Denkt man an die touristischen Reize der rumänischen Moldau, dann bestimmt nicht zuallererst an Synagogen. Dabei stehen diese, zwar architektonisch meist eher unauffällig, zumindest an Farbenpracht und Motiv-Reichtum den Moldauklöstern nur um wenig nach. Auf dem Weg von Bacău nach Roman, über Jassy/Iaşi, Hărlău, Botoşani, Dorohoi, Rădăuţi, Suceava, Fălticeni, Târgu Neamţ nach Piatra Neamţ kann man ein faszinierendes „paralleles“ Kulturerbe Rumäniens entdecken. Warum also nicht mal eine Synagogen-Tour auf den Spuren der jüdischen Minderheit? Am besten mit Kamera und – Kipa nicht vergessen!
Meist liegen Leih-Exemplare der kleinen Käppchen, Pflicht für jeden männlichen Besucher einer Synagoge, im Eingangsbereich aus – oder man improvisiert sie mit einer umgekehrt getragenen Kappe. Erstaunt beobachten wir einen unserer Begleiter, wie er sich in der kalten Synagoge einen tiefen Schluck aus der Pulle gönnt - und dabei seine Kipa mit einer weit ausholenden Geste mit der linken Hand am Hinterkopf berührt. Ein seltsames jüdisches Ritual? Mitnichten, beobachtet der Fotograf schon bald aus eigener Erfahrung: beim nach hinten Beugen rutscht das Käppchen leicht vom Kopf.
Vor dem Besuch einer Synagoge empfiehlt sich, einen Termin mit der Kontaktperson der lokalen jüdischen Gemeinschaft zu vereinbaren (Adressen/Kontaktliste: www.jewishfed.ro/index.php/date-de-contact-comunitati). An Samstagen (Schabbat) und Feiertagen ist die Besichtigung ausgeschlossen, an diesen Tagen darf ein guter Jude keinen Handgriff tun. Nichtmal den Schlüssel im Schloss drehen.
Unsere Tour beginnt in Bacău mit dem monumentalen, zweistöckigen Tempel der Getreidehändler, 1887 erbaut, 1926 nach einem Brand rekonstruiert. Das Gebäude im neobarocken Stil besticht mit prächtigen Wandmalereien des Malers M. Grimberg aus Jassy auf irisierendem Himmelblau. Unter der mit Sternen übersäten Kuppel ringsum Szenen aus der Natur: Löwen, Schafe, Vögel, Wild, gerahmt von verschlungenen Girlanden.
In Roman bezaubert eine Himmelskuppel mit Löchern, in denen Glühbirnen als Sterne leuchten, wenn auch nicht mehr alle. Den heiligen Schrein, Aron-Kodesch genannt, der in jüdischen Gotteshäusern stets die Ostwand ziert, bevölkern prächtige vergoldete Fabelwesen. Überall liegen uralte Bücher, einige aufgeschlagen, als wäre die Zeit hier einfach stehen geblieben.
In Jassy wird die große Synagoge seit 2015 restauriert. 1657-1671 erbaut, gilt sie als älteste im ganzen Land. Ihre Architektur ist einzigartig: Die 1,2 Meter dicken Mauern erinnern an Tempel-Festungen aus Zentraleuropa; an der Stelle des Aron-Kodesch wölbt sich eine angedeutete Apsis nach außen, von orthodoxen Kirchen inspiriert. Der vergoldete Schrein, 1864 geschaffen und von besonderem künstlerischem Wert, beeindruckt durch seine Größe. 2014 gelangte die Synagoge auf die World Monuments Fund Watch Liste der meistgefährdeten Denkmäler, bis 2015 wurde sie konsolidiert.
Auf dem Weg nach Botoşani kommen wir durch Hârlău, wo eine in Restauration befindliche Synagoge mit zarter Deckenmalerei beeindruckt. Der Schlüsselhüter lässt auf sich warten und so statten wir vorher dem sehenswerten Weinmuseum einen Besuch ab.
Weiter geht es nach Botoşani: Das schlichte, kleine, von hohen Wohnblocks umgebene Gebäude der Großen Synagoge Hoihe Şil (1834), überrascht mit einem prachtvollen Innenraum, in den man hinuntersteigen muss: Wand- und Deckenfresken, vom Renaissance-Stil inspiriert, zeigen Tierszenen und Landschaften aus dem heiligen Land. Der besonders wertvolle Aron-Kodesch, zwischen 2008 und 2012 restauriert, dominiert den gesamten Raum.
Die 1790 erbaute, 1899 wiederaufgebaute und 2014-15 restaurierte Synagoge Beth Solomon in Dorohoi erweist sich als interessanter Stilmix mit lokalen Einflüssen. An den Wänden prangen beleuchtete Stiftertafeln, unzählige Lampen, die den Raum mehr verunstalten als zieren, tragen höchst auffällig Namen und Daten ihrer edlen Spender. Ästheten erfreuen sich eher an den einzelnen Kostbarkeiten und Details als am Gesamteindruck.
Von Dorohoi geht es weiter zum großen Tempel in Rădăuţi (1879), schräg gegenüber vom Deutschen Haus. Hier treffen majestätische Größe, architektonischer Reiz – Arkaden, Rundfenster, kuppelgedeckte Türmchen - und eine selten schöne Innenausstattung im eklektischen Stil mit neoklassizistischen, neobarocken und maurischen Elementen aufeinander. Überall gibt es reizvolle Details zu entdecken, etwa die Fresken mit Musikinstrumenten in den Ecken der Decke. 2013 wurde das Gebäude nach einer Konsolidierung neu eröffnet.
In der Synagoge Gah in Suceava, 1865-70 von der Wohltätigkeitsorganisation Gmilut Hasadim (kurz: Gah) erbaut, herrschen kräftige Farben vor: Blautöne, Ocker, Gold, etwas Rot. Wegen zahlreicher baulicher Eingriffe 1910, 1929, 1975 und 1983-89 zeichnet sie sich durch eine seltene, asymmetrische Raumgestaltung aus. Blickfänge sind die die bemalten Wände plus Kuppel aus der ersten Bauphase. 2013 wurde die Synagoge instandgesetzt.
Die Synagoge in Târgu Neamţ datiert auf 1776, 1821 brannte sie ab und wurde 1823 aus Ziegeln neu aufgebaut. Interessant sind der Aron-Kodesch, von übergroßen Fabeltieren flankiert, charmant die Wandmalereien im Vorraum, die mittels Piktogrammen in die hebräische Schrift einführen. Zahlreiche Details im Inneren machen den grauen Klotz zwischen Wohnblocks zum fotografischen Eldorado.
Eine der größten Überraschungen bereitete die große Synagoge in Falticeni, 1795 aus Holz errichtet und nach einem Brand 1852 aus Ziegel und Stein rekonstruiert. Beeindruckend ihre Dimensionen: Säulengänge links und rechts, ein gewaltiger Aron-Kodesch, Wandmalereien voller Details – man könnte Stunden in dem verstaubten Gemäuer verbringen und immer noch Neues entdecken. Es riecht nach Geschichte.
Baal Shem Tov in Piatra Neamţ, die einzige vollständig erhaltene Holz-Synagoge Rumäniens und Osteuropas, stellt etwas zu unrecht die benachbarte Leipziger Synagoge völlig in den Schatten, architektonisch reizvoll und reich mit Fresken ausgestattet. In die 2009 restaurierte Holz-Synagoge steigt man hinab – und von dort aus wieder auf ins Museum, das die jüdische Geschichte von Piatra Neamţ erzählt. Ursprünglich aus Stein, wurde das Gotteshaus 1766 aus Holz neu aufgebaut. Seinen Namen verdankt es der Legende vom Besuch des Rabbis Baal Shem Tov, einer Leitfigur des besonders strengen jüdisch-orthodoxen Chassidismus, der vor allem in der Maramuresch verbreitet war. Als künstlerisch herausragend gilt dort der Aron-Kodesch, 1835 von Şaraga Işchok ben Moische geschnitzt.
Lust bekommen? Dann schnell die Kamera schultern - Kipa nicht vergessen. Schalom und gute Reise!
Jüdische Moldau
Erste Zuwanderungswellen gab es im 14. Jh. durch die Aschkenasen aus Zentraleuropa, die Sepharden wanderten im 15. Jh. von der iberischen Halbinsel ein, und aus der Ukraine kamen im 16. Jh. weitere, Jiddisch sprechende Aschkenasen in die Moldau. Einwanderungswellen gab es auch in der zweiten Hälfte des 18. und der ersten des 19. Jh. aus Galizien und Bessarabien. 1803 lebten 15.000 Juden in der Moldau. 1859, im Jahr der Vereinigung der Moldau mit der Walachei, waren es118.922, 1899 bereits 197.000.