Arbeiten oder betteln

Oder warum ein Theologe nicht in die Politik gehen sollte

„Bis ins Krankenhaus oder bis ins Ministerium; dahin kommen alle körperlich und geistig ruinierten Leute“, schrieb Honoré de Balzac in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Seitdem scheint sich nichts verändert zu haben.
So könnte man auch im Falle des Außenministers und ausgebildeten Theologen, Teodor Baconschi, vom „getrübten Geist“ sprechen. Am 10. Oktober erschien auf seinem Blog (www.baconschi.ro) ein kurzer Text, der „Muncim sau cerșim?“ (Arbeiten wir oder betteln wir?) betitelt war. In der Hitze der Wahlkampagne, die für die regierende Partei schon längst begonnen hat, schaffte er es mühelos, alle PDL-nicht-Wähler zu Bettlern abzustempeln. Diese verkaufen ihre Stimmen an die „Linken“ für „zwei Mititei oder einen Eimer“. Solche Wähler brauche die PDL nicht. Sie brauche „die Stimmen des arbeitenden Rumäniens und nicht des bettelnden“, zitiert der Herr Minister seine eigene Ansprache vom 8. Oktober in Pitești. Sich selbst zählt Baconschi selbstverständlich zu den „Schwerstarbeitern“, denn er hat schon als 19-Jähriger bei einem kirchlichen Verlag als Korrektor „geschuftet“.

Die „Bettler-Minderheit“ stelle keinesfalls 50 Prozent aller Wähler dar, philosophiert Baconschi weiter und deutet auf die Erwartungen der Wahlergebnisse des oppositionellen Verbands USL hin. Solche Bürger, man lese „USL-Wähler“, „erwarten alles vom Sozialstaat“: „Sie sitzen bis zum Gürtel im Wasser, in der Kneipe, und erwarten, dass der Staat, das Militär, die Feuerwehrleute sie retten… immer die anderen, nie sie selbst“, urteilt Baconschi. Wer sind denn diese Menschen, die stets „den Staat um Hilfe anbetteln“? Eine direkte Antwort gibt der Autor nicht. Man kann sie aber herauslesen: Das sind solche, die die Steuern und Abgaben nicht zahlen. Dergleichen gibt es in Rumänien eigentlich nur sehr wenige: Kinder und Arbeitslose. Sogar die Rentner, wenn ihre Rente höher als 1000 Lei ist, zahlen Steuern. Die Kinder dürfen bekanntlich nicht wählen und die Arbeitslosen stellen, zum Glück, bei Weitem keine 50 Prozent der Wähler. Da muss man dem Herrn Minister recht geben – „Bettler“ sind in Rumänien in der Minderheit.

Wie kommt es aber dazu, dass nicht nur Arbeitslose, sondern auch „Lehrer, Ärzte etc.“ ihre Stimme für eine Lebensmitteltüte, einen Eimer oder gar nur für einen Bissen Irgendetwas verkaufen? Diese „Mittelstand“-Wähler möchte der Gründer der Christlich-Demokratischen Stiftung für seine Mitte-rechts-Ideen gewinnen. Sie müssen wohl ihre Stimme verkaufen, weil es alles ist, womit sie noch irgendwie verdienen können. Die demokratisch gewählten Machthaber brauchen die Wähler ja nicht öfter als einmal in vier Jahren. Ist man einmal an der Macht, hat man bis zu den nächsten Wahlen mindestens drei Jahre Ruhe. Man kann den Kuchen untereinander aufteilen und die Rationen für die in der Kampagne so umworbenen Wähler kürzen. Je kleiner die Ration, desto weniger muss man für ihre Stimmen bei den nächsten Wahlen rausrücken. Sparsam muss man sein, Herr Minister.

Und nun zum so unangenehmen Thema „Sozialstaat“. Dieses scheint dem Herrn Theologen gar nicht zu behagen. Wussten Sie, dass Rumänien laut Verfassung ein „Sozialstaat“ ist? Steht schwarz auf weiß im dritten Absatz des ersten Artikels: „Rumänien ist ein Rechtsstaat, demokratisch und sozial“! Ist es so unerhört, vom Staat, für den man arbeitet, dem man die Steuer zahlt, eine Gegenleistung zu erwarten? Bedeutet das Betteln? Auch die Prinzipien der Christlichen Demokratie, für die der Herr Baconschi so schwärmt, sehen die „Solidarität mit den Schwächeren“ als eine der grundlegenden Zielvorstellungen.

Man sollte sich nicht darüber empören, dass die Bürger „betteln“ und ihre Stimmen fürs Gnadenbrot verkaufen. Viel mehr sollte man sich fragen, warum sie das tun? Dem Theologen Baconschi sollten die Worte Jesu noch geläufig sein: „Gebt, so wird euch gegeben“. Übertragen auf die Politik könnte man es so formulieren: „Gib du dem Volk ein gutes Leben und es wird dir seine Stimmen geben“. Dann braucht man auch keine Eimerchen mit Orangen zu verteilen. Das ist auch eine Metapher, Herr Minister. Die denkenden Menschen werden sie verstehen.