Das neue kollektive Arbeitsrecht: Erneuter Änderungsbedarf wegen prozessrechtlicher Aspekte

Am 25. Dezember 2022 ist das neue Gesetz Nr. 367/ 2022 über den Sozialdialog (Sozialdialogsgesetz, kurz „SDG“) in Kraft getreten. Damit wurde das kollektive Arbeitsrecht Rumäniens neu geregelt. 

Trotz eines langjährigen Gesetzgebungsprozesses wurden bereits kurz nach Inkrafttreten des SDG mehrere Probleme identifiziert. Nachfolgend werden die prozessrechtlichen Probleme, die mangels Koordinierung mit dem Arbeitsgesetzbuch entstanden sind, und deren Lösung, die bereits Gesetzesentwürfe zur Änderung erforderte, dargestellt.

Zuständigkeit der Gerichte für individuelle Arbeitskonflikte

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das neue SDG keine Definition des „individuellen Arbeitskonflikts“ mehr enthält. Dies hat nicht nur eine theoretische, sondern auch eine praktische Relevanz, da der Begriff im Arbeitsgesetzbuch und anderen Normen nach wie vor verwendet wird. Es handelt sich hierbei um Konflikte i.V.m. individuellen Ansprüchen des Arbeitgebers und des einzelnen Arbeitnehmers (z.B. Zahlungsansprüche, Kündigungsschutzklagen, etc.)

Hinsichtlich der materiellen Zuständigkeit der Gerichte im Bereich der individuellen Arbeitskonflikte regelte das alte SDG ausdrücklich, dass über all diese Konflikte ausschließlich die Landgerichte (Tribunale) am Wohnsitz oder Arbeitsort des Klägers entschieden.

Das neue SDG enthält in diesem Fall keine Zuständigkeitsregelungen mehr, sodass aktuell nur die Vorschriften des Arbeitsgesetzbuches Anwendung finden. Diese beschränken sich jedoch auf die Aussage „Arbeitskonflikte fallen in die Zuständigkeit der Gerichte gemäß dem Gesetz.“

Mangels Sonderregelung muss die Zuständigkeit daher aufgrund der Zivilprozessordnung (Codul de Procedura Civila) erfolgen. Hiernach sind sachlich zuständig:
    • die Amtsgerichte (Judec²torii) für sämtliche Anträge mit einem Streitwert bis zu 200.000 Lei  und
    • die Landgerichte für alle Anträge, die nicht in die Zuständigkeit anderer Gerichte fallen.

Damit sind Klagen im Bereich des Arbeitsrechts seit dem 25. Dezember 2022 derzeit an das Amtsgericht zu richten, wenn deren Streitwert unter der o.g. Schwelle liegt. Wird die Schwelle überschritten oder hat die Klage keinen Streitwert, sind die Landgerichte zuständig.

Konsequenzen hinsichtlich der Organisierung der Gerichte

Gemäß dem Gesetz Nr. 304/ 2022 über die Organisierung der Gerichte müssen Klagen über Arbeitskonflikte durch spezialisierte Richtergremien, bestehend aus einem Richter und zwei Richterassistenten, analysiert und beurteilt werden. Solche spezialisierten Gremien existieren derzeit nur bei den Landgerichten, nicht jedoch bei den Amtsgerichten. Dies dürfte den bereits bestehenden Personalbedarf der Amtsgerichte deutlich erhöhen.

Darüber hinaus müssen auch die Richtergremien der Landgerichte neu organisiert werden. Da das Landgericht nicht nur für bestimmte arbeitsrechtliche Klagen in der ersten Instanz (s.o.), sondern nun auch als Berufungsinstanz hinsichtlich der Urteile der Amtsgerichte als Erstinstanz zuständig ist, müssten neue Gremien von zwei spezialisierten Richtern eingeführt werden.

Unterschiedliche Berufungsfristen für individuelle und kollektive Arbeitskonflikte

Laut altem SDG betrug die Berufungsfrist gegen Urteile über individuelle Arbeitskonflikte 10 Tage ab Zustellung des Urteils; was eine Abweichung von der allgemeinen Berufungsfrist von 30 Tagen darstellt. Das neue SDG enthält keine spezielle Regelung mehr, sodass derzeit die o.g. allgemeine Berufungsfrist Anwendung findet.

Allerdings sieht das neue SDG eine spezielle Berufungsfrist von 15 Tagen im Fall der kollektiven Arbeitskonflikte vor.

Entwürfe zur Heilung der o.g. Probleme
Die o.g. Probleme waren sicher nicht beabsichtigt. Zu ihrer Beseitigung wurden
    • am 16. Februar 2023 ein Gesetzesentwurf zur Änderung des Arbeitsgesetzbuches sowie
    • am 22. Februar 2023 der Entwurf einer Dringlichkeitsverordnung zur Änderung und Ergänzung des neuen SDG
eingereicht.

Diese sollen insbesondere die o.g. prozessrechtlichen Aspekte korrigieren bzw. die Regelungen harmonisieren; u.a. sollen die ausschließliche Zuständigkeit der Landgerichte und eine einheitliche Berufungsfrist von 10 oder 15 Tagen wiedereingeführt werden.

In der jetzigen Form sind beide Entwürfe jedoch (noch) nicht einwandfrei, da z.B. die Definition des individuellen Arbeitskonflikts sowie die Klärung einiger auslegungsbedürftigen Vorschriften bzgl. der örtlichen Gerichtszuständigkeit fehlen.

Fazit

Das neue Gesetz über den Sozialdialog bezweckt, durch das alte Gesetz eingeführte Probleme, die die Gewerkschaften als Beeinträchtigung der Arbeitnehmerrechte sahen, zu lösen. Dieses Ziel wurde aus materiellrechtlicher Sicht zum Großteil (auch hier gibt es noch Mängel) erreicht. Leider entstanden jedoch erhebliche prozessrechtliche Probleme, deren Lösung die unverzügliche Intervention des Gesetzesgebers erfordert.


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