Mindestlohnrichtlinie teilweise rechtswidrig – ein EuGH-Urteil und seine Folgen

Wir haben wiederholt über die Mindestlohnrichtlinie – Richtlinie (EU) 2022/2041 „über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union“ – berichtet. Diese beinhaltet u. a. Vorgaben zur Festlegung und Anpassung der gesetzlichen Mindestlöhne in den Mitgliedstaaten. Die Richtlinie griff in das altbewährte Prinzip ein, wonach die Lohnfestlegung den Gesetzgebern und Sozialpartnern (Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände) in den Mitgliedstaaten vorbehalten war. Gegen die Richtlinie wurde (wie ebenfalls berichtet) Klage vor dem EuGH erhoben. Am 11. November 2025, und somit fast ein Jahr nach der Umsetzungsfrist, hat der EuGH nun entschieden: die Richtlinie ist (nur teilweise) rechtswidrig.

Was besagt die Richtlinie im Grundsatz?

Die Mindestlohnrichtlinie will keine einheitliche Mindestvergütung, sondern verpflichtet die Mitgliedstaaten, Kriterien für die Festsetzung und Aktualisierung der Mindestlöhne einzuführen. Ziel ist es, die Angemessenheit des jeweiligen Mindestlohns zu gewährleisten. Die Kriterien hierfür müssen laut Art. 5 der Richtlinie mindestens Folgendes umfassen:

  • die Kaufkraft der gesetzlichen Mindestlöhne unter Berücksichtigung der Lebenshaltungskosten;
  • das allgemeine Niveau der Löhne und ihre Verteilung;
  • die Wachstumsrate der Löhne;
  • langfristige nationale Produktivitätsniveaus und -entwicklungen.

Ferner sind Tarifverhandlungen zu stärken, v. a. Mitgliedsstaaten mit geringer Tarifbindung (wie etwa Rumänien) müssen Maßnahmen treffen.

Was bezweckte die Klage?

Zu der Streitigkeit kam es, als Dänemark 2023 Nichtigkeitsklage vor dem EuGH einreichte. Die Sache wurde unter dem AZ Rs. C-19/23 registriert. Dänemarks Hauptargument beruhte auf einer Überschreitung der Zuständigkeit der EU. Art. 153 Abs. 5 des AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union).

Die Richtlinie stelle einen unmittelbaren Eingriff in die Lohnfestsetzung in den Mitgliedstaaten dar, da sie unter anderem die o. g. quantitativen Kriterien für angemessene Mindestlöhne vorgebe und Tarifverhandlungen detailliert beeinflusse. Sie verletze das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. 

Schweden teilte diese Bedenken. Beide Länder haben ein dezentrales, gewerkschaftsbasiertes Lohnmodell, das keine gesetzlichen Mindestlöhne kennt, sondern im Wesentlichen auf Tarifverhandlungen beruht.

Auch der Generalanwalt hat im Verfahren ausdrücklich dafür plädiert, die Richtlinie vollumfänglich für nichtig zu erklären.

Was bedeutet dies?

Art. 151 AEUV beschreibt die legitimen Ziele, die die EU im Bereich Sozialpolitik (und damit Arbeitsrecht) verfolgt. Art. 153 beschreibt dabei die Gebiete, auf denen die Union die Mitgliedsstaaten zur Verwirklichung dieser Ziele unterstützt. Art. 153 Abs. 5 schließt dabei Arbeitsentgelt, Koalitionsrecht, Streikrecht und Aussperrungsrecht explizit aus diesen Gebieten aus. Nach dem „Prinzip der begrenzten Eigenermächtigung“ verfügt die EU (nur) über diejenigen Zuständigkeiten, die ihr durch die Verträge, auf die sie sich gründet, übertragen wurden.

Wie wurde entschieden?

Der EuGH hat nur Teile der Richtlinie gekippt. Dies betrifft insbesondere die o. g. Kriterien zur Mindestlohnfestsetzung: Sie seien ein direkter Eingriff in die Lohnhoheit der Mitgliedstaaten und daher für nichtig zu erklären, weil die EU dafür nicht zuständig war. 

Im Übrigen wurde die Richtlinie beibehalten. Insbesondere sei keine Kompetenzüberschreitung im Hinblick auf die Maßnahmen zur Erhöhung der Tarifbindung gegeben, da nicht das Koalitionsrecht (etwa das Recht, einer Gewerkschaft beizutreten) betroffen sei. 

Was bedeutet dies für Rumänien? 

Rumänien hat seine Gesetzgebung durch Gesetz und einen Regierungsbeschluss an die Richtlinie angepasst; wir hatten hierüber berichtet. U. a. besagen die rumänischen Regelungen, dass der Mindestlohn jährlich unter Anwendung eines Verfahrens, das die Angemessenheit des Mindestgehalts prüft, festgesetzt wird. Dabei werden u. a. genau die in Art. 5 der Richtlinie genannten Kriterien (vgl. o.) verwendet; diese wurden wörtlich in das rumänische Recht übernommen.

Einerseits hat der EuGH nicht die Kriterien an sich für rechtswidrig erklärt. Daher müssen sie u. E. auch nicht aus dem rumänischen Gesetz gestrichen werden; entscheidet der rumänische Gesetzgeber, dass sie für die hiesigen Verhältnisse und Zwecke legitim sind, kann er sie ohne Weiteres beibehalten.

Andererseits ist erneut auf die Relevanz der Maßnahmen zur Förderung von Tarifverhandlungen hinzuweisen. Rumänien hat dies bereits im Arbeitsgesetzbuch verankert und auch schon einen Maßnahmenplan veröffentlicht (Regierungsbeschluss 827/2025). 

Fazit

Die Mindestlohnrichtline wurde erwartungsgemäß gekippt – nicht ganz erwartungsgemäß allerdings nur zum Teil. Für Rumänien bedeutet dies nicht automatisch den Verzicht auf die Kriterien zur Mindestlohnfestsetzung. Andererseits ist in naher Zukunft u. E. mit deutlichen Vorstößen von Arbeitnehmervertretern und Behörden zur Intensivierung des Tarifverhandlungsprozesses zu rechnen. 


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