Vor weißen Außenwänden, Kastenbauten, Flachdächern, großen Fenstern mit Stahlrahmen, minimalistischen Möbeln und strenger Ornamentlosigkeit staunt man heute längst nicht mehr. Sie gehören zum modernen Stadtbild dazu – auch wenn die Variationen des Themas nicht immer gleich geschmackvoll gestaltet werden. Doch vor 95 Jahren, als das Bauhaus noch kein Stil war, sondern eine frisch gegründete Kunst-, Design und Architekturschule, setzte sein Leitgedanke völlig neue Maßstäbe: Ästhetik sollte in erster Linie funktional sein und den Alltag vereinfachen.
Das Bauhaus war zuerst in Weimar (1919), dann in Dessau (1925) und schließlich in Berlin (1932) angesiedelt und vereinte Kunst und Handwerk in einem interdisziplinären Ausbildungsprogramm. Anstelle kopflastiger Übungen lernten die Schüler in einer der dreizehn Werkstätten - u.a. Tischlerei, Glas- oder Wandmalerei, Weberei, Töpferei – mit Meistern, die heute Symbolfiguren der Moderne sind: Walter Gropius, Marcel Breuer, Lyonel Feininger, Carl Fieger, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Ludwig Mies van der Rohe, László Moholy-Nagy. 1933 zwangen die Nationalsozialisten die Schule endgültig zur Selbstauflösung – für Hunderte Architekten und Designer folgten Zuchthaus, Ermordung oder die Flucht nach Istanbul, Moskau, London, Amsterdam, New York.
Das Spiel mit Formen, Materialien und Licht
Heutzutage locken das Dessauer Bauhausgebäude, die Meisterhäuser und die Wohnsiedlung Törten – die seit 1996 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören – jährlich rund 100.000 Besucher an. Der zentrale Symbolbau von Walter Gropius (1925/1926) besteht aus einem Flügelgebäude der „Kunstgewerbe- und Handwerkerschule“, einem Werkstättentrakt, einem Atelierhaus mit Wohnateliers für die Studenten, einer zweigeschossigen Verbindungsbrücke, die für Verwaltungsräume genutzt wurde, sowie einem flachen Bau mit Aula, Bühne und Mensa. Die einzelnen, funktional verbundenen Baukörper waren damals ein Novum, genauso wie die transparent und leicht wirkende Glasvorhangfassade, die über drei Geschosse und die gesamte Länge des Werkstätten-Gebäudes reicht.
Nachdem im Zweiten Weltkrieg einzelne Teile schwer beschädigt wurden und seit den 60er Jahren mehrmals saniert und restauriert wurde, kann heute wieder das ganze Ensemble besichtigt werden. Schlicht, durchsichtig, geometrisch, lichtdurchflutet, bunt ausgemalt oder in mattem Weiß-Grau: Der Bau und seine Innenausstattung sind nicht nur für Architekturfreunde ein ästhetischer Genuss.
Besichtigen kann man das Haus selbstständig (mit/ohne Audioguide) oder in einer einstündigen Führung, die werktags um 11 und 14 Uhr, an den Wochenendtagen außerdem um 12 und 16 Uhr startet und fünf Euro kostet. (Öffnungszeiten Bauhausgebäude Mo-So: 9-18 Uhr, Ausstellung Mo-So: 10-17 Uhr. Adresse: Stiftung Bauhaus Dessau, Gropiusallee 38, D-06846 Dessau-Roßlau)
Musterhafte Künstler- und Wohnkolonien
Wenige Gehminuten vom Bauhaus entfernt, in der Ebertallee, befinden sich die Meisterhäuser, die ebenfalls nach Plänen von Gropius entstanden (1925/1926) und mit ihrem simplen Weiß das dunkle Grün der umgebenden Kiefer malerisch ergänzen. Das Einzelhaus Gropius und die Doppelhäuser Moholy-Nagy/Feininger, Muche/Schlemmer und Klee/Kandinsky sind nach ihren ersten Bewohnern benannt. Sie setzen die Prinzipien des modernen (Bauhaus-)Wohnens um, etwa die kubische Form mit Flachdach oder die flächigen Fenster, die eine Verbindung der Zimmer mit der Natur herstellen.
Heute werden die Meisterhäuser für Ausstellungen und Veranstaltungen genutzt, nachdem sie in den vergangenen zwanzig Jahren umfassend restauriert wurden. Die Meisterhäuser Gropius und Moholy-Nagy/Feininger, die 1945 beim Bombenangriff zerstört worden waren, sollen in diesem Jahr festlich wiedereröffnet werden (Termin: 16.-18. Mai 2014). Einstündige Führungen beginnen an der Kasse des Bauhausgebäudes (Di.-So. um 12.30 und 15.30 Uhr, Sa./So. auch um 13.30 Uhr. Preis: 12,50 Euro).
Weitere Leitgedanken der Bauhäusler – etwa die industrielle Bauweise, die natürliche Sonneneinstrahlung, die Selbstversorgung aus den anliegenden Gärten – setzte Gropius in Törten, im heutigen Dessau-Süd um, wo er von 1926 bis 1930 eine Siedlung mit Reihenhäusern (Großring, Mittelring, Kleinring) und Laubenganghäusern (Mittelbreite, Peterholzstr.) errichten ließ. Doch auch hier fielen die Bauten nachträglichen Änderungen, dem Krieg, der DDR-Mangelwirtschaft und später den Baumarktangeboten zum Opfer. 1992 wurde das Haus am Mittelring 38 als erstes originalgetreu wiederhergestellt – heute wird es von der Moses-Mendelssohn-Gesellschaft genutzt und kann besichtigt werden. Das Konsumgebäude im Zentrum der Siedlung (Am Dreieck 1) beherbergt ein Informationszentrum, das tägliche Führungen anbietet (Di-So um 15.30 Uhr, 5 Euro).
Nicht Luxus, sondern Sachlichkeit
Sehenswert ist zudem das historische Arbeitsamt von Gropius (1928/1929) am August-Bebel-Platz, heute Amt für Ordnung und Verkehr der Stadt Dessau-Roßlau. Die Innenausstattung des halbkreisförmigen Baus wurde von den Bauhauswerkstätten realisiert: Die originalen Einbaumöbel stammten aus der Tischlerei, die Beleuchtungskörper kamen aus der Metallwerkstatt. In seinen Anfangsjahren galt das Arbeitsamt als eins der modernsten in Deutschland, doch schon Mitte der Dreißiger wurden anstelle der Stahlrahmen Holzfenster eingesetzt, und etwas später forderten die Nazis sogar den Abriss, der nur „dank“ des Krieges nicht mehr zustande kam.
Heute wird das Bauhaus-Ensemble weltweit als Wiege der Moderne gewürdigt – die früheren Gegner dieser Ästhetik sind längst von einer begeisterten Fangemeinde und zahlreichen eifrigen Sammlern ersetzt worden. Infolgedessen gehen die Preise der nachgebauten Sessel, Lampen und Teekannen in den vier- oder mehrstelligen Bereich und nicht selten schmücken die Einzelstücke protzige Villen – doch sollte man dabei den Ursprungsgedanken nicht vergessen: das Neue Bauen als Haltung, nicht nur für eine Elite, sondern für alle.