„Scheidet der Magyare hin, verschwindet auch der Rumäne, und umgekehrt“

Unterwegs mit den Sinnen und Vorlieben eines Vermittlers von Ausgleich

Feiertag in der rumänisch-orthodoxen Kapelle Budapests

Die hohe Synagoge in der Rumbach Sebestyén utca

Schaut so aus, als ob Rumäniens Diaspora in Ungarns Hauptstadt endlich auch ökonomisch wieder zu Kräften kommt, wenn sie ihr kirchliches Stammlokal renoviert.

Ob die Gozsdu-Höfe am Wochenende oder doch besser ohne ihren Trödelmarkt zu empfehlen sind?

„Nicht zu feste drücken!“, schärft uns der Wirt leise ein, nachdem er die Gläser an den Kopf der Siphonflasche gehalten und gezeigt hat, wie das gesprudelte Wasser aus ihr zu zaubern ist. Aber auch ihm rinnen einige Tropfen daneben. Weil der Verschlusshebel aus grauer Zeit nicht mehr ganz dicht hält. Ob man deshalb im „Gettó Gulyás” gleich Durst fürchten muss? Nein, überhaupt nicht. Zwar mag der Flaschenkopf ein antiquarischer sein, der schon manchen Generationen zuvor genutzt hat; doch bei geduldiger Anwendung tut er immer noch treuen Dienst. Gleiches gilt auch für die Rezepte dieser vor zehn Jahren eröffneten und fast pausenlos ausgebuchten Gaststätte im ehemaligen Jüdischen Viertel Budapests: alt, nur ganz wenige Zutaten und von unbezahlbarem Geschmack. Hühnerbrühe überraschend dunkel und so eigen, wie man sie daheim wohl kaum hinbekommt. Eher glückt das Nachbacken von „Csipetke”, also der magyarischen Spätzle und Nockerln, auf Rumänisch gern „Razalăi” genannt. Maisbrei in Budapest? Nein, bitte, für Ungarns Hauptstadt um nichts in der Welt fein genug. Vergessen Sie den Palukes. Nincs puliszka a Dunán.

Aber es gab in Budapest mal einen, der mächtig – und nachhaltig – für Aufsehen sorgte. Und nichts lieber als Polenta gespeist haben soll: „Leute, wenn mal derjenige, der den allermeisten Palukes zu verdrücken vermag, zum König der Rumänen auserwählt werden sollte, dann seid gewiss, dass ich es wäre. Nur nicht der König der ´mămăligari´!”, so Rechtsanwalt Emanuil Gojdu als Vordenker mit spöttischer Zunge während des Tafelns im Kreis von rumänischen Studenten aus knappen Verhältnissen, die in Ungarns Hauptstadt auf ihn als Mäzen zählen konnten. Aus aromunischem Kaufmanns-Geschlecht stammte er. Und wäre klar irgendwo im Albanien oder Nordmazedonien von heute geboren worden, hätten die Osmanen das der Legende nach schwerreiche Moscopole im 18. Jahrhundert nicht ausgelöscht. Weswegen Gojdu 1802 in Großwardein/Oradea zur Welt kam. In Nagyvárad.

Wie gewonnen, so zerronnen? Von wegen! Gold im Überfluss hatte Vater, Witwer und Kuhhändler Atanasie Gojdu zwar für keines von seinen sechs Kindern aufsparen können, wo allein in Moscopole gar auch Harmloses wie Besenstiele komplett aus Edelmetall bestanden haben soll. Für den Gymnasiums-Besuch und ein Jura-Studium von Sohn Emanuil mit Staatsexamen in Pest dafür reichte es allemal. Als Dreißigjähriger stemmte der Stifter der späteren und noch bis heute so heißenden Gozs-du-Höfe bereits mühelos den Erwerb des Hauses „Zum Blauen Hasen” in der Király utca um 30.000 Gulden. Auf den Namen Wilhelm Sebastian hörte sein Verkäufer, und finanzkräftige Einheimische auf den Ruf der „Königsgasse”: endgültig gebrochen werden sollte Wiens imperiale Sperre von Budapests ebenbürtigen Ansprüchen einige Jahrzehnte später. Emanuil Gojdu hatte einfach einen guten Riecher, den Austausch der lateinischen Sprache durch das Ungarische in der staatlichen Protokollierung von Rechtsfragen löste niemand sonst als er aus. 2027 werden stolze 200 Jahre seither verstrichen sein.

Bis in das allein Magnaten vorbehaltene Oberhaus des Ungarischen Parlaments schaffte er es. Sprachliche Hürden gab es für Gojdu, der das Magyarische genauso makellos wie das Rumänische draufhatte, im damals aus zwei Kammern bestehenden Gesetzesforum nicht zu bedenken. Auch im 1904 vollendeten Országház, dem neugotischen Parlaments-Gebäude am Donauufer und Kossuth-Lajos-tér, musste er sich nicht behaupten. Obwohl es ihm sicher leicht gewesen wäre, hätte er mindestens vier Jahrzehnte später gelebt. Man hielt einfach zusammen wie Pech und Schwefel in Gyula, Miskolc und Budapest, und doch musste Emanuil Gojdu gelegentlich einsehen, dass er die Rechnung ohne den Wirt gemacht hatte. Sein rumänisches Werben brachte kaum Erfolg, und die Flügelkämpfe in den eigenen Reihen noch viel weniger.

„Reitet mir doch nicht mehr so drauf rum!”, dürfte Gojdu im Stillen als Unterhändler zwischen ungarischen und rumänischen Belangen in seinen Bart gestöhnt haben. Noch vor seinen Lebzeiten allerdings war es den aromunischen und griechischen Einwohnern Budapests geglückt, sich zu zweit aus dem serbisch-orthodoxen Kirchenalltag zu lösen, und am liebsten hätte auch Gönner Gojdu schließlich den Traum einer rumänisch-orthodoxen Stätte in Budapest verwirklicht gesehen. Ein legitimer Wunsch, der sich bis heute nicht angemessen erfüllen konnte.

Weil die Gründerzeit längst vorbei ist, und Gojdu wiederum seiner Epoche zu weit voraus war. Sonn- und feiertags jedoch kommt das rumänische Budapest zur Heiligen Liturgie im einstöckigen Altbau Nummer 8 in der Holló utca zusammen. Der hierfür eingerichtete Etagenraum ist von so spärlicher Ausstattung und Gestaltung, wie es eine Kapelle gerade mal noch so knapp verträgt. Zwar steht dort eine Ikonostase, an den Wänden hängen auch Ikonen in prächtigen Wohnzimmer-Maßstäben, und trotzdem schlägt weder Orthodoxen noch Anderskonfessionellen eine gewohnt byzantinische Üppigkeit entgegen.

Mit dem schieren Gegenteil von Nüchternheit dafür hat zu tun, was ohne Umschweife manch predigenden Klerikern entfährt und eifrig auf Abspaltung vom Abendland und seinen Richtmaßstäben pocht. Priestermönch David Pop zumindest, Vorsteher der 2009 im selben Haus für Nonnen gegründeten und sich nach Johannis dem Täufer benennenden Klostergemeinschaft, nahm Sonntagvormittag, am 26. Oktober, den „wissenschaftlichen Atheismus” aufs Korn und rügte ausführlich den Westen für sein angeblich ungemein schädigendes Bild von Freiheit und Wohlstand. Was Emanuil Gojdu dazu gesagt haben würde? Wer waren seinerzeit und sind heute die ´mămăligari´, für deren Plumpheit er sich fremdschämte? Schuster, bleib´ bei deinen Leisten! Das einigen Popen nahezulegen, spräche wohl auch Gojdu aus der Seele.

Erst 30 Jahre nach seinem Tod war Budapests rumänisch-orthodoxe Gemeinde überhaupt in ihrer Eigenständigkeit angelangt. Am Platz für eine Kirche aber haperte es schon in den Anfängen: an bestimmt stolzen Bodenpreisen zum goldenen Anbruch des 20. Jahrhunderts, und heute für Nacheiferer von Emanuil Gojdu in Ungarns maximal gentrifizierter Weltmetropole an verständlicherweise ganz wenigen und sicher erst recht nicht erschwinglichen Baugründen. Die hohen Rechnungen gingen selbst dem bei ungarischen Bonzen geachteten Volksmann nicht immer auf. Unterkriegen aber ließ Gojdu sich nie. Half dem engen und genauso aus einem aromunischen Elternhaus stammenden Freund Andrei [aguna beim Gründen des „ASTRA”-Vereins 1861 in Hermannstadt/Sibiu; suchte rhetorisch Rumänen und Ungarn für tolerantes Miteinander zu gewinnen; und verfügte zwei Monate vor seinem Tod testamentarisch die Investition seines Vermögens als Kapital einer Stiftung zur Förderung der rumänischen jungen Elite.

Einziges Manko daran? Dass Emanuil Gojdu praktisch auf seinem Sterbebett Ansprüche griechisch-katholischer Bittsteller für nichtig erklärte. Obwohl er sich auf dem Zenit seiner Karriere in Budapest auch beim griechisch-katholischen Würdenträger Alexandru Șterca-Șuluțiu nach Siebenbürgens rumänischer Stimmungslage erkundigt hatte. Beinah 1500 Stipendien vergab bis 1900 die Gojdu-Stiftung an Nachwuchs-Intellektuelle, die sich zum Hochschulstudium etwa in Klausenburg, Budapest, Wien, Graz, Berlin, Zürich, Jena, Karlsruhe, Chemnitz und Leipzig entschieden. Später einmal berühmte – und teils polarisierende – Köpfe wie beispielsweise Victor Babeș, Traian Vuia, Octavian Goga und Petru Groza zählten zu den Stipendiaten der „Fundațiune”, deren Relevanz Emanuil Gojdu bis 2071 gestellt haben wollte!

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde sie ab sofort von Hermannstadt aus verwaltet. Nicht lange auf sich warten ließ leider der Hickhack zwischen Rumänien und Ungarn, und sieben Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs folgte jäh das Aus der Stiftung. Moskau fragte nicht, nein, sondern befahl stur den Übergang ihrer Besitztümer in das ungarische Staatseigentum. Bis Mitte der 90er-Jahre rumänisch-orthodoxe Kirchenmänner Siebenbürgens und einige Intellektuelle Rumäniens einen Versuch auf Rückerstattung immobiler Stiftungs-Vermögen unternahmen. Ihre Causa versandete. Immerhin wurde das von der Stiftung hinzugekaufte Haus Nummer 8 auf der Holló utca Budapests rumänisch-orthodoxer Kirchengemeinde 1993 doch gerichtlich zugesprochen und endlich wieder übertragen. Man ließ das Mindeste gewähren.

Die Reibereien dauern fort, gräbt man nach ihnen. Die Gojdu-Höfe unter den Nagel gerissen hat sich ein Unternehmer, dem die Story ihres Stifters kaum im Detail bekannt sein dürfte. Dennoch wurde Budapest nicht um seinen Trödelmarkt im langgezogenen Gozsdu Udvar gebracht – Samstag und Sonntag platzt die Passage aus allen Nähten. Vor lauter Schmuck und Töpferware, alten Fotoapparaten, Ansichtskarten und vielem Schnickschnack, der bei allem Zinnober trotzdem nicht ausschließlich Touristenfallen kredenzt. Militärische Abzeichen imperialer Vergangenheit und sogar mächtig Verrücktes wie zum Beispiel mit den Diktatoren-Konterfeis von Stalin, Horthy, Mussolini und Tse-tung geprägte Gedenkmünzen gibt es für Freaks und Sammler zu erstehen.

Bei Hunger übrigens ist das 1877 eröffnete „Karpatia” keine Option mehr. Schade natürlich, aber die Covid-Pandemie hat ihm den Hals gebrochen, seinen Schlüssel verhext. Offen und immer noch beliebt wie am ersten Tag hingegen ist die „Auguszt Cukrászda”, an der ja kein Budapest-Aufenthalt vorbeiführen sollte. Nur hinein in genau diese Konditorei, wer sich in eine Epoche nimmermüder Visionäre denken möchte: aufgemacht hat das süße Traditionslokal just 1870, dem Todesjahr von Emanuil Gojdu. Längst schon vergessen, dass seine Nummer 13 in der Király utca einmal „Zum Blauen Hasen” geheißen hat. Indizien auf graue Eminenzen dafür verblassen nicht einfach so unauffällig. Eine Tafel der Gojdu-Stiftung haftet nach wie vor am ältesten Haus auf Hermannstadts Großem Ring/Piața Mare – im Ungarischen der „Nagypiac tér” – , wobei acht von elf blauen Mülltonnen dort einen Aufkleber der Luxus-Pension „Rabbit Hole” tragen. Kein Zufall, oder?