„Hier sieht es aus wie in der Toskana“, kommt es einem unwillkürlich in den Sinn, wenn man die staubigen Feldwege durch die Weinberge oberhalb von Drăgăşani entlangholpert. Hochgewachsene Pappeln und ausladende Akazien verleihen der Landschaft einen lieblichen Charme. Wir befinden uns in einem der traditionsreichsten Weinbaugebiete Rumäniens, das sich hier zu beiden Seiten des Alt-Flusses erstreckt. Langsam rückt die Region wieder in das Bewusstsein von Weinliebhabern in Rumänien, aber auch im Ausland. Zu verdanken ist diese Entwicklung engagierten Winzern, die sich auf die Stärken der Region besannen und heute mit Qualitätsweinen punkten, sowie mit Degustationen inmitten der Weinberge Touristen in die Region locken.
Einer der Vorreiter dieser Entwicklung ist das Weingut „Prince Ştirbey“, das sich im Besitz von Jakob Kripp und Ileana Kripp-Costinescu befindet. Die Familie Kripp erhielt das Gut im Jahre 2001 zurück, nachdem es die Kommunisten 1949 enteignet und einem Staatsweingut einverleibt hatten. Ileana Kripp-Costinescu ist eine Enkelin der letzten Besitzerin des Gutes, Maria Stirbey, der Schwester von Prinz Barbu Alexandru Stirbey. Ihr Mann Jakob Kripp stammt aus Österreich, wohin Kripp-Costinescu 1969 flüchtete. Nach der Rückerstattung fanden die Kripps ihr 28 Hektar großes, auf sieben Weinberge aufgeteiltes Weingut völlig heruntergewirtschaftet vor, und doch sahen sie das Potenzial des Weinbaus in dieser Region.
Nischenweingut mit Vorbildfunktion
Einen maßgeblichen Anteil an der Wiederbelebung des Namens „Ştirbey“ trägt Oliver Bauer, seines Zeichens Kellermeister des Weingutes. Wenn der aus Baden-Württemberg stammende Mann an die ersten Wochen in Rumänien zurück denkt, beginnen seine Augen zu leuchten. 2003 lockte Jakob Kripp den damals 29-Jährigen nach Drăgăşani mit dem Auftrag, eine erste Kelterung durchzuführen. Von Bedingungen, wie Bauer sie aus Deutschland kannte, war man bei Ştirbey damals meilenweit entfernt. Er wagte es, kelterte drei Monate später den ersten Wein und zog schließlich 2004 ganz nach Rumänien, um bei der Wiederbelebung des traditionsreichen Weingutes mitzuwirken – „eine Chance fürs Leben“, wie er ganz richtig einschätzte.
„Wir sind ein Nischenweingut, wobei wir durchaus als Vorbild hier in der Region dienen“, meint der kräftige Mann nicht ohne Stolz, als er bei einem Glas Wein zum Gespräch auf der Terrasse des renovierten Herrenhauses sitzt. Ein weiter Blick eröffnet sich von hier auf das Tal des Alt, der auf beiden Seiten von Weinbergen eingerahmt ist. „Was Ştirbey macht, wird beobachtet und oft auch nachgemacht, weil es sich als richtig herausstellt“, freut sich der Weinexperte.
Bauer erzählt, dass Ştirbey sich als erstes Weingut der Gegend auf die Kultivierung einheimischer Rebsorten besonnen hat. Der deutsche Kellermeister gibt sich als überzeugter Verfechter des lokalen Weins. „Wir wollen rumänischen Wein machen“. Von der vielerorts üblichen Kultivierung international gängiger Rebsorten hält er wenig. „Es hat kaum jemand neue Ideen“, sagt Bauer. Dem weltweiten Trend zu Sorten wie Riesling, Cabernet, Chiraz oder Pinot Noir hält er zum Beispiel die Feteasca Neagră, Crampoşie oder Negru de Drăgăşani entgegen, „deren Potential noch lange nicht ausgeschöpft ist“.
Verfechter einheimischer Sorten
Wie man einer einheimischen Sorte zu neuem Glanz verhelfen kann, verdeutlicht Bauer am Beispiel der „Crampoşie“. Die Rebsorte, erzählt er, sei hervorragend an die örtlichen Gegebenheiten der Hänge rund um Drăgăşani und das kontinentale Klima angepasst und mittlerweile sogar wieder ein Aushängeschild der Region. Trauben dieser Sorte bringen laut einschlägiger Seiten im Internet leichte Weißweine mit Birnen-Apfel-Aroma hervor.
Bauer erinnert sich, dass diese Sorte noch vor wenigen Jahren als Bauerwein und Traube für Tafelweine verspottet wurde und ihm empfohlen wurde, die alten Rebstöcke herauszureißen. „Wenn Sie heute von Crampoşie sprechen, meinen Sie auch Ştirbey, egal wo die Weine herkommen.“
Bei allem Stolz auf das eigene Weingut, schwenkt er immer wieder zurück auf die Region und die Qualität der hier produzierten Weine. Seit wenigen Jahren etabliert sich eine neue Generation von Winzern, die meist kleine Güter bewirtschaften. Auch diese verfolgen mittlerweile eine ähnliche Philosophie wie Ştirbey, nämlich lieber kleine Mengen, aber dafür qualitativ hochwertige Weine zu produzieren. „Die Weinqualität hat sehr stark zugenommen“, konstatiert Bauer. Zwar gebe es noch immer schlechte und gepanschte Weine, aber das Gros habe sich in eine sehr erfreuliche Richtung entwickelt.
Prominente Neuwinzer
Unter den Neuwinzern in der Nachbarschaft finden sich einige prominente Namen, die mit ihrer Leidenschaft und den nötigen finanziellen Mitteln ausgestattet Anteil haben an der Renaissance der Weinbauregion. Der aus Drăgăşani stammende Gouveneur der rumänischen Nationalbank, Mugur Isărescu, betreibt das nach ihm benannte Gut „Casa Isărescu“. Valeriu und Cristiana Stoica, er ist ehemaliger Justizminister, bauten das Gut „Avincis“ auf. Der frühere Bürgermeister von Drăgăşani, Gheorghe Iordache, gehört mit seiner „Casa crama Iordache“ zum illustren Kreis der Winzer.
Nachdem die Produzenten anfangs ihre Vermarktungsanstrengungen auf die eigenen Güter konzentriert hatten, kooperiert man inzwischen zunehmend. Ştirbey und sechs weitere Weingüter gründeten 2011 den Verein der Weinproduzenten in Drăgăşani. Gemeinsam möchte man die Weinregion um Drăgăşani entwickeln, die Weinbaukultur schützen sowie den Weintourismus fördern. Ein Ergebnis dieser Zusammenarbeit sind Weinverkostungen auf verschiedenen Gütern. Besuchern empfiehlt Bauer einen Abstecher zum Weingut Avincis, das mit seinem herrlichen alten Herrenhaus, einem Rosengarten und Swimmingpool zu den schönsten Gütern Rumäniens gehöre.
„Weinprobe geht nicht schnell“
Apropos Weinverkostungen. Immer mehr Touristen kommen aus Neugier oder auf Einladung nach Drăgăşani, um die hiesigen Weine direkt vor Ort kennenzulernen. Für einen solchen Besuch sollte man vor allem eines mitbringen: Zeit. „Weinprobe geht nicht schnell“, weiß Kellermeister Bauer aus Erfahrung. Gemeinsam mit seiner Frau organisiert er das ganze Jahr über – außer während der Lese – geführte Weinproben, wobei solch ein Besuch in der Regel nicht unter vier Stunden dauert, eher länger. „Es geht nicht nur um Wein“, erklärt Bauer, „Die Besucher bekommen ein Gesamtpaket aus Weinbergbegehung, Landschaftseindrücken, Naturerlebnissen, hausgemachter Küche und schließlich auch Wein“.
Schnell kommt der kräftige Mann beim Erzählen ins Schwärmen. Von erfüllenden Treffen ist da die Rede, von einer Atmosphäre der gepflegten Kommunikation und Diskussion, unabhängig von Standesunterschieden, beispielsweise wenn Manager mit Studenten reden. „Es entsteht ein Konsens von Kultur, Essen und Trinken.“ Mittlerweile nutzen mehrere Hundert Besucher dieses Angebot. Die meisten Kunden stammen aus Europa, darunter viele Deutsche, aber auch aus China oder Australien. Ein jährlicher Höhepunkt ist die Maifeier, zu der seit einigen Jahren Freunde, Geschäftspartner und Kunden eingeladen werden. „Man lebt einfach Wein“ bei Live-Musik, Lagerfeuer und Wein. Dieses Jahr kamen 300 Gäste allein zu dieser Feier.
Aufgeschlossen ist man bei Ştirbey für gemeinsame Weinproben mit den Nachbargütern. Die Besucher sollen die Charakteristika verschiedener Güter erfahren, die Ideen der hiesigen Winzer, die regionale Identität, die sich langsam auch hier entwickeln. Jedes Gut, jeder Winzer müsse seinen Ausbaustil finden und beibehalten – ungeachtet von zeitweiligen Trends, bis die Konsumenten diesen Stil verinnerlicht haben, ist Bauer überzeugt.
Kellerhefe und wilde Minze
Für seinen Arbeitgeber hat Bauer einen Stil geprägt. „Wir bei Stirbey sehen Weinbau nicht als Industrie.“ Mit den natürlichen Gegebenheiten wolle man ein bestmögliches Ergebnis erzielen. Zu dieser Philosophie gehört der Einsatz von möglichst wenig Technik und möglichst wenigen Eingriffen während der Kelterung. Die auf einigen Hängen wachsende wilde Minze übertrage ihr Aroma auf die Trauben, für die Gärung werden Hefekulturen aus dem eigenen Keller genutzt, auf Zusatzstoffe wird verzichtet. Manchmal werde Holz als Werkzeug genutzt, um den Wein reifen zu lassen.
„Viele Winzer haben Angst vor Ecken und Kanten“, beobachtet Bauer. Doch diejenigen Kunden, die einmal den Weg zum Ştirbey-Gut finden, suchen Weine mit Wiedererkennungswert. „Das wird von den Kunden auch goutiert, und was mich besonders freut, von vielen jungen Kunden.“
Für Weinliebhaber ist ein Besuch der Weingüter rund um Drăgăşani unbedingt zu empfehlen. Alte Weinberge mit bis zu 60 Jahre alten Rebstöcken wachsen hier neben jungen Pflanzungen. Wo anderswo strenge Gleichförmigkeit herrscht, gibt es hier noch Platz für Natur, finden seltene Pflanzen und Tiere einen Lebensraum zwischen den Reben. Mit seinen landschaftlichen Anklängen an mediterrane Weingegenden liegt oberhalb der oltenischen Kleinstadt ein wahres touristisches Kleinod, das es lohnt, zu entdecken. Nicht zu vergessen die Weine, deren Qualität mittlerweile sehr viel besser ist als ihre allgemeine Wahrnehmung.
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Anreise und Übernachtung
Die Kleinstadt Drăgăşani liegt 50 Kilometer südlich von Râmnicu Vâlcea bzw. 30 Kilometer nördlich von Slatina an der Nationalstraße DN 64. Während die Stadt touristisch wenig zu bieten hat, ist ein Ausflug in die westlich der Stadt gelegenen Weinberge umso reizvoller. In den Weingütern selbst mangelt es bisher noch an Übernachtungsmöglichkeiten. Gästezimmer können auf dem Weingut Avincis gebucht werden. In der Stadt selbst gibt es die Hotels „Max“, „Kilometruzero“ und „Casa Roxy“.