Bukarest - Während die heimischen Proteste gegen die geplanten Probebohrungen zur Schiefergasförderung in den letzten Wochen abgeebbt sind, hat die Gegenwehr in Polen eine neue Stufe erreicht. Im südostpolnischen Dorf Zurawlowa, in der Woiwodschaft Lublin, blockieren die ansässigen Bauern seit zwei Monaten die Zufahrten zu den Bohrstellen des Energiekonzerns Chevron, um auf die drohende Verseuchung des Grundwassers in der Region aufmerksam zu machen. Diese Gefahr besteht stets beim hydraulischen Aufbrechen des Gestein, da zur Schiefergasförderung ein giftige Chemikalienmischung durch die Grundwasser führenden Schichten gepumpt werden muss. Unterstützung erfahren die Anwohner auch von auswärtige Umweltaktivisten, die gemeinsam unter Namen Occupy Chevron an die weltweiten Protestbewegungen anknüpfen.
Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern – Frankreich, Holland und Bulgarien haben das Fracking bereits verboten – sehen polnische Politiker, quer durch alle Lager, in der Schiefergasförderung die energetische Zukunft des Landes. Premierminister Donald Tusk hatte schon einmal vollmundig von einem „neuen Norwegen“ und der Unabhängigkeit von Russland geträumt. Bislang wurden 42 Probebohrungen durchgeführt, von denen 18 erfolgreich waren. Allerdings haben sich mit ExxonMobil, Talisman und Marathon schon die ersten Energieriesen zurückgezogen, da sich zwischenzeitlich die von der US-Energieagentur EIA (Energy Information Administration) prognostizierten 5,3 Billionen Kubikmeter als deutlich übertrieben herausstellten. Einen weiteren herben Rückschlag musste die polnische Regierung Anfang Juli hinnehmen, denn der Europäische Gerichtshof urteilte, dass die ausschließliche Vergabe von „Konzessionen für die Prospektion, Exploration oder Gewinnung“ von Schiefergas an in Polen registrierte Unternehmen gegen EU-Recht verstößt. Andere Unternehmen seien bei der bisherigen Vergabe von Konzessionen diskriminiert worden, hatte die Europäische Kommission in ihrer Klage argumentiert.
Dass in Europa bisher lediglich Probebohrungen durchgeführt wurden, heißt jedoch nicht, dass das Fracking keinen Einfluss auf die europäische Energiepolitik hat. In einer kürzlich von der deutschen Privatbank Berenberg und dem privaten, neoliberalen Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) veröffentlichten Studie, wurden die Auswirkungen der amerikanischen Schiefergasrevolution auf andere Teile der Erde untersucht. Der Schiefergasboom hatte in den USA bereits Mitte des vergangenen Jahrzehnts begonnen und zu einem Einbruch der Gaspreise um bis zu 80 Prozent geführt. Dies hat in den vergangenen Monaten besonders energieintensive Unternehmen aus den Bereichen der Chemie, Petrochemie und Aluminiumverarbeitung zur Rückkehr bewogen. Kurt Oswald, Vice President der Unternehmensberatung A.T. Kearney, spricht sogar von einer Re-Industrialisierungswelle. Kritiker halten dem jedoch entgegen, dass dieses Phänomen nicht ausschließlich auf den niedrigen Gaspreis zurückgeführt werden sollte. Der Gasmarkt macht schließlich nur knapp 30 Prozent des gesamten US-Energiemarktes aus und andere wesentliche Faktoren sind insbesondere die Abwertung des Dollars um über 30 Prozent im gewichteten Schnitt seit 2002, was Importe verteuert und Exporte entsprechend unterstützt hat sowie das riesige Konjunkturprogramm, welches die Wirtschaft zwischen 2009 und 2012 mit 767 Milliarden Dollar in Schwung gehalten hat.
Die Wandelung Amerikas vom Gasimporteur zum Gasexporteur sowie die niedrigen Gaspreise haben laut der Autoren der Studie wesentlich dazu beigetragen, dass die Kohleproduktion und mit ihr auch der Kohlepreis zurückgegangen ist. Infolgedessen ist in Europa der Anreiz gestiegen in der Industrie und bei der Stromerzeugung vermehrt Kohle einzusetzen, mit entsprechend negativen Folgen für die CO2-Bilanz. Analog gehen durch den niedrigen Kohlepreis und den Wertverlust der CO2-Zertifikate in Europa die Anreize verloren in innovative und klimafreundliche Technologien zu investieren. Zeitgleich profitieren energieintensive Unternehmen in Amerika von den niedrigen Gaspreisen und haben damit einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren europäischen und asiatischen Konkurrenten. Während der Gaspreis in den USA bei etwa 2,75 US-Dollar/MmBtu (million British thermal unit) liegt, müssen in asiatischen Ländern bis zu 16 US-Dollar/MmBtu bezahlt werden – in Europa liegt der Gaspreis zwischen beiden Werten. Trotz des rückläufigen Kohleanteils an der amerikanischen Stromerzeugung, um 12 Prozent seit 2005, ist kein Rückgang der gesamten Kohleproduktion zu erkennen. Stattdessen wird die überschüssiger Menge zunehmend exportiert, dabei hat sich neben Kanada insbesondere Brasilien zu einem Hauptabnehmer entwickelt. Seit 2005 haben sich die gesamten Kohleexporte auf 107,3 Millionen Short Tons verdoppelt. Einen kompletten Verzicht, und eine damit verbesserte CO2-Bilanz können die Autoren der Studie dementsprechend nicht erkennen. Sie stellen aber fest, dass die Substitution von Kohle durch Erdgas entscheidend vom amerikanischen Gasmarkt abhängt.
Der zumindest vorübergehende Erfolg der Schiefergasförderung strahlt zudem auch auf andere Regionen der Erde ab. Während China die Förderung von Schiefergas in den aktuellen 5-Jahresplan aufgenommen hat, lanciert auch der weltweit größte Ölproduzent, Saudi-Arabien, die Förderung von Schiefergas. Lediglich Russland als größter Gasexporteur hat bislang keine konkreten Pläne. In Europa sind es neben Polen insbesondere Großbritannien und die Ukraine, die die Suche nach Schiefergas fördern. Die EIA schätzte 2011 die ukrainischen Schiefergasreserven auf 1,2 Billionen Kubikmeter und zu Beginn diesen Jahres unterzeichneten der ukrainische Minister für Energie und Kohle und Shell eine Produktionsvereinbarung in Höhe von 10 Mrd. US-Dollar für das im Osten des Landes gelegene Yuzivskafeld. Genau wie für Polen, steht für die Ukraine eine größere Unabhängigkeit von Russland im Vordergrund. Im Hinblick auf dicht besiedelte Staaten wie Deutschland, aber auch Großbritannien, empfehlen die Autoren ein vorschnelles Handeln in Bezug auf die Schiefergasförderung zu vermeiden, hier hätten negative Umweltauswirkungen wie die Verunreinigung von Grund- und Trinkwasser erhebliche Folgen für große Teile der Bevölkerung.