Mosaiken werden von Kunsthistorikern als eine Erfindung der Griechen angesehen. Das Wort leitet sich vom griechischen Muse – also Kunst – ab. Bei den ersten Mosaiken etwa 500 v. Chr. handelte es sich um Kieselsteine, die man in Mörtel verlegte. Ungefähr 200 v. Chr. begann man farbige, etwa ein bis zwei Zentimeter große, regelmäßig behauene Steinwürfelchen zu verwenden und damit Bilder zu legen.
Die Römer nahmen die Technik auf und verbreiteten sie im Mittelmeerraum. Berühmte Mosaiken sind das Alexander-Mosaik in Pompeji aus dem ersten Jahrhundert vor Christus oder die frühchristlichen Mosaiken aus dem 5. Jahrhundert in Sant’Apollinare in Ravenna. Besonders in orthodoxen Kirchen und Klöstern verwendete man für die Ausgestaltung des Innenraums gerne Mosaiken, in privaten Haushalten waren sie jedoch nicht gebräuchlich.
Eine römische Villa in Sizilien
212 v. Chr. wurde Sizilien von den Römern eingenommen und war damit die erste römische Provinz. Sizilien war die Kornkammer des alten Rom. Grundbesitzer ließen durch Sklaven die Landwirtschaft betreiben, lebten selbst meistens in der Stadt und hatten den Zehent der Getreideernte abzuliefern. Die ersten zwei Jahrhunderte der römischen Kaiserzeit auf Sizilien zeichneten sich wegen zahlreicher Kämpfe durch einen allgemeinen Niedergang aus, der erst im vierten Jahrhundert durch einen neuen Wohlstand abgelöst wurde. Nachdem Karthago zerstört war, wurden die nordafrikanischen Provinzen Africa und Tripolitanien zur neuen Kornkammer Roms. Die Getreidelieferungen waren auf dem Seeweg nach Italien einfacher abzuwickeln als der Transport des sizilianischen Getreides auf dem Landweg. Der Handel blühte, und Sizilien, das auf der Handelsroute der beiden Kontinente lag, konnte davon profitieren. Die reichen Sizilianer bevorzugten wieder, auf dem Land zu leben und sich selbst um ihre Besitzungen zu kümmern – und sie legten ihre Reichtümer in komfortablen und schönen Residenzen an. Eine davon ist die Villa Romana del Casale, fünf Kilometer von der Kunststadt Piazza Armerina nächst der Stadt Enna gelegen – der kulturelle Höhepunkt jeder Sizilienreise.
Die ganze Anlage bedeckt 1,5 Hektar, die Bodenmosaiken der Villa machen 3500 Quadratmeter aus, eine größere Fläche als in jedem anderen römischen Gebäude. Die Villa Romana del Casale ist das wichtigste Denkmal des römischen Sizilien, und 1997 erklärte die UNESCO sie zum Weltkulturerbe.
Wer der Erbauer dieses architektonischen Wunderwerks war, ist nicht eindeutig geklärt. Verschiedene Forscher haben es jeweils anderen Persönlichkeiten zugeschrieben, etwa Maximian, der ab 285 n. Chr. Unterkaiser im westlichen Teil des römischen Reiches war. Weitere historische Studien vermuten seinen Sohn Maxentius als den Besitzer, wurden aber auch wieder verworfen. Da zu der Zeit eine Besitzung dieses Ausmaßes nicht unbedingt nur kaiserlichen, sondern allgemein auch aristokratischen Ursprungs sein konnte, kommt ebenso Lucius Aradius Valerius Proculus Populonius, der Gouverneur Siziliens von 327 bis 331 und daselbst Konsul im Jahr 340, als Besitzer in Frage. Dafür sprechen auch Darstellungen verschiedener Themen der Mosaiken, die auf die im Jahr 320 in Rom abgehaltenen eindrucksvollen Spiele hinweisen, die von Lucius mitorganisiert worden waren. Jedenfalls handelt es sich um „Privatbesitz aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts“, so die offizielle Ansicht.
Wechselvolles Geschick
Wer weiß, was aus der Anlage geworden wäre, hätte sie nicht ein Erdrutsch im 12. Jahrhundert verschüttet. Dadurch stürzten zwar die Decken und die Wände bis zu einer maximalen Höhe von acht Metern ein, aber die Bodenmosaiken blieben erhalten. Man entdeckte die Villa erst wieder 1761 und hielt sie für ein Relikt aus der Araberzeit, weshalb man sie „Casale dei Saraceni“ („Gutshof der Sarazenen“) benannte. 1881 begannen systematische Ausgrabungen, bei denen man den Mosaikboden des Speisesaals freilegte.
1929 wurde ein größerer Teil davon ausgegraben, fotografiert und wieder zugeschüttet – zum Schutz vor Verwitterung.
Eine zweite größere Ausgrabungsperiode fand von 1935 bis 1941 statt, dabei wurden die Mosaiken konserviert und nicht mehr zugeschüttet. Die restlichen Teile der Anlage wurden von 1950 bis 1954 systematisch freigelegt, und weitere kleine Teile 1983 bis 85.
Ein Erdrutsch verschüttete 1991 in der Nähe gelegene Strukturen des Areals, und 1995 fühlten sich Vandalen zu einer Beschädigung durch Farben bemüßigt.
Heute ist alles so überdacht, wie die Architektur der Gebäude ursprünglich gewesen sein musste. Die fehlenden Außenwände sind durch Glastafeln ersetzt, auf den antiken Innenmauern verlaufen Stege und erlauben von verschiedener Höhe herab einen Blick auf die Mosaiken.
Blick in das Leben eines sizilianischen Gutsherrn
Die Mosaiken – mit ihrer Liebe zum Detail und ihrer lebendigen Farbwahl – verdienen nicht nur als Kunstwerke begeisterte Bewunderung, sondern sie geben auch einen Einblick in die Lebensweise eines feudalen Gutsherrn in der Spätantike.
Die Villa ist in vier verschiedene Bereiche unterteilt, die auf je einer eigenen Ebene liegen, wie sie sich aufgrund der Hanglage ergeben haben.
Durch das hufeisenförmige Vestibül mit monumentalen Bögen gelangt man in einen großen rechteckigen Innenhof mit einem umlaufenden Säulengang, in den sich die dahinterliegenden Räume eröffneten, sowie einer anschließenden Basilika. Wasserbecken und Gärten belebten diesen Haupthof. Südlich schließt sich ein ovaler Hof mit Speisesaal und Nebenräumen an, in dem die ursprünglich in Gebrauch stehenden Speisesofas standen. Schließlich gibt es noch den in römischer Zeit sehr geschätzten Thermenbereich. Die ganze Anlage mit 50 Zimmern war für die Bewohner der Familie eine eigene Metropole.
Die künstlerische Technik und die Motive der Mosaiken verraten teilweise einen nordafrikanischen Einfluss. Unterschiede in der Stilrichtung deuten auf verschiedene Kunstschulen hin, die nebeneinander gearbeitet haben, aber auch auf eine Zeitspanne von etwa fünfzig Jahren Arbeitszeit.
Im Eingangsbereich sind korinthische Säulen zu sehen und Bodenmosaiken mit Zopfmuster, die mit Lorbeer umkränzte Tierköpfe wie Raubkatzen, Antilopen, Pferde, Wildesel, Steinböcke etc. einrahmen. Die Ausrichtung der Köpfe weist in einer Richtung zum Zugang des Speisesaals, in der anderen zu den Privaträumen hin.
Die Küchenräume zeigen Bodenmosaiken mit geometrischen Mustern.
In den Dienstbotenräumen sind – der wehenden Kleider wegen – als bäuerliche Tänzer interpretierte Paare zu sehen, und mit Fischfang beschäftigte Eroten in reich geschmückten Kähnen.
Die Jagd war ein wichtiger Teil im spätantiken Leben, wodurch der breite Raum, der ihr in den Mosaiken eingeräumt wird, verständlich ist. Im Winterspeisesaal weist das Bodenmosaik die „kleine Jagd“ auf, die in zwölf Szenen Jäger mit ihrer Jagdbeute wie Wildschweine, Hirsche, Hasen zeigt, und ein Waldbankett des Hausherrn mit seinen Pagen; drei Hirsche werden mit einem Netz gefangen, zwei Männer transportieren ein an einer Stange festgebundes Wildschwein ab; eine Szene zeigt den Nahkampf mit einem Eber… Diese und weitere Szenen geben alle durch ihre Detailgenauigkeit Einblick in die damals praktizierten Jagdtechniken.
Nach der kleinen die „große Jagd“
Im „Gang der großen Jagd“, der mit 66 Metern Länge und fünf Metern Breite die Trennlinie zwischen dem öffentlichen und dem privaten Teil der Villa bildet, werden vor allem der Fang und die Verschiffung großer Tiere gezeigt. Durch die Nähe Afrikas war die Kenntnis über Tiere wie Strauße, Antilopen, Elefanten, Nashörner … erstaunlich genau. Szenen wie der Kampf zwischen wilden Tieren oder ein Aufseher, der einen Sklaven peitscht, gehörten vermutlich zum Alltag. Verschiedene ferne oder geheimnisvolle Länder wurden mit ihren Tiervertretern in die Darstellungen einbezogen. So gehörte auch Indien dazu, wo gezeigt wird, wie man mithilfe einer List einen Tiger fängt: Man wirft ihm eine Kristallkugel zu, das Tier hält sein Spiegelbild in der Kugel für eines seiner Jungen, und um es zu retten, wendet es seine Aufmerksamkeit von den Jägern ab. So weit jedenfalls die Darstellung.
Der immer prunkvoller werdende Weg des Ganges mündet in einen großen Raum mit Apsis, der dem Empfang vornehmer Gäste diente, deren Besuch wohl einer feierlichen Zeremonie gleichkam und vermutlich deshalb zur Bezeichnung „Basilika“ führte.
Gehobenes Wohnen
Links und rechts der Basilika waren die Wohn- und Schlafräume der Besitzer, wobei die der Hausherrin deutlich kleiner und weniger prunkvoll waren als die des Hausherrn. Die Erzählung des Odysseus, Allegorien der vier Jahreszeiten, Fruchtkörbe und ein Medaillon mit einem Liebespaar dienten zur Erbauung der Hausherrin; der Hausherr durfte sich an fischenden Eroten, Meeresszenen mit Meeresnymphen, dem Dichter Arion von Lesbos, der mit seinem Gesang Meerestiere und den Gott des Meeres anlockt, am Kinderzirkus-Mosaik – mit von Vögeln gezogenen und von Kindern gelenkten Wägelchen – und an girlandenflechtenden Mädchen erfreuen.
In einem der Diensträume finden sich die Mosaiken von zehn jungen Frauen beim Sport: Gymnastik, Diskus, Hanteln und Bälle sind zu sehen. Die Mädchen sind in zweiteilige Sporttenues gekleidet, die oft fälschli-cherweise als „Bikinis“ bezeichnet werden.
Im ovalen Hof und Speisesaal finden sich Darstellungen der griechischen Göttersagen wie die Taten des Herkules oder die Verwandlung der Daphne in einen Lorbeerbaum.
Eine wichtige Rolle nahmen die Thermen ein, die aus einer Reihe von Räumlichkeiten bestanden: Umkleideräume, Heißwasserbad, warm beheizte und lauwarme Räume, ein mit sechzig Grad heißer Luft erhitztes Schwitzbad, ein Erfrischungs- und Abkühlungsraum, ein Massageraum – mit jeweils dazupassenden Mosaiken ausgestattet.
Die Latrine war der einzige vollständig isolierte Raum im Außenbereich; in der Nähe des Speisesaals, von dort und von den herrschaftlichen Räumen aus zu erreichen. Auch diese stille Örtlichkeit wurde mit einem Mosaikboden nobel ausgestattet.
Ob man die Mosaiken der Villa als großes Gesamtkunstwerk auf sich wirken lässt oder ob man sich dem genauen Studium der einzelnen Szenen, dem geschichtlichen Hintergrund oder der künstlerischen Ausführung widmet, ist eine Frage der persönlichen Vorliebe und wie viel Zeit man zur Verfügung hat. Sicher ist nur: Dieses architektonische Wunderwerk sucht seinesgleichen in der Welt und ist jede mögliche Form des Interesses wert.