Es gibt Städte, die sich nicht um jeden Preis in den Vordergrund drängen – und umso mehr Flair ausstrahlen. Sie bewahren ihre Juwelen für jene Besucher auf, die sich zum Trotze aller Tourismushektik Zeit lassen, ein Auge fürs Detail behalten, einen behaglichen Spaziergang und ein Glas Wein im Schatten einer Linde genießen, gern auf Entdeckungstour winziger Cafés gehen und den Abend in einem Filmtheater oder umgeben von moderner Kunst verbringen. Auf Gäste dieser Art freut sich Braunschweig.
Die Ursprünge der Stadt im Südosten des Landes Niedersachsen gehen bis in das 9. Jahrhundert zurück. Unter Heinrich dem Löwen erlebte die Handelsmetropole ihre Blütezeit, im 20. Jahrhundert das absolute Tief: 1944 wurde Braunschweig zu 80 Prozent zerbombt. Auch das sollte man wissen, wenn man auf engem Raum an ziemlich heterogener Architektur – von mittelalterlich bis zeitgenössisch – vorbeiflaniert. Und nun die Argumente:
1. Heinrich der Löwe, eine Symbolfigur
Dass Braunschweig mit seinem Herzog eng verbunden ist, erfährt man schon am Hauptbahnhof, wenn man aus dem Zug steigt und vor dem Schild „Stadt Heinrichs des Löwen“ steht. Der Welfe unterstützte seinen Cousin Friedrich Barbarossa bei dessen Krönung und baute für sich selbst in Norddeutschland eine königliche Stellung auf. Davon profitierte als erstes Braunschweig, seine Residenz. Heute noch ist die Burg Dankwarderode – inzwischen mehrmals zerstört und neu aufgebaut – eine Attraktion der Stadt. Der prächtige Rittersaal beherbergt Wanderausstellungen und Kulturveranstaltungen.
Mit der Burg ist der Dom St. Blasii verbunden, die frühere Hofkirche der Welfen, gekennzeichnet durch das schlichte Gewölbe, die in sich gedrehten Säulen mit ihren fließenden Linien, den siebenarmigen Bronzeleuchter und die Secco-Malereien. Das Imervard-Kreuz aus dem 12. Jahrhundert, das sich heute im Seitenschiff des Doms befindet, gilt als eine der bedeutendsten romanischen Skulpturen in Deutschland. Noch bekannter ist das bronzene Standbild des Löwen am Burgplatz, die erste freistehende Statue des Mittelalters nördlich der Alpen. Sehenswert sind in ihrer unmittelbaren Umgebung zudem die herrschaftlichen Fachwerkhäuser der Familien Huneborstel und Veltheim aus dem 16. Jahrhundert, heute Sitz der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade.
2. Asymmetrische Kirchtürme
Kurios, aber schick: die repräsentativsten Kirchen der Stadt haben Doppeltürme von unterschiedlicher Bauart und ungleicher Höhe.
St. Katharinen am Hagenmarkt verlor einen der Türme Anfang des 19. Jahrhunderts. Die Kirche selbst erhielt etappenweise ihre heutige Erscheinung: Dem romanischen Unterbau folgten ein zweites frühgotisches Geschoss und ein hochgotisches Glockenhaus – und gerade diese Vielfalt verleiht dem schlanken Baudenkmal seinen ausgeprägten Charakter.
Auch bei der majestätischen Andreaskirche blieb der Nordturm über Jahrhunderte hinweg unvollendet. Im 16. Jahrhundert erhielt der Südturm einen spitzen Turmhelm, der ihn zu einem der höchsten Türme Mitteleuropas machte (122 Meter). Die Barockhaube, die er heute trägt, wurde ihm Mitte des 18. Jahrhunderts aufgesetzt – und mit seinen 93 Metern ist er noch immer der höchste Kirchturm in Braunschweig und einer der höchsten in Deutschland. St. Andreas gilt neben dem Braunschweiger Löwen als Wahrzeichen der Stadt.
3. Eine betagte und zugleich innovative Bühne
Die Vorgänger-Spielstätte des Braunschweiger Staatstheaters wurde schon im 17. Jahrhundert gegründet, deshalb steht das Haus heute unter dem stolzen Motto „Neu seit 1690!“ Damals eine der ersten allgemein zugänglichen Bühnen im deutschsprachigen Raum, heute ein modernes Viersparten-Theater, zeigt es jährlich rund 30 Premieren in den Bereichen Schauspiel, Musiktheater, Tanz sowie Kinder- und Jugendtheater, wobei die Tradition hohe Standards setzt: Hier wurden „Emilia Galotti“ und„Faust I“ uraufgeführt. Auch das Staatsorchester, das hier zu Hause ist, blickt auf eine langjährige Karriere zurück. In der laufenden Spielzeit feiert es seinen 425. Geburtstag. Spielzeitpausen nimmt sich das Staatstheater kaum, denn seit einem Jahrzehnt wird am Burgplatz auf einer Freilichtbühne auch sommers über weiter gespielt und gesungen.
4. Kunst vom Feinsten
Die Hochschule für Bildende Künste (HBK) in Braunschweig ist die zweitgrößte Kunsthochschule in Deutschland und die drittgrößte europaweit. Kennzeichnend ist das Gebäude der Bibliothek, ein gläserner Würfel, der auf der EXPO 2000 in Hannover als mexikanischer Pavillon Aufsehen erregte. Die drei Fachbereiche der HBK – freie Kunst, Gestaltung, sowie Kunst- und Medienwissenschaften – zählen insgesamt 1200 Studierende, während auf der Professorenliste Berühmtheiten wie die Performance-Künstlerin Marina Abramovic oder der Regisseur und Aktionskünstler Christoph Schlingensief eingetragen sind.
Auch abgesehen von den Kunstevents an der HBK gibt es in Braunschweig viel zu sehen – zum Beispiel das kleine und feine Museum für Photographie mit den zwei Torhäusern in der Helmstedter Straße und den Quartieren für zeitgenössische Kunst in der Hamburger Straße 267. Oder das Herzog-Anton-Ulrich-Museum, das älteste öffentlich zugängliche in Europa, mit einer beeindruckenden Sammlung alter Meister. Oder der „Allgemeine Konsumverein“, der seinen Namen vom schönen Gebäude im Zentrum Braunschweigs geerbt hat – „konsumiert“ werden hier allerdings nur Skulpturen, Installationen, Bilder, Performances, Filmnächte.
5. Ein Stadtteil für Szenegänger
Kern des buntesten Braunschweiger Viertels ist die Magnikirche, die aus dem frühen 11. Jahrhundert stammt. Während des Zweiten Weltkriegs wurde sie stark beschädigt, in den fünfziger Jahren in teilweise moderner Form wiederhergestellt – dies wurde häufig kritisiert. Nichtsdestotrotz ist die Namensgeberin des Magniviertels bei den Braunschweigern sehr beliebt. Rund herum, in den etwas schiefen Fachwerkhäusern mit stimmungsvoller Patina, findet der Gast eine Vielfalt von Cafés, Kneipen und Kleinläden. Noch bunter wird es in den kopfsteingepflasterten Straßen alljährlich am ersten Septemberwochenende, wenn das „Magnifest“ stattfindet.
Ein zusätzlicher Tipp für Kaffeehaus-Fans: das „Café Strupait“ am Magnitorwall bietet eine einzigartige Atmosphäre, sowie – in eigenen Worten - kulinarisch „fast alles, was der Mensch zum Glücklichsein braucht“.
6. Bezaubernde Naturinseln
Wer Lust hat, dem Stadtkern und seinem Tempo zu entfliehen, sollte eine Paddeltour auf der Oker unternehmen. Die acht Kilometer Wasser, die das Zentrum umranden, führen an ruhigen Villen und Gärten vorbei; Weiden neigen sich zum Fluss, der Lärm der Stadt bleibt weit entfernt, nur am Strand im Bürgerpark ist etwas mehr Bewegung. Ein Muss ist dabei das „Café Okerterrassen“, das bald ein Jahrhundert seines Bestehens feiert.
Für die mutigeren unter den Gästen erzählen Schriftsteller und Kriminalforscher bei einer Floßtour von echten und erfundenen Verbrechen – das etwas gruselige Krimi-Programm heißt „Mord auf der Oker” und ist meistens ausgebucht, also sollte man sich bei Interesse frühzeitig anmelden.
7. Ein Hauch Mittelmeer im Norden
Als „erste Adresse italienischer Lebensart in Braunschweig“ präsentiert sich das Bistro „La Vigna“ ganz selbstbewusst. Seit 1991 gibt es hier die besten italienischen Weine, seit vielen Jahren auch Slow-Food-Spezialitäten. Beispielsweise Tramezzini, Tiramisu oder Spinatgnocchi mit Salbeibutter können während der Freiluftsaison auch im Innenhof verzehrt werden – oder in der Gaststätte bei Kerzenlicht. Für die Küche daheim gibt es hier Pecorino-Käse, Parma-Schinken, Nudeln, leckeren Wein, Pesto und Olivenöle zu kaufen.
8. Eine Traum-Saison für Fußballfans
Der Sportverein Eintracht Braunschweig rühmt sich mit dem Gewinn der deutschen Fußballmeisterschaft im Jahre 1967 – und eifert diesem Erfolg immer entschlossener nach. Die Mannschaft spielt seit Mitte der achtziger Jahre in der zweiten Bundesliga, doch Ende April ist es gelungen, den Traum aller Eintracht-Fans zu erfüllen und auf die höhere Stufe in der Fußball-Hierarchie zu steigen.
9. Zisterzienserkloster und malerische Kulisse
Riddagshausen ist vom Stadtkern aus bequem mit dem Rad zu erreichen. Heute ist im Torhaus des ehemaligen Klosters ein Zisterziensermuseum untergebracht, das die Entwicklung, Kunst und Kultur des Ordens vorstellt. Mönche waren es auch, die vor neun Jahrhunderten die großzügige Natur der Umgebung zu schätzen und pflegen wussten. Das heutige Europäische Vogelschutzgebiet umfasst eine Fläche von rund 500 Hektar.
10. Zum Schluss: Ein Getränk mit Karriere
Typisch für die Löwenstadt ist ein Getränk, das im Laufe der Jahrhunderte unterschiedlichste Brauprozeduren erfahren hat und einst als wichtigster Exportartikel Karriere machte: die Braunschweiger Mumme. Basiszutaten waren Gerste,Hopfen oder Weizen. Dank des Alkohol- und Zuckergehaltes war die Mumme früher ein beliebtes Nahrungsmittel, vor allem als gut haltbarer Proviant bei Seereisen. Eine „ausschließlich alkoholfreie Phase“ der Mumme nahm vor wenigen Jahren ein Ende. Seit 2006 gibt es jährlich eine „Braunschweiger Mumme-Meile“.