Sagt man Sommer, denken die meisten an Sonne, Strand und Meer. Die Jagd nach dem nächsten Urlaubsschnäppchen beginnt schon mit dem Ende des vergangenen Sommerurlaubs. Doch es gibt eine Menschengattung, für die die Sommerplanung anders verläuft: die Rocker. Auch wenn der eine oder andere schon in die Jahre gekommen ist, schlägt das gleiche junge Herz schneller, wenn man mitbekommt, wo und wann die Lieblingsbands im kommenden Jahr auftreten werden. Und während man davon schwärmt, sieht man so manche Augenbrauen sich heben und die Frage aufkommen: „Eigentlich bist du zu alt dafür, oder?”
Dagegen kann man nur Lemmy Kilmister, den verstorbenen Frontman der britischen Band Motörhead, ins Feld führen: „Warum sollte jemand entscheiden, wann man zu alt für etwas ist? Ich bin nicht zu alt. Und solange ich nicht selbst entscheide, dass ich zu alt bin, werde ich das verdammt noch mal auch nicht sein.”
Das Wetter erwärmt sich. Der Frühling ist da. Der Sommer steht vor der Tür. Lemmy würde über diese banalen Sätze Tränen lachen und einen ungehaltenen Spruch über die Verweichlichung der jungen Generation loslassen.
Ab November hat man in mindestens täglicher Taktierung die Internetseiten der Lieblingsbands und -festivals aufgerufen, um die Bekanntgabe der Auftritte im nächsten Jahr nicht zu verpassen. Darauf folgt die Jagd auf den Termin, an welchem der Kartenvorverkauf beginnt. Inzwischen hat man schon längst die Konzerte ausgewählt, Reise-, Unterkunfts- und Verpflegungskosten ausgerechnet. Man hat sogar abgeschätzt, was für T-Shirts oder andere von den Bands angebotenen Produkte ausgegeben werden könnte. Was fehlt, sind die Tickets. Über den Daumen gepeilt kann man das auch noch einschätzen. So hat man das benötigte finanzielle Soll eruiert. Dann werden Termine abgestimmt, das zur Verfügung stehende Budget berechnet und dann kommt die Qual der Wahl. Welches Konzert oder Festival kann ausgelassen werden, welches muss unbedingt sein und was könnte man sich nie verzeihen, wenn man es verpassen würde. Aber man ist nicht zu alt dafür. Es ist Teil des Rocker-Daseins.
Statistisch gesehen sind Rocker die Musik-Fans, welche weltweit das meiste Geld für Live-Auftritte ausgeben. Das beste Beispiel dafür bleibt das Wacken-Festival in der gleichnamigen Ortschaft in Schleswig-Holstein. Das als kleines, für Underground-Bands begonnene Festival, ist mit seinen 100.000 Teilnehmern im Jahr 2022, davon 83.400 zahlende Besucher (bei einem Durchschnittspreis für drei Tage von ungefähr 250 Euro), eines der größten Festivals der Welt. Die kleine Ortschaft Wacken lebt eigentlich das ganze Jahr nur von diesen drei Tagen. Oder aber, als Rammstein die Europa-Tour für 2023 bekannt gab, waren die gesamten Konzerte innerhalb von weniger als zwei Tagen ausverkauft.
Aber der Sommer kommt mit seinen Konzerten und Festivals auch nach Rumänien (in meinem Kopf lacht Lemmy erneut auf und lässt einen weiteren ungehaltenen nichtreproduzierbaren Spruch los) und das Angebot ist wirklich nicht zu verachten.
Die Reihe der großen Namen wurde in diesem Jahr am 15. März in Bukarest eröffnet. Bruce Dickinson, Frontman von Iron Maiden, überraschte das rumänische Publikum mit einem Tributkonzert zu Ehren von John Lord (Mitbegründer der Band Deep Purple). Ausgehend von dem legendären Deep-Purple-Album „Concerto for Group and Orchestra“ gab Dickinson zusammen mit Tanya O´Callaghan, John O´Hara, Kaitner Z. Doka in Begleitung eines 80-köpfigen Orchesters unter der Leitung von Paul Mann neben dem schon genannten Album berühmte Deep-Purple-Lieder, aber auch eigene Kompositionen zum Besten. Was aber schon vorbei ist, ist halt vorbei. Werfen wir einen Blick auf das, was uns im Angebot bevorsteht.
Die schon erwähnten Deep Purple treten am 9. Juli 2023 in Bukarest auf. Auch wenn in den Jahren seit ihrer Gründung 1968 die Besetzung starke Veränderungen erfahren hat, bleibt die Band um Ian Gillan und Ian Paice ein Meilenstein der Rockgeschichte. Wer noch nie Lieder wie „Child in Time“, „When A Blind Man Cries“ oder „Hush Live“ gehört hat, sollte sich diesen Auftritt nicht entgehen lassen.
In die gleiche Weltstar-Liga gehören Guns´N´
Roses. Ende der 80er stürmten sie mit ihren Alben „Use Your Illusion“ I. und II. die Charts. Wie so oft führte das Star-Leben, geprägt von Sex, Drugs and Rock´N´Roll, zum Zerwürfnis zwischen Axl Rose, Slash und Co. Es hat mehrere Jahrzehnte gebraucht bis man erneut zu einander gefunden hat, doch nun kann man die drei Gründungsmitglieder Axl Rose (Stimme), Slash (Solo-Gitarre) und Duff McKagan (Bass-Gitarre) gemeinsam auf der Bühne am 16. Juli 2023 in Bukarest erleben. Auch wenn Axls Stimme inzwi-schen etwas an Kraft und Klangweite verloren hat, werden sicher ältere und jüngere Fans bei „Welcome to the Jungle“, „Don´t Cry“ oder „November Rain“ mitsingen und sich bei Slashs Gitarren-Riffs, bei denen seine unter dem berühmten Zylinderhut hervorströmenden lockigen Haare sein Gesicht bedecken, während seine Zigarette locker im Mundwinkel hängt, mitreißen lassen.
Eine der großen Überraschungen des Jahres 2022 in der Welt des Rocks war die Wiederzusammenkunft der amerikanischen Gruppe Pantera. Nachdem Gitarrist Dimebag Darrel 2004 auf der Bühne von einem Fan erschossen wurde, war die Band auseinandergegangen. Die beiden Gründungsmitglieder Phil Anselmo und Rex Brown konnten den Gitarristen Zakk Wylde und den Schlagzeuger Charlie Benante dazugewinnen und begannen im Dezember 2022 eine Welttournee. In Bukarest werden die nicht unumstrittenen Amerikaner im Rahmen des Metalhead-Meetings am 27. Mai 2023 ihren ersten Rumänien-Auftritt überhaupt haben. Panteras Power-Metal-Hymnen wie z. B. „Cemetary Gates“, „Walk“, „Mouth for War“ oder „This Love“ werden mit Sicherheit für einige der größten Moshpits des Jahres in Rumänien sorgen.
Am 6. Juni 2023 werden, gleichfalls in Bukarest, die deutschen Metaler von Powerwolf auftreten. Die um Frontmann Karsten Brill entstandene Band machte sich mit ihrer von Feuer- und Lichteffekten geprägten Show, sowie durch ihre auf Englisch und Latein verfassten anzüglichen Lieder einen Namen. Der aus Saarbrücken stammende Karsten Brill, Bühnenname Attila Dorn, erdachte für die von ihm auf der Bühne verkörperte Gestalt eine fiktive Bio-grafie, laut derer er halb ungarischer, halb rumänischer Abstammung und in Schäßburg/Sighisoara geboren worden sei. So glaubwürdig vermarktete er diese erdachte Abstammung, dass sie sogar von renommierten Fachzeitschriften als Wirklichkeit übernommen wurde, bis sie Brill selber in einem Interview 2013 richtigstellte.
Ein musikalisches Projekt der besonderen Art ist die Band Hollywood Vampires. Die Band vereint Alice Cooper als Sänger, Johnny Depp und Joe Perry als Gitarrenspieler. Als Tribut für den von Alice Cooper in den 70er Jahren gegründeten The Hollywood Vampires Club (zu dem unter anderem John Lennon, Ringo Starr, Keith Moon usw. gehörten) überzeugt die Gruppe mit eigenen Liedern (manche entstammen sogar Johnny Depps Feder), aber auch mit berühmten Cover-Songs. In Bukarest kann man die Band am 8. Juni 2023 im Konzert erleben, wobei dieses ihr zweiter Auftritt vor dem rumänischen Publikum sein wird.
Das größte Rockevent des Jahres bleibt jedoch das Rockstadt Extreme Fest. Wie der Name es schon verrät, geht es von der angebotenen Musik hart, sehr hart und am härtesten zu. Das am Fuße der Rosenauer Burg stattfindende Festival feiert in diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum. Um dieses gebührlich zu markieren, haben die Organisatoren wirklich schwere Geschütze aufgefahren. Nicht weniger als 70 Bands sollen in den fünf Festivaltagen vom 2. bis 6. August 2023 auf drei Bühnen auftreten. Und das Angebot ist überwältigend. Neben aufkommenden Bands werden sich wirklich große Namen der Schwer-Metal-Szene die Bühne teilen. Es gibt wenige Festivals, bei denen man Namen wie Arch Enemy, Anthrax, Epica, Therion, Soulfly, Obituary, Deicide, Amorphis, In Flames u. a auf dem gleichen Plakat wiederfindet. Man liegt nicht falsch, wenn man behauptet, dass mit dem diesjährigen Angebot das Festival in die wirklich große Liga aufgestiegen ist. Eine Besonderheit des Festivals, welches den Untertitel „On The Grounds of Transilvania“ führt, muss an dieser Stelle festgehalten werden: es ist das einzige Festival in Rumänien, welches in seiner Geschichte nie eine Förderung seitens der öffentlichen Hand beantragt hat.
Nicht unerwähnt darf eines der ältesten Festivals des Genres in Rumänien bleiben: ArtMania. Das 2006 ins Leben gerufene Festival findet heuer zwischen dem 28. und dem 30. Juli 2023 am Großen Ring in Hermannstadt/Sibiu statt. Die Black-Metaler von Emperor werden mit Sicherheit für den größten Zulauf sorgen, doch darf man die Auftritte von Porcupine Tree, die sich auf Abschiedstournee befinden, Wardruna, die durch den Soundtrack der bekannten Serie „Vikings“ ein Begriff sein sollten, und den Schweizern von Samael nicht außer Acht lassen.
Für viele der rumänischen Rocker endet der Sommer gewöhnlich in Câmpulung Muscel beim Posada-Rock-Festival. Das Festival bringt ein besonderes Konzept mit sich. Im Vorfeld findet jedes Jahr ein Wettbewerb für junge und aufkommende Bands statt (2022 haben sich für diesen mehr als 100 Bands angemeldet). Eine Jury wählt die besten sechs Rockgruppen aus, die dann während des Festivals gegeneinander auftreten. Die Sieger erhalten neben einer Geldprämie das Recht, im darauffolgenden Jahr im Rahmen des Festivals als eine der Hauptbands aufzutreten. 2023 gehören zu den Headlinern, außer den Siegern von 2022, den Hermannstädtern von Doomsday Astronauts, die legendäre deutsche Band Sodom, sowie die Holländer von Cryptosis und die multiethnische Gruppe Soen.
Das vorliegende Format erlaubt es leider nicht, auch auf die kleineren Festivals oder weitere besondere Einzelauftritte einzugehen, doch sollte nicht unerwähnt beleiben, dass Rock-Legende Iggy Pop im Rahmen von Electric Castle auftreten wird, dass W.A.S.P., Five Finger Death Punch und Ammon Amarth in Bukarest Konzerte haben werden und dass man Sepultura in Bistritz/Bistrita beim Way Too Far Rockfestival live erleben kann. Zugleich sollte man das Angebot an Konzerten, Festivals und Biker-Treffen, bei denen hauptsächlich rumänische Bands auftreten, nicht vergessen. Diesen alleine könnte ein ähnlicher Beitrag gewidmet werden.
Lässt man die hier angebotene Auswahl noch einmal Revue passieren, kann man sagen, dass uns ein heißer Rock-Sommer bevorsteht. Zeit zum Altfühlen wird es nicht geben und es wird erneut unter Beweis gestellt: Rock ist nicht tot, sondern quicklebendig. In diesem Sinne kann man mit einer weiteren Lemmyschen Weisheit schließen: „Wenn du meinst, du bist zu alt für Rock´N´Roll, dann bist du es.”