Ich bin auf dem Land aufgewachsen und muss von Zeit zu Zeit die Hauptstadt verlassen, um ein wenig Ruhe zu genießen. Das Dorf, wo ich großgeworden bin, ist ungefähr 80 Kilometer von Bukarest entfernt. Mit dem Zug fährt man Richtung Kronstadt/ Braşov bis nach Floreşti im Landkreis Prahova.
Danach bleibt noch eine Sechs-Kilometer-Strecke durch die subkarpatische Landschaft nach Filipeştii de Pădure, die man entweder mit dem Fahrrad, einem der Busse, auf den man ein wenig warten muss, oder mit dem authentisch rumänischen „Ia-mă, nene!“(also per Anhalter) zurücklegen kann.
Die Gegend kenne ich wie meine Westentasche, da ich mir schon als Kind eine ganz subjektive Karte im Kopf ausgearbeitet habe: meistens mit Hilfe von Empfindungen und den Erklärungen, die ich mir ausdachte, wenn ich unterwegs Sachen bemerkte, die ich nicht verstand.
Ein wichtiger Punkt auf dieser mentalen Karte ist Floreşti, da, wo es einen mit Luxus ausgestatteten Palast gibt. Das Bild weicht vom Gewohnten ab und löste deshalb in meiner sehr frühen Kindheit blühende Fantasien aus. Nach einer Weile reichten jedoch die in meiner Vorstellung entstandenen Deutungen nicht mehr aus: Eine vernünftige Erklärung für eine so merkwürdige Gestaltung des Gebäudes war nötig.
Jedesmal, wenn wir an dem fast der Vergessenheit anheimgefallenen Gebäude mit dem Auto vorbeifuhren, fragte ich mich nach seiner Geschichte. Die Einheimischen kannten sie nur vom Hörensagen, was das Geheimnis nur vertiefte: einmal sei das alte Landgut vom berühmten Komponisten George Enescu besichtigt worden; auf dessen Gelände sei ein Krankenhaus entstanden, und überhaupt sei es gefährlich, hineinzugehen. Dieselben Geschichten wiederholten sich in Spiralen ohne Ende.
Für die Pendler, die im naheliegenden Ploieşti arbeiten und am Schloss täglich vorbeikommen, gehört der alte Palast zur normalen Landschaft ihres Heimatdorfes und wird kaum noch wahrgenommen. Er ist so selbstverständlich wie der Prahova-Fluss, dessen Tal sich großzügig rechts und links ausdehnt, wo in aller Ruhe die Pferde der Einheimischen auf dem Gelände des Schlosses Gras fressen.
Der Bau hat mich schon immer gefesselt. Lange habe ich geglaubt, es sei ein magisches Gebäude: Schaut man es sich aus der Ferne an, dann sieht man durch die Fenster die Landschaft dahinter. Dieses Trugbild konnte ich mir nicht erklären. Wie konnte ein so prachtvolles Gebäude teilweise durchsichtig sein? Die Antwort kam vor Kurzem bei einer näheren Betrachtung: in der Leere besteht der Reiz. Wortwörtlich. Denn von dem ehemaligen, glänzenden Palast sind nur die äußeren Wände geblieben. Im Inneren wachsen hohe Pflanzen, aus Schutthaufen ragen Bäume empor. Durch den Garten kann man problemlos in ein paar Minuten zum Prahova-Tal gelangen.
Der Palast hat einen Namen: „Das kleine Trianon“. Es sollte die Kopie des gleichnamigen Schlosses in Versailles aus dem 17. Jahrhundert sein. Doch die Nachbildung aus Floreşti befindet sich in bedauerlichem Zustand. Die Fassade hat immer noch zehn neoklassische Säulen. Ursprünglich sollte das Schloss 365 Schlafzimmer haben, einen großen Springbrunnen, auch ein Überwachungsturm und Nebengebäude sollten dort entstehen. Auf dem Gelände scheint allein der Aussichtsturm mehr oder weniger ganz geblieben zu sein.
Die Cantacuzino Dynastie
Wer hatte die Initiative, ein solches Schloss auf dem Land erbauen zu lassen? Die ersten Erwähnungen der Familie Cantacuzino, Nachkommen der byzantinischen Familie Kantakuzenos, in der Prahova-Gegend stammen aus dem 17. Jahrhundert. Im Jahre 1840 gab es in Floreşti ein Bojarenhaus, das Grigore Cantacuzino gehörte. Derselbe Platz wird für den Erbau des Kleinen Trianon von seinem Nachfahren, dem adligen Großgrundbesitzer Gheorghe Grigore Cantacuzino, genutzt. Dieser wurde „Nababul“ (vom arabischen Nawab, Statthalter) benannt, da er einer der reichsten Menschen seiner Zeit war.
Für kurze Perioden hat er verschiedene nennenswerte Ämter bekleidet: er war der Reihe nach Ministerpräsident, Bürgermeister und Chef der Konservativen Partei. Drei Paläste ließ er bauen: in Bukarest, in Buşteni und in Floreşti. 1911 hat er mit dem Bau des letzten Schlosses für seine Enkelin Alice begonnen. Es wurde von französischen Meistern im Stile des Neoklassizismus und des Rococo gestaltet. Nababul starb aber zwei Jahre später, bevor das Innere des Gebäudes fertig geworden war.
Sein Sohn, Mihail Cantacuzino, machte nicht weiter und zog sich nach Bukarest zurück. So hat der Niedergang des Palastes begonnen, bevor er noch fertig war: seitdem verschwand alles, was wiederverwertet werden konnte. Seit 2009 gehört das Schloss nicht mehr den Nachfahren der Cantacuzino-Familie, denn es wurde an einen Google-Berater verkauft. Inzwischen ist rundum ein Zaun aufgerichtet worden, zahlreiche „Privatbesitz“-Schilder hängen daran.
Filipeştii de Pădure
Nach der Überquerung des Prahova-Flusses kurvt der Weg sanft und ohne Schwierigkeiten durch die friedvolle Landschaft, mal rechts, mal links, mal den Hügel hinauf und wieder durch Felder. Die Landschaft scheint den Weg in der Mitte zu umarmen. Es ist so ruhig wie am Anfang der Welt. Das Gebiet mehrfach gesegnet: Berge überwachen es aus der Ferne, sanfte Hügel erstrecken sich bis an ihren Fuß und die Felder sind ein Augenschmaus. Kein Wunder, dass die Bojaren sich ausgerechnet in dieser Gegend niedergelassen hatten.
Das erste Mitglied der Cantacuzino-Familie, das sich in Filipeştii de Pădure niederließ, ist Constantin Cantacuzino, der sich mit den Verwaltungsaufgaben des Woiwoden der Walachei beschäftigte und im Jahre 1638 den Landsitz der Familie Filipescu gekauft hatte. Fünfzig Jahre später erbaute sein Enkel ein Bojarenhaus, dessen Ruinen in der Nähe des heutigen Rathauses zu sehen sind. Über die Ruinen in Filipeştii de Pădure weiß man nicht viel. Gegenüber von den historischen Resten steht stolz nach dem Himmel strebend die im Jahre 1688 erbaute Kirche „Sfinţii trei Ierarhi“, das Herz der Gemeinde.
Toma Cantacuzino und seine Mutter, Bălaşa, hatten die Kirche im byzantinischen Stil erbauen lassen. Deren Struktur und Wandgemälde befinden sich noch im originalen Zustand. Auch die Altarwand der orthodoxen Kirche stammt noch aus dieser Zeit. Mehrmals wurde das wertvolle Fresko saniert, die vom berühmten Maler Pârvu Mutu bemalt wurde. Auf einer der Wände sind die 55 Mitglieder der Cantacuzino-Familie dargestellt. Dank der alten kirchlichen Kunst wurde die Kirche zum historischen Denkmal erklärt. Sogar die UNESCO-Kommission bezeichnete die Kirche als „Voroneţ der Großen Walachei.“
Der Woiwodenweg
Seit drei Jahren betreibt der Kreisrat von Prahova ein touristisches Projekt in Zusammenarbeit mit dem Archäologie- und Geschichtsmuseum Prahova. Es geht um den „Woiwodenweg“ (Erinnerungen für die touristische Zukunft Rumäniens im europäischen Raum), der die kulturellen Werte, die historischen und architektonischen Denkmäler fördert.
Ziel ist, Orte mit historischer Bedeutung aus dem Süden des Kreises in einem permanenten touristischen und kulturellen Weg zu verbinden, durch den Kunst- und Geschichtsliebhaber Zugang zu bisher weniger bekannten historischen Denkmälern erhalten. Stationen sind auch Orte, wo archäologische Entdeckungen gemacht wurden. 18 Ortschaften aus Prahova werden miteinbezogen, um die Entwicklung in diesem Teil des Kreises zu fördern.
Ich muss gestehen, ich fühle mich geschmeichelt: Das, was ich seit eh und je lieb gehabt habe, ist tatsächlich ein verborgener Schatz! Die mir so sehr am Herzen liegende Gegend wird nun bald Schritt für Schritt auch von anderen entdeckt werden. Auch wenn kaum Aussicht besteht, dem Schloss in Floreşti seinen ehemaligen Glanz, der ohnehin nur kurze Zeit währte, wieder zu verleihen. Sein Reiz besteht hingegen in seinem tragischen Schicksal und dementsprechend in seinem wundersamen Aussehen. Es ist höchst wahrscheinlich, dass die Ruinen des Palastes unverändert sein uraltes Geheimnis durch die Zeit weitertragen und auch bei anderen Kindern oder Erwachsenen lebhafte Phantasien erwecken.