneinfall…
Der siebenbürgische Fürst Johann Zápolya wählte Mühlbach zur Residenzstadt, das gleichnamige Haus am Marktplatz an der Alesi-Gasse zeugt von seiner Anwesenheit. Heute ist hier das städtische Museum untergebracht.
Ebenfalls am Marktplatz steht das Haus, in dem der berühmte Afrika-Forscher Franz Binder (1824-1875) geboren wurde. Eine Plakette am Pfarrhaus weist auf den in Mühlbach geborenen Carl Filtsch (1830-1845) hin, ein musikalisches Wunderkind, der die Komponisten Chopin und Liszt zu seinen Lehrern zählte. In der nordöstlichen Ecke der ehemaligen Stadtbefestigung, in der Jakobigasse/Str. M. Viteazu nahe dem halbrunden Turm, hat sich das Dominikanerkloster erhalten, das seit 1322 in der Stadt beurkundet ist.
Etwa vier Kilometer nördlich der Stadt befindet sich das Naturdenkmal „Roter Berg/Râpa Roşie“ – ein beliebtes Ausflugsziel der Einheimischen. Die von weitem sichtbare, 500 Meter lange und 150 Meter hohe, zerklüftete Steilwand hat ihren Namen von der eisenoxidhaltigen Tonerde, die dem Berg ihre rote Färbung verleiht. Durch Erosion entstanden im Laufe der Zeit vielfältige Formationen, denen der Berg sein einzigartiges Aussehen verdankt.
Öffnungszeiten der Kirche
Die evangelische Kirche im Stadtzentrum von Mühlbach ist Dienstag bis Samstag von 10 bis 13 Uhr und von 15 bis 17 Uhr geöffnet. Sonntags können Besucher die Kirche nach dem Gottesdienst sowie zwischen 15 und 17 Uhr besuchen.