Gerichtsmedizin – das klingt nach streng riechendem Sezierraum, schaurigen Kühlladen und Namensschild am großen Zeh. Tatsächlich verbirgt sich dahinter jedoch eine hochinteressante wissenschaftliche Disziplin, die aus der modernen Kriminalistik nicht mehr wegzudenken ist. In Rumänien entwickelte sich die Gerichtsmedizin dank der Aufbauarbeit des Toxikologen Mina Minovici (1858-1933), dem Gründer der ersten gerichtsmedizinischen Schule sowie des gerichtsmedizinischen Instituts, das 1898 als eines der modernsten der Welt galt. Sein Zeitgenosse Fritz Straßmann, Begründer der Deutschen Gerichtsmedizin, hatte Mina Minovici auf einem Seminar in Moskau kennengelernt und darauf-hin – beeindruckt – beschlossen, sich anlässlich einer Reise nach Konstantinopel einen Eindruck von dessen Wirkungsort in Bukarest zu verschaffen. Wie die „Berliner Wochenzeitschrift“ berichtet, kam er zu dem Schluss, es handele sich um ein beispielloses Musterinstitut für ganz Europa!
Auf den Spuren Mina Minovicis und seiner beiden Brüder – Nicolae und Stefan, ersterer ebenfalls Gerichtsmediziner und Gründer der Notdienstgesellschaft (1906), des Nachtasyls und der Zeitschrift für Gerichtsmedizin (1936), letzterer Pharmakologe, Professor und Begründer der Chemiegesellschaft (1914) – wandelten für das Publikum des Kulturhauses „Friedrich Schiller“ am 7. November die Experten Dr. Octavian Buda von der Medizinischen Universität „Carol Davila“, Dr. Adrian Majuru, Koordinator des Volkskunstmuseums „Dr. Nicolae Minovici“ und Dr. Augustin Ioan, Professor am Architekturinstitut „Ion Mincu“. Über die Aktualität der Gerichtsmedizin sprach Dr. Vladimir Beliş, Gerichtsmediziner und Chefredakteur der von Nicolae Minovici gegründeten rumänischen Zeitung für Gerichtsmedizin, elf Jahre lang Direktor des gerichtsmedizinischen Instituts „Mina Minovici“.
Thema des Abends „Das Bukarest der Familie Minovici“ im Rahmen des von Aurora Fabritius organisierten Konferenzzyklus „Menschen und wichtige Orte der rumänischen Kultur“ war die Bedeutung der vlaho-mazedonischen Familie für die Wissenschaft, Gesellschaft, Kultur und Architektur der Hauptstadt.
Dem Tod auf die Finger geschaut
Die Vorfahren der Brüder Minovici waren Schafhändler in Tetovo, Mazedonien, wodurch sich die Namensendung -vici („Sohn von“) erklärt, als Nachkommen eines Stefan Mina. Dieser verlagerte etwa um 1800 seine Existenz in die Walachei, wo er vom damals offenen Handel mit Europa profitierte und Pferde nach Preußen lieferte. Später etablierte sich ein Teil der Familie in Brăila, wo der Hafen weitere Handelsbeziehungen begünstigte. Aus der bald wohlhabenden Familie gingen sieben Brüder hervor, von denen drei zu Ruhm gelangten: Mina, Nicolae und Stefan.
Mina Minovici studierte erst Pharmazie, dann Medizin in Bukarest und spezialisierte sich später in Paris auf Toxikologie. 1888 verfasste er seine Doktorarbeit zum Thema „Tod durch Larynxtrauma“, also durch Erhängen, die seine weitere Karriere besiegelte. Minas größter Verdienst war nicht nur der Aufbau eines modernen Instituts mit Leichenhalle und Sezierraum in Bukarest, sondern auch das Museum für biologische Proben und das anthropometrische Archiv, das er zu allen damals Verurteilten führte. Auf diese Weise konnte man Verbrecher, die einfach den Namen und die Stadt wechselten, eindeutig identifizieren.
Ebenfalls auf den Spuren der Gerichtsmedizin folgte ihm sein Bruder Nicolae, der vor allem für seine spektakulären Selbstversuche Berühmtheit erlangte. Mit akribischer Genauigkeit dokumentierte er seine Empfindungen und körperlichen Symptome, nachdem er sich mit den Händen bis zur Grenze der Bewusstlosigkeit gewürgt hatte. Später experimentierte Nicolae mit verschiedenen Henkersmechanismen, wobei er sich jeweils in letzter Minute retten ließ. Es handelt sich bei seinen Selbstversuchen wohl um die ersten, absichtlich herbeigeführten Nahtoderlebnisse der Geschichte.
Der Beschäftigung der Brüder Minovici mit der Grenze zwischen Leben und Tod tragen auch Stefan Minovicis angeblich letzte Worten Rechnung: „In allem was ihr tut, hört auf die Stimme des Bewusstseins, denn das Bewusstsein ist die Seele – und die Seele ist göttlich.“
Ein Museum als Nachlass
Einen Einblick in die Architektur der um die Brüder Minovici entstandenen Gebäude lieferte Architekturprofessor Dr. Augustin Ioan. Von den vier Bauwerken – darunter das ehemalige gerichtsmedizinische Institut – steht heute nur noch das sogenannte Schellenhaus auf der Kiseleff-Chausee. Diese von Nicolae Minovici im rumänischen Stil erbaute, prachtvolle Villa erhielt ihren Namen, weil unter den Arkaden des Turms zahlreiche Glasschellen hingen, die im Wind angenehm bimmelten. 1936 hat Nicolae Minovici die Villa samt einer kostbaren Sammlung rumänischer Volkskunst, Ikonen, Keramik, Gewebe, Objekte aus Holz, traditioneller Musikinstrumente und wertvollem Dokumentarmaterial der Stadt Bukarest gestiftet. Es war das erste Bukarester ethnografische Museum. Die Villa ist von einem wunderschönen Garten im Stil 1900 umgeben.