Gemächlich schaukeln wir auf Serpentinenstraßen durch die herrlich weite Landschaft. Links und rechts blühende Wiesen mit Margeriten und Kornblumen, Schafherden grasen am Horizont, ab und zu ein Pferdewagen, hochbeladen mit duftendem Heu. Aus verschlafenen Dörfern, die sich sanft in Hügelketten schmiegen, ragen trutzige Kirchenburgen auf. Rinder oder Wasserbüffel trotten friedlich über die staubige Landstraße. Das ist das Bild, das man als Tourist mit Siebenbürgen verbindet. Ach ja – und dann sind da noch die Störche! Auf Schritt und Tritt begegnen uns die anmutigen, sanften Vögel. Ihre Nester zieren Dächer, Masten und Kirchtürme. Nicht nur Großstadtmenschen halten begeistert an: Schnell, das Teleobjektiv!
Wer häufig in Siebenbürgen unterwegs ist, kommt irgendwann um eine persönliche Begegnung mit Meister Adebar nicht herum. Leider sind es meist traurige Anlässe: Jungstörche mit gebrochenen Beinen, aus dem Nest gefallen, bei ersten Flugversuchen abgestürzt, in Hochspannungsleitungen verheddert... Doch was kann man tun für das verletzte Tier? Hat es überhaupt eine Chance? Und was, wiederum, hat all dies mit Tourismus zu tun? Unsere Geschichte, die letztlich nach Großau (Cristian) führt, dem Ort mit der größten Storchendichte des Landes, die man vom Observationspunkt im Turm der dortigen Kirchenburg beobachten kann, beginnt in Veneţia de Sus...
Eddys Mission
Während mein Mann die kostbaren Fresken der alten Kirche fotografierte, erzählte mir Pfarrer Mihai Comşulea von einem verletzten Storch, der am Vorabend vom Kirchturm gestürzt war. Damit ihn die Hunde nicht fressen, hatte er ihn in den Friedhof geschleppt. Da lag das Tier nun apathisch in einer Ecke in der mittlerweile brütenden Hitze: Das Bein gebrochen und nach hinten verdreht, Fleischfliegen bedeckten eine riesige, verklebte Wunde unter dem Flügel. Nein, so konnten wir ihn nicht verrecken lassen! Gemeinsam trugen wir das Tier zum Auto, dann ging es zu unseren Freunden im nahen Deutsch-Tekes/Ticuşu Vechi. Wie gut, dass Lydia gelernte Krankenschwester ist! Nachdem der Storch dort erstmal gierig getrunken hatte, wusch sie fachmännisch seine Wunden und entfernte Schichten von Fliegeneiern, die sich wegen der trockenen Hitze gottlob noch nicht in Larven verwandeln konnten. Dann verband sie unseren Schützling mit angelegten Flügeln zu einer strammen Wurst. Da saß er nun im Hundekörbchen in der Sommerküche und blickte uns mit sanften Augen unendlich zutraulich an. Wir nannten ihn Eddy.
Lydia erbot sich, Eddy am Montag nach Fogarasch/Fagaraş zu fahren, wo sich Tierarzt Dr. Palk um ihn kümmern wollte. Die Zeit bis dahin überbrückten wir mit einem mühsamen Spiel: Schnabel aufhalten, Tintenfischring hineinstopfen, die Kehle hinabstoßen, Schnabel wieder zuklappen und schön langsam den Hals hinuntermassieren...
Bange Tage vergingen nach Eddys Einweisung in der Tierklinik. Würde er sein Bein behalten? Was soll mit ihm geschehen?
Großau, Burg der Störche
„Ich hole ihn ab“, versprach Miruna Gritu von der Vereinigung „Freunde der Störche“/„Prietenii Berzelor“ in Großau bei Hermannstadt/Sibiu, die wir im Internet ausfindig gemacht hatten. Wenige Tage später saß Eddy im Fond ihres Wagens neben drei weiteren verletzten Artgenossen. Ihr Ziel war die Auffangstation für Störche, die nicht in der Lage waren, mit ihren Artgenossen gen Süden zu ziehen. 50 Störche überwinterten dieses Jahr in Großau, letzten Winter waren es 45, von denen 26 im Sommer in die Freiheit entlassen werden konnten.
„Anfangs hatte ich nicht die Absicht, mich um Störche zu kümmern“, bekannte die studierte Ökologin, die im Rahmen ihrer Diplomarbeit zuerst das Verhalten von Bären oder Wölfen untersuchen wollte. Doch weil sich niemand fand, der die junge Frau in den Wald begleiten wollte, riet man ihr, sich ein leichter zugängliches Subjekt zu suchen. „So stieg ich täglich auf den Turm der evangelischen Kirche von Großau und begann, die Störche im Nest auf dem Dach des Pfarrhauses zu filmen“, erzählt Miruna Gritu. Von da an waren Störche aus ihrem Leben nicht mehr wegzudenken. 2004 installierte sie zusammen mit ihrem Mann fünf metallene Plattformen für Storchennester in Großau, finanziert aus eigenen Mitteln. 2007 brachten ihr mitleidige Nachbarn erstmals einen verletzten Storch. Zwei Wochen lang fütterte sie Cioculeţ wie ein Baby. Als er starb, legte er sein Köpfchen in ihre Hand...
Es folgten Fomiţa, Papi, Lia, Lulu ...über 150 Störche hat Miruna seither gepflegt. Am Anfang wurden die Patienten ins Badezimmer gesperrt, dann ins Glashaus, dann wurde ans Glashaus angebaut. 2007 gründeten die Gritus zusammen mit zwei Freunden die Organsiation „Freunde der Störche“, deren Hauptziel der Schutz des weißen Storches ist.
Seither wurden in Großau 22 Neststützen installiert, eine Unterkunft für nicht migrationsfähige Störche improvisiert, ein Storchenfreunde-Club für die Schüler der fünften bis achten Klasse gegründet, die die Arbeit der Organisation als Volontäre unterstützen, ein Störche-Informationszentrum in der Kirchenburg eingerichtet und zahllose Touristen auf den Kirchturm geführt, wo sich direkte Einblicke in die Nester auf den umliegenden Dächern bieten. „Dank uns hat das Dorf mittlerweile die meisten Storchennester des Landes“, freut sich Miruna Gritu. Längst ist der Storch zum Symbol für Großau avanciert – und Großau zur „Burg der Störche“!
EU-geförderter Storchentourismus
Doch der Anfang war nicht leicht. Störche sind reine Fleischfresser und vertilgen täglich etwa 500 Gramm. 1600 Lei monatlich kostet allein die Nahrung für die untergebrachten Vögel. Hinzu kommen Tierarzt-, Transportkosten und vieles mehr. „Wir borgten uns oft Geld von Freunden, um für Nahrung und Medikamente aufkommen zu können“ bekennt Miruna Gritu. Sie hofft inständig, nie in die Lage zu kommen, ihre Schützlinge aus Geldmangel einschläfern lassen zu müssen... Auch deswegen soll das Zentrum in Zukunft interessierten Touristen offenstehen. Im Rahmen des EU-Projektes „Großau, Burg der Störche“ zur Förderung des lokalen Tourismus ist es der NGO zudem gelungen, Mittel für die Einrichtung eines mit Fernrohren ausgestatteten Observationspunktes im Kirchturm an Land zu ziehen. Des weiteren soll eine Kamera installiert werden, die online aus dem Nest am Pfarrhaus überträgt. Auch werden Jungvögel erstmals mit Ringen ausgestattet, um festzustellen, wie viele nach Großau zurückkehren.
Wie den Störchen helfen?
Miruna Gritu träumt ... von einem Zentrum zur Versorgung verletzter Störche, mit Hof und Volieren, Mini-Kläranlage, Tierarztpraxis und Kursräumen. Es wäre das erste in Osteuropa!Von einem Projekt für behinderte Kinder, die durch Tiertherapie – nicht nur mit Störchen, sondern auch mit Hunden und Pferden - neue Lebensfreude entdecken. Ein Grundstück hierfür wurde bereits in Aussicht gestellt. Von Veranstaltungen, die für die nötige Publicity sorgen: „Für dieses Jahr hätten wir ein Storchenfestival in Großau geplant, doch leider fehlt die Unterstützung der lokalen Behörden“, bekennt die Ökologin.
Stets willkommen sind Geld- undSachspenden, aber auch die zwei Prozent der Einkommenssteuer, die jeder Arbeitnehmer statt an den Staat an eine NGO umleiten kann (Formular)!
Unser Eddy hat leider nicht überlebt. Drei Wochen nach seiner Operation starb er überraschend an einer Infektion. Sein Vermächtnis ist dieser Artikel. Aber auch die neue Kooperation mit Dr. Palk aus Fogarasch, der ihn damals kostenlos operierte und seither die Erstbehandlung von Störchen aus dem Raum Kronstadt übernimmt. Bis Miruna Gritu sie in ihr neues, vorübergehendes Zuhause holt.
Wer „Prietenii berzelor“ besuchen oder unterstützen möchte oder einen verletzten Storch gefunden hat,wendet sich an Miruna Gritu,Tel. 0369881170, mobil 0723 327 931.